Beiträge im Archiv Dezember 2013

„Sakral Modern“ mit Werken von Honegger, Strawinsky und Respighi

22.
Dez.
2013

Weihnachtliches, einmal anders

Christentum und Kapitalismus, das bedeutet beim Weihnachtsfest einen Widerspruch: war die Adventszeit früher eine Fastenzeit, in der nicht gefeiert werden durfte, so sind heute die Wochen vor dem Fest der größte Umsatzbringer. Mehr gekauft wird nie. Mehr gefeiert auch nicht.
Auch die Flut von (vor)weihnachtlichen Konzerten kann man als Teil dieser Kommerzialisierung betrachten, und wohl deshalb hatte die Bachakademie im Rahmen des zweiten Konzerts der Reihe Sakral Modern eine kleine Podiumsdiskussion über das Thema „Konsumwahn“ angesetzt. Moderiert von der SWR-Redakteurin Ursula Nusser sprachen der Theologe Wolfgang Huber und der Unternehmer Götz Werner über das Verhältnis von Kommerz und christlicher Tradition. Dass Werner dabei kaufmännische Interessen stärker gewichtete als Huber liegt auf der Hand. Einig waren sich aber beide darüber, dass durch die Kommerzialisierung das Bewusstsein für die ursprüngliche Bedeutung der Adventszeit verloren zu gehen droht. Falls es – ein Gang über den Weihnachtsmarkt legt diesen Schluss nahe – nicht schon längst verloren ist.
Vorweihnachtlicher Terminstress dürfte auch ein Grund dafür gewesen sein, dass an diesem Abend nur wenig Zuhörer den Weg in den Beethovensaal gefunden haben – was schade war, entsprach doch das Projekt von Bachakademie und SWR so gar nicht den üblichen Klischees. Der Chefdirigent des RSO, Stéphane Denève, dirigierte drei selten zu hörende weihnachtliche Werke: Arthur Honeggers „Une cantate de Noel“, das mit seiner aufwendigen Besetzung mit Orchester nebst Orgel (RSO), Chor (Gächinger Kantorei), Kinderchor (Südwestpfälzer Kinderchor Münchweiler) und Solist (Jean-Sébastien Bou) die Ressourcen der meisten Veranstalter sprengen dürfte. Seine Vision des Weihnachtsfestes als weltumspannender froher Botschaft wurde hier mit großer Emphase und Können umgesetzt. Demgegenüber besteht der Reiz von Ottorino Respighis „Lauda per la Natività del Signore“ in einem eher ruhigen, von Betrachtung und Reflexion geprägten Duktus, der im großen Beethovensaal nicht so recht zur Wirkung kam. Kompositorisch überzeugend in seiner zeitgemäßen Anverwandlung barocker Techniken, aber ebenfalls selten gespielt, sind Strawinskys Bearbeitungen bachscher Choralvariationen über „Vom Himmel hoch“. Vor allem die Blechbläser des RSO konnten sich hier ins beste Licht rücken. Nein, es muss nicht immer das Weihnachtsoratorium sein.

Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR mit Jörg Widmann und Dima Slobodeniouk

13.
Dez.
2013

Orchestrales Farbenspiel

Ewig dankbar müssen die Klarinettisten Mozart sein, dass er ihnen dieses Konzert geschrieben hat. Es mag noch andere Klarinettenkonzerte geben – Stamitz, von Weber – aber keines reicht an jenes A-Dur-Meisterwerk heran, an dem eben keine Note zuviel ist und keine zu wenig.
Dass dieses Konzert zum Kernrepertoire jedes Klarinettisten zählt, macht die Interpretation insofern nicht leichter, als eigentlich alles dazu gesagt ist. Der Klarinettist Jörg Widmann nun spielte bei seinem Auftritt mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR im Stuttgarter Beethovensaal auf unprätentiöse Art einfach alles so, wie es sein sollte: mit Geschmack, Stilbewusstsein und instrumentaler Kompetenz. Auffällig war die Liebe zum Detail. Jedes noch so kleine Motiv war sorgfältigst ausprasiert, alles besaß Kontur und Form, und vor allem in dem berühmten Adagio verzückte Widmann mit einem konzentrierten, substanzreichen Ton, der ihn auch in die Lage versetzte, sich jederzeit gegenüber dem Orchester durchzusetzen. Dass ihm dies leicht gemacht wurde, lag aber auch am Dirigenten Dima Slobodeniouk. Der hatte das RSO zum einen recht klein besetzt, bemühte sich zum anderen vorbildlich um ein ausgewogenes Kräfteverhältnis und hielt das Orchester dynamisch immer im Zaum. Und wie Widmann kann auch Slobodeniouk in Strukturen denken, besitzt er ein Gefühl für Phrasierung und rhythmische Innenspannung. Das Orchester dankte es ihm mit einem leichten, kompakten, federnden Klang, sodass es eine einzige Freude war, dieses wohlbekannte Klarinettenkonzert zu hören. Das Publikum im fast voll besetzten Saal empfand es wohl genauso und feierte den Solisten am Ende mit Ovationen.
Die hatten aber vermutlich nicht nur dem Klarinettisten, sondern auch dem Komponisten Jörg Widmann gegolten. Denn begonnen hatte das Konzert mit Widmanns 2006 geschriebenem „Armonica“ für Glasharmonika, Akkordeon und Orchester. Christa Schönfeldinger spielte die auf Konzertbühnen heute eher selten anzutreffende Glasharmonika, die sich bis zur Romantik einiger Beliebtheit erfreute und für die schon Mozart zwei Werke komponiert hatte. Ihr sphärischer, quasi aus dem Nichts anschwellender Ton bildet dabei so etwas wie die Grundidee für Widmanns Konzert: ein schillerndes orchestrales Farbenspiel, ein beständiges  Zerfließen der Klänge in organischer Bewegung, das in seinem irisierenden Ohrenreiz etwas sehr Französisches hat. Das von Teodoro Anzellotti gespielte Akkordeon bringt mit seinem atemähnlichen Duktus ein weiteres organisches Element hinein, und auch wenn man sich bei einigen Stellen an Filmmusik erinnert fühlte, besitzt das Stück ingesamt doch eine starke suggestive Kraft.
Gab es bis dahin wenig auszusetzen, was Präzision und Klanggestaltung anbelangt, so blieben bei Prokofjews siebter Sinfonie einige Wünsche offen – was insofern schade war, als Slobodeniouk den Charakter der vier Sätze, ihre divergenten Haltungen, sehr präzise auf den Punkt brachte. Großartig ausgespielt der an Schostakowitsch gemahnende Sarkasmus, der sich hinter dem salonesken Walzertreiben im zweiten Satz versteckt, auch das Finale besaß Drive und Wucht. Wer weiß – ein paar Probentage mehr, dann hätte da vielleicht etwas Großes entstehen können.   (StZ)

„Weihnachtsmusiken“ beim dritten Akademiekonzert der Bachakademie

08.
Dez.
2013

Was soll´s bloß bedeuten?

Fast ein wenig verloren wirkte Hans-Christoph Rademann, wie er da vom Bühnenrand des Beethovensaals dirigierte, nur flankiert von einem Cembalisten, einer Akkordeonistin und einem Organisten. Der Rest der Musiker war im Saal verteilt: Gruppen von Bläsern, Streichern und Perkussionisten, die sich gelegentlich in Form von Clustern, Glissandi oder rhythmischen Einwürfen zu Wort meldeten. Der Dresdner Komponist Jörg Herchet hat sich für seine Kantate „Die Geburt der Zeit“ aus dem Materialfundus der neuen Musik bedient und noch einige Performanceelemente beigefügt, wie man sie ebenfalls aus der zeitgenössischen Musik kennt: etwa den Auftritt der Choristen, die während des Stücks zwischen den Reihen ausschwärmten und merkwürdige Laute von sich gaben. „Ich weiß nicht, was das bedeutet“ repetierte da ein Bassist – und dürfte damit den meisten Zuhörern aus dem Herzen gesprochen haben, die in großen Teilen ziemlich ungläubig dreinschauten. Waren sie wirklich in einem Konzert der Bachakademie mit dem Titel „Weihnachtsmusiken“? Von dem eher äußerlichen, substanzarmen Stück blieb so als Gesamteindruck wenig zurück – außer vielleicht, dass man sich als Hörer mittels lauten Vorlesens der Weihnachtsgeschichte und einer konsumkritischen Reflexion über selbige an der Aufführung beteiligen durfte. Viel Aufwand, wenig Wirkung.

Ganz im Gegensatz zur Aufführung der ersten drei Teile von Bachs Weihnachtsoratorium, die man klugerweise nach der Pause angesetzt hatte – sonst hätten womöglich noch mehr Zuhörer während des Herchet-Stücks den Saal verlassen. Hier aber hatte keiner Grund zu gehen, denn Rademann gelang eine schlüssige Deutung des Klassikers. Großen Anteil daran hatte die Gächinger Kantorei, die vor allem in den Chorälen mit klanglicher Flexibilität und einem natürlich fließenden Duktus weitab von klangsatter Statik überzeugte. Auch das Bach-Collegium Stuttgart entsprach Rademanns energetischem Zugriff mit einem sehr transparenten, beweglichen Klang. Dazu kamen einige herausragende solistische Leistungen. Wie die von Gaby Pas-van Riet, die die Figurationen ihrer (Holz)flötenstimme in der Tenorarie „Frohe Hirten, eilt, ach eilt“ förmlich um die Koloraturen von Daniel Behle schmiegte. Nachhaltig berührend auch die herbe Melancholie, mit der Konzertmeister Gernot Süßmuth die Altistin Anke Vondung in der Arie „Schlafe, mein Liebster“ begleitete. Wie man überhaupt selten ein derart homogenes Solistenquartett hören kann wie dieses, das von Sarah Wegener (Sopran) und Roderick Williams (Bass) vervollständigt wurde. Statt Herchet einfach das komplette Weihnachtsoratorium – das wär´s gewesen! (StZ)