Beiträge im Archiv März 2014

Andris Nelsons und das City of Birmingham Symphony Orchestra beim Meisterkonzert in Stuttgart

31.
Mrz.
2014

Im Fluss der Musik

Wie klingt das, wenn „die Straße erwacht“? Vielleicht ja so, wie es Sergej Prokofjew in seiner Ballettmusik „Romeo und Julia“ unter diesem Titel komponiert hat: in einem kommoden, man könnte auch sagen – leicht verschlafenen – Tanzrhythmus melden sich die Instrumente zu Wort, bis das Leben so allmählich in Gang kommt. Man kann das so hören und verstehen – und doch könnte die gleiche Musik auch eine völlig andere Geschichte erzählen. Es kann als eine der merkwürdigsten Eigenschaften von Musik gelten, dass sie Konkretes (Geschichten, Stimmungen) abstrahiert (als „tönend bewegte Form“, wie es einst Hanslick ausdrückte) – und damit unsere Seele nachhaltiger rühren kann als wohl jede andere Kunstform. Freilich braucht es dazu Musiker, die zur Imagination fähig sind – wie der lettische Dirigent Andris Nelsons. Das jüngste Meisterkonzert im Beethovensaal mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra, dessen Chefdirigent Nelsons seit fünf Jahren ist, kann als Musterbeispiel eines solchen bildhaften, an Vorstellungen orientierten Musizierens gelten.
Nelsons, der sich beim Dirigieren auch selber völlig verausgabt, fordert von seinen Musikern unbedingten Ausdruck – und den bekommt er. In Richard Strauss´ Tondichtung „Don Juan“ war gleich das Eingangsmotto Beginn eines Spannungsbogens, die erst mit dem letzten Takt des Stücks endete. Dazwischen erlebte man im Fluss der Musik die Irrungen und Wirrungen des Helden mit, seine erotischen Eskapaden, seine Triumphe und Niederlagen. Mal ließ Nelsons sich Zeit, kostete die raffinierten Klangmischungen aus, die Strauss komponiert hat, um das Orchester dann wieder weiterzujagen, hinein in das nächste Abenteuer des Frauenhelden. Nicht nur erschien dabei jeder Takt klanglich durchgeformt, jeder Übergang ausgehört. Auch die Pausen waren nicht bloß Abwesenheit von Klang, sondern gespannte Zeit. So muss es sein.
Dass das Orchester aus Birmingham nicht zur absoluten Spitze zählt– die Violinen klingen etwas stumpf, auch die Präzision ist nicht Weltklasse – störte kaum. Die Leidenschaft und Emphase, mit der hier musiziert wurde, machten das wett. Dazu besitzt das Orchester mir Steven Hudson einen Solooboisten, wie man ihn selten hört. Man musste nochmal extra hinschauen um zu glauben, dass das wirklich eine Oboe war, die sich derart näselfrei strahlend übers Tutti erhob.
Als Solistin für Brahms´ Violinkonzert hatte man Anne-Sophie Mutter engagiert, Deutschlands Premiumgeigerin Nr. 1. Man durfte etwas gespannt sein, wie sich deren Neigung zum vibratosatten Espressivo mit Nelsons´ überbordendem Temperament vertragen würde. Doch siehe da, es funktionierte. Zwar zelebrierte Anne-Sophie Mutter vor allem im Kopfsatz manche Stellen etwas über Gebühr, doch Nelsons hielt das Orchester stets flexibel im Tempo – und die Solistin damit bei Laune. Am schönsten gelang der zweite Satz, wo Mutter ihre berühmten honigsüßen Kantilenen in höchster Lage herzzreißend aussingen ließ.
Auch für die Nachfolge Simon Rattles bei den Berliner Philharmonikern war Andris Nelsons im Gespräch, doch 2015 übernimmt er erst mal die Sinfoniker aus Boston. Das kann was werden. (StZ)

Die deutsche Uraufführung von Christian Josts „Rumor“ am Heidelberger Theater

23.
Mrz.
2014

Mord aus Überredung

RUMOR01

Foto: Florian Merdes

Zeitgenössischen Werken ist oft bloß ein kurzer Ruhm vergönnt: nach der Uraufführung verschwinden viele davon wieder in der Schublade. Das gilt auch für Werke des Musiktheaters, und so darf sich der Komponist Christian Jost schon mal glücklich schätzen, dass seine Oper „Rumor“ nach ihrer Premiere vor zwei Jahren in Antwerpen nun in Heidelberg seine deutsche Uraufführung erfahren hat. Freilich ist Jost nicht irgendwer: mit der Opernadaption von Schimmelpfennigs „Die arabische Nacht“ und dem „Hamlet“ hat der gebürtige Trierer schon achtbare Erfolge an Opernbühnen gefeiert.
Die Vorlage für „Rumor“ ist der Roman „Der süsse Duft des Todes“ des mexikanischen Autors Guillermo Arriaga. Im Zentrum der Handlung steht der Mord an der jungen Adela. Wer sie getötet wird, bleibt unklar, die Männer des Dorfes jedenfalls haben einen Fremden im Visier, der sich mit Vorliebe in den Betten ihrer vernächlässigter Ehefrauen herumzutreiben pflegt. Anstatt den Eindringling aber selber zu liquidieren, versucht man dem jungen Ramón – der Adela oberflächlich kannte – einzureden, diese habe ihn geliebt. Also müsse er – Stichwort Mannesehre – Rache üben. Ramón weigert sich zunächst, gibt am Ende aber dem Drängen nach und ersticht den Fremden. So bildet der Kriminalfall den Rahmen der Geschichte, in der es um Stolz, Eifersucht und verdrängte Sexualität geht – Triebstrukturen einer archaischen Gesellschaft, wie es sie in der mexikanischen Provinz noch geben mag.
Schwierig wird es, wenn man, wie der Regisseur Lorenzo Fioroni in Heidelberg, diesen Plot in das Grillfestambiente einer prolligen Vorstadtsiedlung verlegt, wo Frauen schrill-billige Klamotten und Cowboystiefel tragen und die Männer Pistolengurt und Sheriffhut. Ha, wo man so wenig Geschmack hat, müssen doch Gewalt und Perversion blühen! Ein Klischee, das auch dadurch nicht gemildert wird, als die Geschichte nicht linear erzählt, sondern mittels Rückblenden und Schnitten gebrochen wird. Die Zeitebenen werden hier durcheinander geworfen, sogar die tote Adela taucht wieder auf. Das wirkt modern und verrätselt, hübsch surreal irgendwie. Wirklich besser wird es aber dadurch nicht.
Und die Musik? Christian Jost ist handwerklich sehr versiert: seine Musik besitzt dramatische Kraft, die Orchesterbehandlung ist differenziert, und das von Yordan Kamdzhalov dirigierte Heidelberger Orchester setzt die komplexe Partitur mit Präzision und Emphase in Klang. Nervig wirkt eine gewisse Dauererregtheit: ein ständiges Tosen, Rauschen und Lärmen drängt da aus dem Graben, das auch die gutwilligsten Hörnerven in die Verweigerung treiben kann. Und leider ist der Komponist kein guter Librettist. Seine Sprache ist steif und unpoetisch, manche Sätze klingen, als stammten sie aus einem schlechten Tatort-Drehbuch. Gesungen geht das richtig schief: denn auch ein Melodiker ist Jost nicht.
Dabei ist das vokale Niveau insgesamt hoch. Überzeugen können vor allem Irina Simmes als Adela,  aber auch James Homann (Fremder) und Namwon Huh (Ramón), der nur etwas Probleme mit der deutschen Diktion hat. Ob „Rumor“ es ins Opernrepertoire schaffen wird? Man muss es bezweifeln.

Christina Pluhar und das Ensemble L´Arpeggiata mit Musik von Henry Purcell

17.
Mrz.
2014

Barockes Fest

cd-cover-purcell-pluhar-music-for-a-while-100~_v-image480q_-86e76969c4c6eae737b1aecd7f2fc4c32e479f73Musikalische Crossoverexperimente über Genre- und Stilgrenzen hinweg gab und gibt es viele. Viele davon scheitern, einige gelingen ganz gut, aber wirklich Begeisterndes findet sich selten darunter: meist bleibt als Ergebnis weniger als die Summe seiner Teile. Der erste, der versucht hat, Barockmusik mit Elementen des Jazz anzureichern, war wohl Jacques Loussier, der begnadete Bach-Synkopierer. Viel weiter als Loussier (und auch weiter als die meisten anderen) geht nun die Lautenistin Christina Pluhar, die zusammen mit ihrem fabelhaften Ensemble L´Arpeggiata Musik des englischen Barockkomponisten Henry Purcell quasi als Improvisationsvorlage nimmt – und damit tiefer in deren Kern eindringt als manch historisch-kritischer Originalklängler.
Dabei kommt den Musikern der Umstand zugute, dass Purcells Musik – ähnlich wie Jazzstandards – oft auf bestimmten wiederkehrenden Akkordfolgen (Changes) beruht, über die sich dann trefflich improvisieren lässt. Zwar flicht Wolfgang Muthspiel an der Gitarre ab und an mal ein paar blue notes ein, lässt Gianluigi Trovesi seine Klarinette keck aufjaulen. Doch die Jazzelemente drängen sich nie in den Vordergrund, sondern wirken, als seien sie aus Purcell´s Musik selbst entwickelt. Virtuosität und Spielfreude, gepaart mit einem tiefen Verständnis um historische Musikpraxis münden hier in ein musikalisches Fest, wie man es lange nicht auf Tonträgern gehört hat. Auch wenn das Jahr noch jung ist – diese Scheibe kann jetzt schon als eine der besten Neuerscheinungen des Jahres gelten. Und eine meiner Lieblingsplatten ist sie schon jetzt.

Music for a while. Improvisations on Henry Purcell. Christina Pluhar. Ensemble L´Arpeggiata.

Konzerttipp: Am 03. 07. spielt das Ensemble L´Arpeggiata bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen.

Neue Musik für Zither bei Südseite nachts im Theaterhaus

16.
Mrz.
2014

Nicht bloß in Tirol

Trio Greifer

Trio Greifer

Das „Harry Lime-Thema“ aus Orson Welles´ „Der dritte Mann“ kommt wohl vielen zuerst in den Sinn, wenn sie an die Zither denken. 1950 stand die Platte mit der Filmmusik elf Wochen auf Platz eins der US-Charts. In manchen Ländern hieß der Film bloß noch „The Zither Film“.
Ansonsten ist das Bild der Zither bis heute stark von alpenländischer Volksmusik geprägt. Lederbehoste Herren und fesche Damen, die zusammen Stubenmusik machen, so sieht das weit verbreitete Klischee aus. Zeitgenössische Komponisten können aber in solch soziokulturellen Prägungen auch eine Herausforderung sehen – wobei ihnen die Zither besonders entgegenkommt, als das archaische Instrument (Saiten über einen Kasten gespannt) ein reiches Spektrum an Klangmöglichkeiten bietet. So gibt es bereits eine erkleckliche Anzahl moderner Komponisten von Maurizio Kagel über Dieter Schnebel bis zu Georg Friedrich Haas, die Stücke für Zither geschrieben haben. Freilich kennt die kaum einer.
Das zu ändern, haben sich drei junge Zitherspieler vorgenommen. „Trio Greifer“ nennen sich Reinhilde Gamper, Leopold Hurt und Martin Mallaun – preisgekrönte Virtuosen, die sich eingehend mit neuer Musik und deren Spieltechniken beschäftigt haben. Im Kontext der Reihe Südseite nachts im Theaterhaus haben sie am Freitag abend ein Konzert gegeben, bei dem das leider nur äußerst spärlich anwesende Publikum ein weites Spektrum zeitgenössischer Zithermusik kennenlernen konnte.
Interessant war dabei vor allem, wie die Komponisten mit der Volksmusiktradition der Zither umgehen: ein Dreiklang, und flugs wähnt man sich in Tirol. Konsequenterweise haben die meisten Tonsetzer deshalb nicht bloß tonale Anklänge völlig vermieden, sondern auch die Klanglichkeit in Richtung Perkussion und Geräusch erweitert. Nicht allen freilich gelingt die Umsetzung solch instrumentaler Klangerkundung in ein ästhetisch schlüssiges Konzept. Leopold Hurt dekliniert in seinem „LOGBUCH“ die spieltechnischen Varianten etwas spannungsarm durch, Burkhard Friedrich setzt drei Zithern in „(D)evil Song“ mittels digitalem Zuspieler in einen bemüht wirkenden Heavy Metal-Kontext. Dagegen verbindet Peter Jakober in seinem „Duo für zwei Zithern“ die Erkundung der Grenzgebiete zwischen Ton und Geräusch mit einer spannungsvollen Dramaturgie, während in Georg Friedrich Haas´ „Ein Saitenspiel“ die Konfrontation von reiner Obertonreihe mit Zwölftel(!)tönen bis zum Ende den Eindruck ohrenpeinigender Verstimmtheit nicht auflösen kann.
Fast alle Komponisten begegnen dem Alpenland-Gout der Zither mit einer Strategie der Vermeidung –  bis auf Anselm Schaufler. Sein Stück „…nur der Gedanke daran….“ für Zither und Violine (Barbara Lüneburg) ist von zarten Anklängen an das Zither-Erbe durchweht. Eine traumverlorene Etüde der Zeitlichkeit. So kann man es auch machen. (StZ)