Beiträge im Archiv Januar 2012

Justus Frantz und die Philharmonie der Nationen im Beethovensaal

25.
Jan.
2012

Mit besten Wünschen
Gleich fängt er wieder an zu reden, denkt man immer, wenn Justus Frantz sich in Richtung Publikum wendet, aber das bewahrheitete sich nur im ersten Teil seines Konzerts mit der Philharmonie der Nationen im Stuttgarter Beethovensaal. NUn mögen manche  es ja etwas merkwürdig finden, Ende Januar noch ein Konzert mit „Neujahrskonzert“ zu bezeichnen, doch Frantz wünschte dem nicht sehr zahlreichen Publikum bei der Gelegenheit nicht bloß ein gutes neues Jahr, sondern auch gleich mit dazu, dass sich alle „Hoffnungen realisieren lassen“ und „alle Befürchtungen nicht eintreten“.
Solches wünschte man sich auch für das anstehende Konzert, dessen Programmatik – dreimal Mozart – Frantz damit begründetete, dass man das Publikum mit „etwas Besonderem beglücken“ wolle. Außerdem könne man bei Mozart die „Leichtigkeit des Seins“ besonders spüren.
Die wollte sich dann aber bei Mozarts Haffner-Sinfonie KV 385, mit der das Orchester nach einer kurzen Einführung seitens des Dirigenten anhob, nicht so recht einstellen. Zwar setzte Frantz seine Musiker gleich mächtig unter Strom, aber vor allem die Holzbläser standen angesichts der klanglichen Übermacht der Streicher auf ziemlich verlorenem Posten – von korrespondierenden Klanggruppen war wenig zu hören. Nun ist es gerade für ein Orchester mit fluktuierender Besetzung wie der „Philharmonie der Nationen“ besonders schwer, ein klangliches Profil zu entwickeln. Umso wichtiger erscheint es, dass die Spieler aufeinander hören und reagieren – das Ideal eines wachen, kammermusikalisch inspirierten Musizierens vor Augen, wie es etwa in Formationen wie dem Mahler Chamber Orchestra vorbildlich gepflegt wird.
Dem aber scheinen Frantz´Maestroambitionen ebenso entgegenzustehen wie eine offenbar etwas getrübte Selbstwahrnehmung, was seine pianistischen Fähigkeiten anbelangt. Mit der Aufgabe, gleichzeitig Mozarts Klavierkonzert C-Dur KV 503 zu spielen und das Orchester zu leiten, war Frantz jedenfalls deutlich überfordert. Nicht nur, dass kaum ein Kadenzschluss richtig zusammen war. Vor allem im virtuosen dritten Satz wurstelte sich Frantz mehr durch seinen Solopart, als dass er ihn gestaltet hätte, eine Einschätzung, die seine bereitwillig gewährte Zugabe, Chopins Fantaise-Impromptu op.66, noch einmal unterstrich: weitgehend unter Pedal gesetzt und klanglich diffus, entsprach nur das gewählte Tempo höheren Ansprüchen.
Einen versöhnlichen Abschluss gab es dann aber doch. Statt vieler Worte ließ Frantz in der Jupiter-Sinfonie KV 551 einfach die Musik sprechen. Merklich besser geprobt, zeigten die jungen Mitglieder seines Multikultiorchesters, über welches Potential sie verfügen: Das war Musizieren auf der sprichwörtlichen Stuhlkante, technisch brillant, mit Geschmack, Feuer und Gefühl. So hätte man sich das ganze Konzert gewünscht. (Stuttgarter Zeitung)

Der holländische Musikkomödiant Hans Liberg begeisterte im Stuttgarter Hegelsaal

20.
Jan.
2012

Hans Liberg

Bach, Deep Purple und das Carglass-Jingle

 

Kennen Sie Glenn Gould? Falls ja, dann hätten Sie sich bei Hans Libergs zweiter Zugabe wahrscheinlich vor Lachen gekringelt. Der setzte sich auf einen mitgebrachten hölzernen Klappstuhl mit gekürzten Beinen, mit dem Kinn fast auf Tastaturhöhe und begann mit steifen Fingern die Aria aus Bachs Goldbergvariationen herunterzustochern. Dabei blickte er leicht manisch drein und ließ einen heiseren Singsang in der Art ertönen, wie ihn auch der genialische Kanadier pflegte. Großartig. Ja, man muss schon ein bisschen musikalische Grundbildung mitbringen, will man all die Anspielungen und Verweise des gebürtigen Amsterdamers verstehen, der sich als Musikkabarettist bezeichnet, aber vielleicht doch eher ein Musikkomödiant ist.
Politische Anspielungen kamen in seinem Programm jedenfalls kaum vor, dafür jonglierte er bei seinem Auftritt im Stuttgarter Hegelsaal umso virtuoser mit den musikalischen Genres zwischen Bach, Deep Purple und dem Carglass-Jingle. Nicht nur einmal nutzte er dabei die Fallhöhe der hehren Klassik: wenn er die gemeinsamen Wurzeln von Bachs „Badinerie“ und dem Lied aus der „Sendung mit der Maus“ belegte oder aus einer haydnschen Klaviersonate einen Klingelton herausdestillierte. Wie sein Vorbild Victor Borge hat auch der studierte Musikwissenschaftler Liberg instrumental einiges drauf: neben seinen beachtlichen pianistischen Fähigkeiten durfte er auch als versierter E-Gitarrist und Trommler mächtig Applaus einfahren. Unterstützt wurde er dabei von zwei Mitmusikern am Bass und Schlagzeug („was noch übrig ist von der WDR-Bigband“) sowie einem jungen Schlaks, der ihm auch als Tanzpartner in einer zwerchfellerschütternden Persiflage von „Stayin alive“ assistierte. Das Publikum jedenfalls hatte Liberg in kürzester Zeit auf seiner Seite, was sich auch an der Bereitschaft zeigte, mit der es auf seine Aufforderungen zum Mitsingen einging. Egal ob Volkslieder, Beatlessongs oder Rockklassiker wie „Proud Mary“ – eine Handbewegung genügte und Hunderte begannen im Chor mit einzustimmen. Das muss man erst mal hinkriegen, wenn man nicht Gotthilf Fischer heißt. (Stuttgarter Zeitung)

Radoslaw Szulc leitete die Stuttgarter Philharmoniker

19.
Jan.
2012

Radoslaw Szulc Foto: Tom Specht

Am Ende lächelte er sogar ein bisschen. Völlig erschöpft und ziemlich durchgeschwitzt verbeugte sich Radoslaw Szulc und nahm die Ovationen des Publikums entgegen, wissend, dass er seinen Job gut gemacht hat. Sehr gut sogar. Dabei standen die Vorzeichen alles andere als günstig. Erst ein paar Tage zuvor war der junge Pole für den erkrankten Gabriel Feltz eingesprungen, um Brahms´ Doppelkonzert op. 102 und Tschaikowskys fünfte Sinfonie für das anstehende Konzert vorzubereiten. Eine heikle Aufgabe,bei der es darauf ankommt, bereits Vorgeprobtes aufzunehmen und in das eigene musikalische Konzept zu integrieren. Oft geht das schief, und statt inspiriertem Musizieren erlebt man dann bloß unentschiedenes Durchlavieren. Ganz anders hier. Wie auch immer Szulc es geschafft hat: bei Tschaikowskys Fünfter hatte man niemals den Eindruck einer Kompromisslösung, im Gegenteil. Selten konnte man die Zerrissenheit der tschaikowskyschen Seele in solcher Dringlichkeit erleben wie bei dieser Sinfonie, die vom ersten bis zum letzten Takt konzis durchgearbeitet schien.
Szulc besitzt das Empfinden für die Dramaturgie dieser Musik, ihren Wechsel von Ruhepausen und emphatischen Ausbrüchen. Schon die Introduktion atmete Form und Ausdruck, das erste Thema nahm Szulc tänzerisch animiert. Elegische Passagen ließ er traumverloren ausspielen, um dann wieder die Zügel anzuziehen. Schlagtechnisch zählt Szulc, der im übrigen auch ein erstklassiger Geiger ist, sicher schon zu den besten seines Fachs. Seine Zeichengebung ist plastisch und präzise, ein Vorteil gerade bei knappen Probenzeiten. So hielt Szulc das Orchester immer an der kurzen Leine und tat alles, um den Charakter der Musik  körperlich zu vermitteln. Derart geführt und emotional befeuert spielten die Stuttgarter Philharmoniker wie entfesselt auf. Brillant, vor allem im ersten Satz, die quicken Holzbläser, speziell die Flöten und Klarinetten. Im Andante glänzte der Solohornist mit einem wunderbar ausgesungenen Thema, in dem die ganze Traurigkeit der Welt ausgedrückt schien, wobei Szulc dem Hornisten zuvor auch ein Streicherbett von luftigster Qualität aufgeschlagen hatte. Grandios der Finalsatz: Szulc ließ den Hörer die apotheotische Wandlung des Schicksalsthemas mit nachvollziehen, doch blieb dem hymnischen Ansetzen, mit der die Sinfonie in das blechsatte Finale mündet, die Gebrochenheit der vorhergehenden Sätze eingeschrieben. Kein hohl-repräsentatives Pathos, stattdessen echte Erschütterung.
Ist Tschaikowskys Fünfte ein typisches Beispiel für eine sinfonische Grundhaltung, die sich dem Primat  unverstellten Ausdrucks verpflichtet fühlt, so wird in Brahms´Doppelkonzert für Violine, Cello und Orchester op. 102 vor allem essentiell Musikalisches verhandelt. Im Vergleich zu Tschaikowskys Seelenentäußerung wirkt  das Stück nüchtern, fast hermetisch. Doch hat man drei kompetente Partner, dann lassen sich aus den thematisch-motivischen Erzählsträngen dieser Musik durchaus Funken schlagen. Dass es an diesem Abend nicht durchgehend gelang, lag sicher nicht an den Solisten. Sowohl Katrin Scholz (Violine) wie Wolfgang Emanuel Schmidt (Cello) sind technisch erstklassige Instrumentalisten, die die ihnen zugedachten Rollen zudem in bester Abstimmung miteinander ausfüllten. Was mitunter fehlte, war die Anbindung zum Orchester, das seine Rolle eher als die eines Begleiters denn eines mitgestaltenden, korrespondierenden Partners zu begreifen schien. Oder wollte man einfach Kraft sparen für den folgenden Tschaikowsky?