Beiträge im Archiv Juli 2019

Frieder Bernius dirigierte Griegs Schauspielmusik zu Peer Gynt

28.
Jul.
2019

Schon sechs Jahre ist es her, dass Frieder Bernius das letzte Mal eine Open-Air-Aufführung vor dem Schloss Solitude geleitet hat, davor war dies im zweijährigen Rhythmus eigentlich schon zu einer schönen Tradition geworden. Umso schöner, dass es nun wieder geklappt hat – beide Konzerte mit Griegs Schauspielmusik zu Peer Gynt  waren ausverkauft – und die am Freitagabend gekommen waren, erlebten ein Spektakel, das sie wohl lange nicht vergessen dürften, verbanden sich an diesem Abend doch Kultur und Natur zu einem Gesamtkunstwerk der besonderen Art.
Schon vor Konzertbeginn schoben sich hinter dem Schloss die Wolken zu bedrohlich schwarzen Gebilden zusammen, und bald nachdem Bernius seinen Taktstock zum ersten Mal gehoben hatte, zuckten auch schon die ersten Blitze. Dazu hob ein laues Lüftchen an, derweil das Schloss mit wechselnden Bonbonfarben wie auf Kitschpostkarten beleuchtet wurde. Mit dem Vorspiel zum ersten Akt begann dann das Drama um den Titelhelden, den Bauernsohn Peer Gynt, der in ärmlichen Verhältnissen aufwächst und sich in einer Mischung aus Größenwahn und Selbsttäuschung auf eine Art Fantasiereise aufmacht, aus der er am Ende desillusioniert wieder in die Arme der einzigen Frau zurückkehrt, die ihn aufrichtig liebt: Solveig.
Bernius dirigierte dabei eine Fassung, bei der die insgesamt 26 Sätze umfassende Schauspielmusik auf 16 reduziert wurde, dazu hatte Galin Stoev frei nach Ibsens Drama verbindende Zwischentexte verfasst. Die wurden von Walter Sittler gelesen, der auch hin und wieder schauspielernd in die ansonsten rein konzertante Szene eingriff, ebenso wie Sarah Wegener, die Bernius für die Solopartien ausgesucht hatte und die mit ihrem anmutig-reinen Sopran die Rolle der treuen Solveig ideal ausfüllte.
Nun ist die Peer Gynt-Musik vor allem durch die beiden Suiten bekannt geworden, die Grieg  zusammengestellt hat. Die erste beginnt mit der „Morgenstimmung“ – die allerdings steht im Drama erst zu Beginn des vierten Akts an. Nicht die einzige Verwirrung – denn manch einer dürfte auch dem Bierwerbespot auf den Leim gegangen sein, nach dem Griegs Hit einen Frühlingsmorgen in Norwegens Fjord- und Berglandschaft imaginiert. Weit gefehlt, hat es Peer Gynt doch im vierten Akt nach einigen Abenteuern mit kessen Hirtenmädchen und übellaunigen Trollen nach Marokko verschlagen, wo er mit Sklavenhandel und krummen Geschäften reich wird. Die „Morgenstimmung“ beschreibt also eher einen Sonnenaufgang über der Wüste, und so dirigierte Frieder Bernius das Stück auch: Nicht als entspannt-romantische Elegie, sondern in einer dezent aufgekratzten, leicht euphorischen Grundstimmung, die dem arabischen Flair der folgenden Sätze den Boden bereitete. Ohnehin legte Bernius Wert darauf, mit der Klassischen Philharmonie Stuttgart und dem Kammerchor Stuttgart vor allem das Theaterhafte dieser an Facetten überaus reichen Musik herauszuarbeiten.
Was dann nach einer kurzen Regenunterbrechung beim Vorspiel zum 5. Akt „Stürmischer Abend auf dem Meer“ passierte, hätte kein Regisseur besser inszenieren können. Der Wind war zu einer kühlen, steifen Brise geworden, das Firmament wurde von Blitzen erhellt, während die Orchesterpauke sich einen Wettstreit mit dem himmlischen Donner lieferte. Das ist Theater!

Das Abschlusskonzert der Ludwigsburger Schlossfestspiele

21.
Jul.
2019

Essenz einer Ära

Ins Ungewisse – das könnte man, ohne pathetisch klingen zu wollen, auch über die Grundbedingung unseres Lebens sagen: Man weiß halt nie genau, was kommt. Dass das ausgerechnet in der Kunst und speziell im klassischen Konzertbetrieb anders sein soll, wo es vielen nur um das abrufbar Erbauliche geht, kam Thomas Wördehoff immer merkwürdig vor – und damit wären wir beim Abschlusskonzert der diesjährigen Ludwigsburger Schlossfestspiele, das zugleich auch das Finale der Ära Wördehoff war. Schon seit der Saison 2018 wurden bei einzelnen Ludwigsburger Konzerten unter dem Titel „…ins Ungewisse“ unangekündigt kurze zeitgenössische Werke eingeschleust, um die Berührungsängste vieler Hörer mit aktueller E-Musik zu unterlaufen. Beim Abschlusskonzert nun wurde das Unangekündigte konstitutiv: gleich drei gewichtige Beiträge wurden ins offizielle Programm eingeschoben. Deren Auswahl war Teil einer ausgefeilten Dramaturgie, die sich als Essenz dessen begreifen lässt, was Wördehoff in seiner Zeit als Intendant zu vermitteln suchte.
Für den, oft subversiven, Humor und das Ignorieren von Genregrenen stehen dabei Mnozil Brass, die den Abend mit einer Bearbeitung von Schostakowitschs 8. Streichquartett brillant eröffneten und das Publikum mit Strauss´ Fledermaus-Ouvertüre berauscht und in die erste der beiden Pausen – das Konzert dauerte bis halb Zwölf – schickten.
Der Wirbel von Ravels, vom Festspielorchester fulminant musizierter „La Valse“ brach die holländische Sängerin Nora Fischer dann auf intime, berührende Art. Wördehoff, das weiß man, liebt den Song – und die von Marnix Dorrestein auf der E-Gitarre sensibel begleiteten Liedadaptionen im Singer-Songwriterstil von Werken Purcells, Dowlands oder Caldaras waren dazu noch eine stilistische Transformation der reizvollsten Art.
Im dritten Teil dann gab Igor Levit, zusammen mit Mnozil Brass-Trompeter Thomas Gansch zuvor Solist bei Schostakowitschs Konzert für Trompete und Klavier, mit Frederic Rzewskis „Which Side are you On?“ ein glühendes Bekenntnis zur gesellschaftlichen Relevanz von Musik wie deren Ernsthaftigkeit im Allgemeinen. Kaum vorstellbar, dass Levit auch nur einen einzigen unaufrichtigen Ton spielen würde – eine Dringlichkeit, der sich auch das von Pietari Inkinen geleitete Festspielorchester mit Sibelius siebter Sinfonie anschloss. Mit Wördehoff wird auch Inkinen Ludwigsburg verlassen, und so kann man die zugegebene sibeliussche „Valse Triste“ durchaus wörtlich nehmen: ein bisschen traurig darf man da schon werden.

Das Stuttgarter Staatsorchester unter Cornelius Meister

07.
Jul.
2019

Für Herz und Hirn

Da wurde es ziemlich eng auf der Bühne des Beethovensaals. Allein acht Hörner und fünf Trompeten verlangt Richard Strauss für seine Sinfonische Dichtung „Ein Heldenleben“, dazu eine massive Streicherbesetzung und allerhand Schlagwerk, und so war inmitten des Staatsorchesters gerade noch Platz für seinen – zum Glück recht schmal gebauten – Chefdirigenten Cornelius Meister. Nun kann eine solche Riesenbesetzung leicht massiv klingen. Die Klangbalance auch im Fortissimo zu wahren zählt hier also zu den vornehmlichsten Aufgaben des Dirigenten. Doch selbst wenn es Meister, etwa in der dramatischen Schilderung der Fährnisse, die der Held zu überwinden hat, schon mal dezent krachen ließ – dröhnend oder gar ungeschlacht geriet es nie. Meister, das beweisen auch seine Operndirigate immer wieder aufs Neue, hat ein Gespür für die Austarierung der Orchestergruppen und verfügt auch über die Fähigkeit, an den entsprechenden Stellschrauben zu drehen. So geriet dieses wirkungsmächtige, von Strauss mit allerlei selbstreferentiellen Bezügen gespickte Stück zu einem vertitablen Orchesterfest, nicht zuletzt auch wegen der famosen Konzertmeisterin Elena Graf, die den Solopart im zweiten Satz mit geradezu verzehrender Intensität gestaltete.
Kein Wunder, dass das Orchester am Ende dieses letzten Sinfoniekonzerts der Spielzeit gefeiert wurde, hatte doch auch die erste Programmhälfte schon Außergewöhnliches geboten. Begonnen hatte es mit „Vís-szín-tér“ von Márton Illés, einem Auftragswerk der Staatsoper, an der Illés in der aktuellen Konzertsaison „Composer in focus“ ist. In den drei Sätzen treibt der ungarische Komponist, der unter anderem bei Wolfgang Rihm studiert hat, die klangliche Ausdifferenzierung des Orchestersatzes auf die Spitze. Jenseits von Kategorien wie Melodie oder Harmonik entwickeln sich die Klänge quasi organisch, wobei der Untertitel „Aquarelle“ auf das Ausfransen und Verschwimmen der Klangflächen hinweist, die der Komponist hier mit größter Subtilität aus den Klangmöglichkeiten Orchesterinstrumenten amalgamiert. Strukturell bietet das Werk zumindest beim ersten Hören kaum Orientierungspunkte – man muss sich, sozusagen im Sinne des Zen, ganz auf das einlassen, was im Hier und Jetzt passiert.
In dieser Hinsicht macht es einem Frank Martin mit seinem Concerto für 7 Blasinstrumente, Pauken, Schlagzeug und Streicherorchester leichter. Das Werk ist eine zeitgenössische Wiederbelebung des barocken Prinzips des Konzertierens, bei dem Soloinstrumente gegenüber einem Orchester ihre virtuosen Fähigkeiten demonstrieren. Musik, die Herz und Hirn gleichermaßen anspricht und die zu hören insofern ein großes Vergnügen war, als sich sowohl Solisten wie Orchester auf Martins rhythmisch dominierte Musik mit spürbarer Begeisterung und technischer Brillanz einließen. Am Ende zählt: das Kollektiv.

STZN

Mnozil Brass begeistert bei den Jazz Open Stuttgart

06.
Jul.
2019

Er wisse auch nicht, sagt Trompeter Thomas Gansch am Ende des Auftritts mit Mnozil Brass, warum sie eigentlich auf ein Jazzfestival eingeladen worden seien – pure Selbstironie, hat er er doch gerade zuvor mit seinen Improvisationen über eine groovig hingelegte Jazznummer bewiesen, dass seine Mitwirkung jeder Jazzcombo dieser Welt zur Ehre gereichen würde. Aber klar – Mnozil Brass, zum ersten (und hoffentlich nicht letzten!) Mal bei den Jazz Open zu Gast, wurde nicht als Jazzband berühmt, sondern als schräge Truppe, die mit ihrer Verbindung aus Slapstickhumor und musikalischer Vielseitigkeit praktisch ein neues Genre erfunden hat. Ihr Programm „Gold“ – sie haben auch andere, thematisch gebundene – ist sozusagen für Mnozil-Einsteiger: lose verbundene Kabinettstückchen, bei denen die humoristischen wie musikalischen Stärken der Truppe zur Geltung kommen. Militärmusik bekommt dabei ebenso ihr Fett weg wie zeitgenössische E-Musik, dazu kommt eine zwerchfellerschütternde Nasenflötenperformance, und auch Zoltan Kiss darf als Supermacho mit Goldkette zeigen, dass er nicht nur über Brustbehaarung verfügt, sondern ein Posaunist der Sonderklasse ist.

Mag sich der ein oder andere Mnozil-Neuling im restlos gefüllten Hof des Alten Schlosses zu Beginn vielleicht noch gefragt haben, bei welchen Quatschköpfen er denn da gelandet ist – am Ende hatten die Wiener Anarchobläser alle auf ihre Seite gezogen. Ovationen im Stehen, noch eine fulminant hingelegte Zugabe. Servus, Mnozil!