Lasset alle Hoffnung fahren
Dass Premieren nicht ausverkauft sind, kommt am Stuttgarter Opernhaus selten vor. Doch für manche potentiellen Besucher waren es bei Sergej Rachmaninovs „Francesca da Rimini“ wohl ein paar abschreckende Faktoren zuviel: ein wenig bekanntes Werk, konzertant aufgeführt, dazu das schöne Wetter und das mit der anstehenden Ferienzeit zusammenhängende „fin de saison“- Gefühl – da zog mancher einen Platz an der Sonne dem in der Oper vor. Was schade war, verpasste man doch einen der beeindruckendsten Opernabende in dieser Spielzeit.
Konnte man sich bei der vorherigen Premiere, Andrea Moses´ Inszenierung von Rossinis „La Cenerentola“, an einem Feuerwerk aus Ironie und Witz erfreuen, so markierte diese Aufführung nun das andere Ende der Gefühlsskala: Finsterer, erschütternder als hier kann Oper nicht sein. Die Hölle, wie Dante sie in seiner „Göttlichen Komödie“ beschreibt, bildet dabei den Rahmen für die Dreieckstragödie um Malatesta, den Herrscher von Rimini, seine Frau Francesca und seinen Bruder Paolo.
Diese Hölle ist ein Ort des Jammers, ein Pandämonium der Verdammten, bewohnt von wimmernden, klagenden Seelen in Gestalt des Chores. Den lässt der Komponist, ähnlich wie Ravel in „Daphnis et Chloe“, quasi-instrumentale Vokalisen singen, teilweise mit geschlossenem Mund. Erst im Epilog findet er Worte: „Es gibt keinen größeren Schmerz, als sich im Elend an glückliche Zeiten zu erinnern.“ Bis dahin sind sowohl Francesca als auch Paolo schon tot, gemeuchelt von dem eifersüchtigen Malatesta, der seine Frau und seinen Bruder auf eine Treueprobe stellte, die sie nicht bestehen konnten. Alle wurden dabei irgendwie Opfer der Verhältnisse, mit dem Mord als Resultat einer schicksalhaften Konstellation: hoffnungslos die Welt, in der das geschehen kann.
Und erschütternd, wie Rachmaninov diese Welt musikalisch evoziert. Schon im ersten Satz, den Sylvain Cambreling am Pult des Staatsorchesters betont langsam ausspielen lässt, bekommt man keinen Boden unter die Füße: in chromatischen Bewegungen, ohne tonales Zentrum, mäandert die Musik hier durch die Register, mit klagenden Holzbläsern und sehrenden Streichern. Dass klingt ungemein modern und hat so gar nichts zu tun mit dem süffigen Melodiker, als den man Rachmaninov etwa aus den Klavierkonzerten kennt. Es gibt zwar auch versöhnliche, unverstellt tonale Passagen wie die As-Dur-Idylle im zweiten Bild, wenn sich Francesca und Paolo endlich ihre Liebe gestehen. Doch wirken diese wie Trugbilder, Zitate einer heilen Welt, die es nicht (mehr) gibt. Gesteigert wird die Drastik noch durch ein ästhetisches Experiment, das wie ein Katalysator des Schreckens wirkt: Zwischen die Bilder der Oper hat Cambreling Teile von Galina Ustwolskajas dritter Sinfonie eingefügt. Die Komponistin ist hierzulande kaum bekannt, was damit zusammenhängen könnte, dass diese radikale Musik mit ihren bohrenden Dissonanzen und klirrenden Clustern definitiv nicht abokonzerttauglich ist. Das Lebensgefühl, das sie ausdrückt, ist in Russland wohl eher beheimatet als hier: lasset alle Hoffnung fahren. Existenzielle Trostlosigkeit, die an Jean Pauls „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei“ erinnert. Dass das Stück mit der Anrufung des Messias beginnt – „Errette mich“ – erscheint in diesem Kontext wie blanker Hohn.
Angesichts der imaginativen Kraft der Musik und dem Umstand, dass dramaturgisch wenig passiert, erscheint es durchaus konsequent, das das Stück konzertant aufzugeführen, zumal Sylvain Cambreling das prächtig spielende Staatsorchester mit akribischer Genauigkeit durch die rhythmischen und klangfarblichen Finessen der Partitur steuerte. Neben dem großartigen Chor überzeugte auch die Sängerriege: die Hauptrollen (in den Nebenrollen sangen Shigeo Ishino und Stanley Jackson) hatte man mit russischen, dem Sprachidiom vertrauten Sängern besetzt. Darunter auch das einstige Stuttgarter Ensemblemitglied Dmytro Popov, der den Paolo sang: ein Powertenor, der seine hohen As mit fast trompetenhafter Wucht ins Auditorium schmetterte, aber im Liebesduett mit Francesca auch zu feineren Tönen fähig war. Olga Mykytenko sang sie mit leuchtender Tongebung, kantabel und auch in der Höhe bar jeder Schärfe. Die tragende Rolle des Malatesta schließlich hatte man Sergej Leiferkus anvertraut. Der 64-jährige Russe ist immer noch ein Heldenbariton von imposanter Statur und Kraftentfaltung, der es aber etwas an dynamischer Differenzierung fehlen ließ. Ein starker, am Ende heftig akklamierter Opernabend, der sich einbrennen wird. (StZ)
Baumärkte
Für viele Männer gibt es nichts Schöneres, als am Samstag mit dem Kombi zum Baumarkt zu fahren, um sich dort Dübel, Spaxschrauben, Garagenbodenanstriche oder Verteilerdosen zu kaufen.
Für mich schon.
Praktiker ist pleite. Von mir aus …
Und weil die Männer dann schon mal da sind, schauen sie sich auch in den Regalen mit den Rostschutzmitteln, Parkettklebern oder Spiegelhaltern um. Könnte man ja alles mal brauchen.
Ich dagegen muss mich in Baumärkten regelmäßig Anfällen existenzieller Verzweiflung erwehren, was vermutlich damit zusammenhängt, dass mich die trostlose Materialität unserer in ihren Kleinteilen zu besichtigenden technischen Zivilisation zutiefst erschüttert. Endlose Regalmeter mit Schrauben, Dübeln und Muffen, hinter denen ein unübersehbares Gewirr aus DIN-Normen, EU-Verordnungen und Sicherheitshinweisen steht. Das moderne Leben, ein einziges Bauen und Basteln, Fräsen und Schleifen, Pinseln und Abdichten? Wenn es das Paradigma unserer westlichen Zivilisation ist, Sinn in der Naturbeherrschung durch Technik zu finden, dann ist der Baumarkt ihr Tempel. Ein Zen-Mönch würde vermutlich nur den Kopf schütteln.
Und wenn man dann mal doch was Spezielles braucht, gibt’s das nicht. Neulich suchte ich eine Minischraube für einen Verstärkerdeckel – also Mut gefasst und auf zum Infostand der Schraubenabteilung. Nö, meinte der Verkäufer, also soooo kleine Schrauben habe man hier nicht. Keine Ahnung, wo man die kriegen könnte. Im Modellbauladen vielleicht.
Sollten eines fernen Tages außerirdische Archäologen unsere untergegangene Welt untersuchen und dabei die Überreste eines Baumarktes freilegen, dürfte ihnen schlagartig klar werden, warum die menschliche Zivilisation nicht überlebt hat. Zu große Schrauben. (StZ)
Nach dem Schlussakkord drückte Stéphane Denève die Partitur von James MacMillans „The Death of Oscar“ fest an die Brust – offenbar ist das Werk des Schotten, der in dieser Saison Artist in Residence des RSO ist, eine Herzenssache für Dénève. Der Titel des Stücks bezieht sich auf eine Skulptur des schottischen Bildhauers Alexander Stoddart, die allerdings erst in Planung ist – MacMillan hat sie mit seiner Komposition also schon mal musikalisch vorweggenommen. Nun hat besagter Stoddart aber auch eine Bronzebüste von Dénève samt Schlips und Brillenfassung angefertigt, die in ihrer ganzen naturalistischen Pracht in der Scottish National Portait Gallery in Edinburg zu bewundern und im Programmheft abgedruckt ist. Wenn das Schule macht, müssen unsere Galerien bald Erweiterungsbauten planen.
Aber zum Glück ist Dénève noch quicklebendig, was ihn von der Musik MacMillans unterscheidet, die ihr Material aus verschiedenen Stilen schöpft, wobei „verschieden“ in beiden Bedeutungen gemeint ist. Mal klingt es wie Mahler, dann kulminieren die Klänge in Schostakowitsch-Manier, und wenn sich alles beruhigt hat, glaubt man sich in einem Dvorák-Andante. Diese Musik stellt ihren Eklektizismus offen aus, wirkt aber trotz ihrer stringenten formalen Anlage geheimnislos.
Im Gegensatz zu Jacques Iberts Flötenkonzert. Das atmet den frischen, antiromantischen Geist Poulencs, ist kompositorisch raffiniert gemacht und bot der Solistin Gaby Pas-van Riet die Gelegenheit, ihr überragendes Können gebührend darzustellen. Zwar dauerte es einige Takte, bis die Solistin und das Orchester zu Beginn des ersten Satzes zusammen waren, doch von da an war es ein pures Vergnügen, hatte doch Stéphane Dénève ebenso hörbar seine Freude an dem schillernden, farbenreichen Tonsatz wie Gaby Pas-van Riet. Die Soloflötistin des RSO spielte das Konzert mit stupender Intonation, einem konzentrierten Ton bar aller Luftgeräusche und einer fast schon provozierend souveränen Virtuosität – das Publikum war jedenfalls danach ziemlich aus dem Häuschen und forderte zwei – bereitwillig gewährte – Zugaben.
Dénèves Vorgänger Roger Norrington hatte mit dem RSO die Sinfonien von Brahms im „Stuttgart Sound“ eingespielt, und so war man gespannt, wie der Franzose die zweite Sinfonie angehen würde. Auch Dénève setzt auf Durchhörbarkeit und eher rasche Tempi, öffnet aber klangfarblich ein weiteres Spektrum, dazu phrasiert er organisch und setzt die Stimmen in Beziehung. Ein betont kantabler, präzise durchartikulierter Brahms, der nur im Finale etwas an dramaturgischer Konsequenz vermissen ließ.
Das Publikum war jedenfalls angetan von diesem letzten Konzert innerhalb des RSO-Zyklus in dieser Saison, wie man überhaupt sagen kann, dass sich Stéphane Dénève mit seiner sympathischen Art in seiner zweiten Saison in die Herzen der Stuttgarter RSO-Fans musiziert hat. Seine Programmatik mit einer Fokussierung auf das lange Zeit vernachlässigte französische Repertoire kommt an, und er besitzt ein Händchen für deren klangfarbliche Herausforderungen. Dass sein Vertrag nun vorzeitig bis 2016 verlängert wurde, dürfte aber auch der danach anstehenden Fusion der SWR-Orchester geschuldet sein. So hat man wenigstens Planungssicherheit bis zu dieser grundlegenden Zäsur, mit der sich das RSO in Freiburg noch nicht abgefunden hat – man hofft dort noch auf einen Erhalt des Orchesters durch ein Stiftungsmodell nach dem Vorbild der Berliner Philharmoniker. Ansonsten, so ist zu hören, schieben die Freiburger ihren Kollegen aus Stuttgart die Rolle der Sündenböcke zu. Keine gute Basis für Musiker, die bald zusammenspielen sollen. (StZ)
Schlichte Schönheit
Foto: CF Wesenberg
Das Bild, das man sich von fremden Ländern macht, speziell von solchen, die man nie bereist hat, ist zwangsläufig medial geprägt. Im Falle Norwegens imaginiert man Bilder von Fjordlandschaften, grünen Bergketten und einsamen Seen, was die Musik betrifft, so kommen einem Edvard Grieg und Jan Garbarek in den Sinn. Beim Nachdenken fallen einem noch der Jazzer Nils Petter Molvaer, der Pianist Leif Ove Andsnes und die Geigerin Vilde Frang ein. Und sonst?
Norwegen hat aber musikalisch noch mehr zu bieten: etwa den Geiger Henning Kraggerud und den Pianisten Bugge Wesseltoft. Die haben vor einem Jahr mit „Last Spring“ ein erfolgreiches Album mit Improvisationen über vorwiegend norwegisches Liedgut herausgebracht, aus dem sie nun bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen im Ordenssaal einige Stücke vorgestellt haben. Das Duo ist insofern ungewöhnlich, als Kraggerud ein klassisch ausgebildeter Geiger ist, der bereits mit renommierten Orchestern gespielt hat, Wesseltoft aber eher im Jazz zuhause ist. Doch Kraggerud kann auch improvisieren, und skandinavischer Jazz ist ohnehin ist ein eigenes Genre: mit Swing und Blues hat er wenig zu tun. Norwegische Jazzer mögen zwar von der amerikanischen Tradition beeinflusst sein, ihre musikalischen Wurzeln suchen (und finden) sie aber in der Volksmusik ihres Heimatlandes.
Und die beruht überwiegend auf alten, über Generationen überlieferten Melodien, die, wie die Musiker erzählen, ihnen als Kinder von ihren Müttern vorgesungen wurden. Schlichte, eingängige Weisen, die in ihrer Ruhe und Kontemplation von jenen fernen Zeiten berichten, als das Leben noch nicht so hektisch war wie heute.
Meist beginnen die Stücke im Ordenssaal mit dem Klavier, das einige Akkorde ausbreitet, in einem entspannten, von keinem strengen Metrum im Zaum gehaltenen Erzählton. Dann intoniert die Geige die Melodie und spinnt sie weiter, während Wesseltoft Harmonien unterlegt, die er immer wieder dezent mit Dissonanzen schärft. Seine harmonischen Abweichungen bringen immer wieder Spannung in das ansonsten überwiegend sehr getragene Musizieren: dass Kraggerud dagegen kein gelernter Jazzer ist, merkt man daran, dass sich seine Improvisationen in tonal übersichtlichen Gefilden bewegen, Varianten setzt er allenfalls klanglich, indem er seine Guarneri auch mal in höchsten Flageolettlagen aussingen lässt. Man muss sich einlassen auf diese Musik, die Zeit hat, viel Zeit, die ihre melodienselige Schönheit ungeschützt ausstellt und dabei riskiert, auch mal die Kitschgrenze zu streifen.
Bei diesen Klängen scheiden sich, je nach Temperament und Anspruch, schlicht die Geister. Wer in der Musik Entspannung und Seelenmassage sucht, wer sich in schönen Klägen einfach treiben lassen möchte, für den dürfte das Konzert die reine Labsal gewesen sein. Andere könnten die Musik nicht grundlos als weichgespülten Wellness-Jazz bezeichnen. Aber die dürften sowieso nicht in den Ordenssaal gekommen sein. (StZ)
Am Ende wird es dann doch noch die große Gala. Dee Dee Bridgewater singt hinreißend Cole Porters Evergreen „Let´s do it“, sie trägt High Heels und ein elegantes Kleid, ihr Schmuck funkelt im Schweinwerferlicht. Im Hintergrund säuselt dezent das RSO, der Starpianist Lang Lang klimpert dazu, Mini Schulz am Bass und der Schlagzeuger Obi Jenne liefern souverän das rhythmische Korsett, und es könnte wirklich nicht viel schöner sein an diesem lauen, sonnenverwöhnten Abend im Ehrenhof des Neuen Schlosses. Noch eine Zugabe in gleicher Besetzung, den Ella Fitzgerald-Hit „Stairway to the stars“, und auch hier braucht Dee Dee Bridgewater keinen Vergleich mit dem Original zu scheuen. Das Publikum ist zurecht verzückt, der Applaus riesig, und manch einer dürfte auf dem Heimweg noch Textfetzen leise nachgesummt haben: „Can’t we sail away on a little dream?“
Freilich war nicht alles derart traumhaft an diesem Abend. Der Erfolg der Jazz Open ist auch darauf zurückzuführen, dass es den Veranstaltern immer wieder gelingt, mehrheitsfähige Programme für unterschiedliche Publikumsschichten anzubieten, wobei der Jazz oft mehr ein Ausgangspunkt ist für stilistische Grenzüberschreitungen unterschiedlicher Art – in diesem Fall zur klassischen Musik. Die freilich findet in der Regel nicht unter freiem Himmel, sondern in Konzertsälen statt – und das gutem Grund, lebt sie doch vom (unverfälschten) Klang der Instrumente und verträgt akustische Störungen, wie sie bei einem Open Air-Konzert zwangsläufig auftreten, nicht gut. Ein Orchester wie das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR zu verstärken, ist deshalb im Grunde ein aussichtsloses Unterfangen: im besten Fall tönt es via Lautsprecher erträglich, im schlechteren Fall, wie hier, klingen die Bläser matt und die Streicher nach Synthesizer. Insofern waren auch die Beiträge des RSO unter der Leitung seines Chefdirigenten Stéphane Denève ein zweifelhaftes Vergnügen, obwohl man mit Gershwins „An American in Paris“ und der „Rhapsody in Blue„ bewusst Jazzaffines ausgesucht hatte. Beim gefürchteten Glissandoeinstieg der „Rhapsody in Blue“ versagten zudem dem Soloklarinettisten die Nerven, und auch Klassikstar Lang Lang fand keinen rechten Zugang zu Gershwins spezifischem Idiom – Blues und Jazz sind sein Ding hörbar nicht. Ansonsten war der Chinese aber die ideale Wahl. Denn der Medienprofi hat, anders als die meisten seiner Klassikkollegen, keinerlei Berührungsängste mit solchen Großveranstaltungen. Er gibt dem Publikum, was es an so einem Abend will: Glanz, Virtuosität und ein bisschen Show.
Aus Chopins Grand Valse brillante Es-Dur op.18 holt er an Effekt heraus, was geht: beschleunigt das Tempo bis zum manuell Möglichen, um es dann mit dramatischer Geste abzubremsen, alles mit einer Körpersprache, die man auch auf den 50 Meter entfernten Tribünenplätzen noch mitbekommt. Dramaturgisch geschickt platziert ist das Es-Dur Nocturne op.55/2: die träumerischen Klänge breiten sich passend zur Dämmerung über den Platz aus.
Wenigstens ist zu dem Zeitpunkt auch die Catering Lounge auf der Tribüne abgebaut, denn die von dort oben lautstark herabdringenden Gespräche hatten zuvor ein konzentriertes Hören der Ramsey Lewis Band unmöglich gemacht. Die hatte den ersten Programmteil mit gepflegtem, aber auch ein wenig langweiligem Altherrenjazz bestritten, der erst dann in Schwung kam, als der Bandleader zugunsten von Dee Dee Bridgewater und deren Pianisten Edsel Gomez Platz machte: Deren kurzer Auftritt war ein Höhepunkt des Abends.
Stimmlich ist die 63-Jährige Bridgewater ein Mirakel. In „Somewhere over the rainbow“ erreicht sie trotz ihrer eher tiefen Stimmlage auch Sopranhöhen noch bestechend sicher, und was ihr etwas steifer Begleiter Lang Lang (der sich dabei umblättern lässt) hier an Timing vermissen lässt, gleicht sie mit Routine locker aus. Sie scattet, tanzt, scherzt und wickelt das Publikum mit ihrem Charme um den Finger. Es ist, ganz klar, ihr Abend. Und es ist Jazz. (StZ)
Der Pop im Wolfspelz
Dem Kunstlied geht es schlecht. Liedkonzerte finden immer weniger Publikum, und das, obwohl es gerade in Deutschland hervorragende Sänger und Liedbegleiter gibt. Dass Jüngere sich heute eher schwertun mit den Schöpfungen eines Hugo Wolf oder Franz Schubert könnte auch daran liegen, dass sie sich mit ihrer Lebensrealität in den Texten von Goethe oder Eichendorff nicht unbedingt wiederfinden – zumindest nicht auf den ersten Blick.
Einen – möglicherweise entscheidenden – zweiten Blick darauf zu wagen und daraus Inspirationen für das eigene Songschreiben zu entwickeln – dieser Gedanke stand Pate bei dem Gemeinschaftsprojekt „Hugo Wolf und der Song“ zwischen den Ludwigsburger Schlossfestspielen, der internationalen Hugo-Wolf-Akademie und der Popakademie Mannheim. Studenten der Popakademie waren dabei aufgerufen, sich mit dem Schaffen Hugo Wolfs auseinanderzusetzen und im Rahmen eines Song-Writing-Wettbewerbs eigene Songs zu kreieren, die drei Preisträger durften dann in der Ludwigsburger Musikhalle ihre Songs im Rahmen des Festspielprogramms vorstellen.
In der Theorie klingt das schlüssig: junge Musiker an die hehre Liedkunst heranzuführen und dabei Stilgrenzen zu überschreiten – tolle Sache eigentlich. So dachte wohl auch das Auswahlgremium des Innovationsfonds Kunst des Landes Baden-Württemberg, aus dem das Projekt gefördert wurde.
Nach dem Auftritt der drei preisgekrönten Sänger muss man allerdings sagen: Theorie ist das eine, Praxis das andere. Nüchtern betrachtet hörte man an dem Abend in der überlaut ausgesteuerten Musikhalle drei mehr oder weniger originelle junge Popbands mit Musik, wie sie solche Bands eben heute machen: ziemlich rockig, in der Standardbesetzung mit E-Gitarre, Bass, Drums und Keyboard und selbst verfassten Texten, denen freilich eine gewisse poetische Ambitioniertheit durchaus anzumerken war. „Die Erwartungen an mein Leben“, so dichtete der erste Preisträger Rainer Ammann, „… ich schmelze sie ein in unsre Vergangenheiten/häng sie mir um wie ein kostbares Amulett/Alles silberne Sekunden aus alten Zeiten/ich trag sie stets auf meinem Weg“. Hier hat die klassisch-romantische Lyrik, wie sie Hugo Wolf vertonte, Spuren hinterlassen. Aber ob das zum Popsong wirklich passt? Denn manchmal bleiben die Metaphern auch flach, und das klingt dann leicht wie Helene Fischer: „Du und dein Himmelblick/ich kann sie förmlich sehn/deine Gedanken wie sie tanzen/und Pirouetten, Pirouetten drehen“.
Aber sie haben sich merklich angestrengt, die jungen Barden. Auch der zweite Preisträger David Kirchner, der vom Mondlicht singt, das „sich in die Straßen legt“ und „die Sonnenwärme wegfegt“, und von „der Zeit, die sich die Adern legt“. Hübsch romantisch. Aber ist das wirklich seine Sprache? Oder versuchte er bloß, möglichst gut den Wettbewerbskriterien zu entsprechen? Weitaus überzeugender ist Rainer Ammanns anderes Bandprojekt „Die Herren Schneider“. Nicht nur, weil sie (wie auch Hugo Wolf), Texte von gestandenen Dichtern vertonen, sondern weil sie in Verbindung mit einer coolen Bühnenperformance auch musikalisch eigene Wege gehen. Sie erhielten (nur) den dritten Preis.
Was das nun alles mit Hugo Wolf zu tun hatte? Eigentlich nichts. Der Abend zeigte, dass Pop Pop und Kunstlied Kunstlied ist und daran auch ein gut gemeinter Wettbewerb nichts ändert. Und wenn das Kunstlied wirklich aussterben sollte, wäre es zwar jammerschade – doch Rettung aus der Popakademie ist nicht zu erwarten. Über die Ankündigung deren Leiters Udo Dahmen, den Wettbewerb nun jährlich auszutragen, sollte man nochmal gut nachdenken.(StZ)
Mehr als eine Farce
Bild: A.T.Schaefer
Soviel gelacht wurde selten an der Staatsoper Stuttgart wie bei der Premiere von Rossinis Oper „La Cenerentola“ in der Regie von Andrea Moses. Die Stuttgarter Hausregisseurin hat zwar bereits einige sehr ordentliche Arbeiten vorgelegt, stand bislang aber immer etwas im Schatten des Regieduos Jossi Wieler/Sergio Morabito, die regelmäßig für die herausragenden Premieren sorgten – zuletzt etwa Richard Strauss´ „Ariadne auf Naxos“. Mit dieser Neuinszenierung aber könnte Moses so etwas wie ein Durchbruch in Stuttgart gelungen sein, denn spritziger, witziger, einfallsreicher und liebevoller durchchoreografiert lässt sich eine solche Oper kaum auf die Bühne bringen. Die Regisseurin hat die Geschichte um Angelina, das Aschenbrödel, das nach allerlei Turbulenzen und Verwicklungen am Ende den Prinzen Don Ramiro heiraten kann, behutsam in die Jetztzeit verlegt. Das Personal des adligen Stands rekrutiert sich aus einer soignierten Aufsichtsratsbelegschaft, die quasi am runden Tisch beschließt, dass Don Ramiro zur Aufrechterhaltung der Firmenstruktur zu heiraten hat. Zur Brautsuche begibt sich dieser in die miefige, leicht heruntergekommene Wohnung, wo der verarmte Baron Don Magnifico mit seinen drei Töchtern haust. Zwei gegensätzliche Milieus, deren kontrollierte Kollision ein solches Feuerwerk an Pointen freisetzt, dass man als Zuschauer hellwach sein muss, um auch wirklich alles mitzubekommen.
Dass diese Situationskomik aber bei aller Überdrehtheit nur selten klamottig wirkt, ist Moses Sensibilität für den Pulsschlag der Musik zu verdanken: mit akribischer Genauigkeit sind hier Musik und Szene gestisch aufeinander abgestimmt, wobei die Kalkuliertheit mancher Regiepointe ihre Entsprechung findet in Rossinis ebenfalls bewusst auf Wirkung komponierter Musik.
Freilich begnügt sich Andrea Moses nicht damit, einfach eine durchgedrehte Farce zu inszenieren: Nicht ohne Grund betitelte Rossini diese Oper als „Melodramma giocoso“ – denn auch wenn das Gros der Personals sich in beständiger Verstellung übt, so ist die Figur der Angelina doch von Beginn an wahrhaftig, und auch in den Liebesduetten mit Don Ramiro herrscht durchweg ein aufrichtiger Ton. Auch fühlt sich Angelina, anders als ihre nach Ruhm und Geld schielenden Schwestern, durchaus wohl in ihrer kleinbürgerlichen Welt – und für die Szene, in der sie dort herausgerissen wird, findet Andrea Moses ein berückendes Bild: Das alte Wohnzimmer, an das sie sich verzweifelt klammert, verschwindet erst Richtung Hinterbühne und versinkt schließlich ganz im Boden.
Dass diese Oper auch beim Stuttgarter Publikum, das am Ende völlig aus dem Häuschen war, eine derartige Begeisterung auslöste, lag aber auch an einem wie entfesselt singenden und spielenden Ensemble. Für die Mezzosopranistin Diana Haller (Angelina) ist es die erste große Rolle am Haus, eine Herausforderung, die sie angesichts der Schwierigkeiten der hochvirtuosen Partie mit Bravour bestand: ihre Koloraturensicherheit erinnert nachgerade an Cecilia Bartoli. Catriona Smith (Clorinda) und Maria Theresa Ullrich (Tisbe) bilden ein hinreißend singendes und zankendes Schwesternpaar, und auch die Männerriege ist durchweg erstklassig besetzt. Dass auch Bässe kantabel singen können, zeigten Adam Palka (Alidoro) wie auch Enzo Capuano (Don Magnifico), der zudem ein Humorist von Gnaden ist. André Morsch (Dandini) beglückte mit einer ungemein beweglichen Baritonstimme, Bogdam Mihai ist ein Rossini-Tenor mit leichter Höhe, dem es nur etwas an Farben mangelt. Befeuert wurde die Sängerriege durch ein brillant und schwungvoll spielendes Staatsorchester unter der Leitung von José Luis Gomez. Dass es in den Ensembleszenen noch gelegentlich klapperte zwischen Bühne und Graben – geschenkt. Das dürfte sich mit der Zeit noch einspielen. Selbst wenn Sie nur einen Opernbesuch im Jahr planen sollten: gehen Sie in diese Stuttgarter „La Cenerentola“. (Südkurier)
Weitere Aufführungen am 3., 9., 12., 17., 22. Juli