Beiträge der Kategorie ‘U-Musik’

Tim Fischer im Theaterhaus

05.
Dez.
2019

Man erkennt den Song nicht gleich. Denn erst mal rockt die vierköpfige Band rustikal los, im Rammsteinmodus sozusagen, während Nebelschwaden hereinwabern. Dann taucht Tim Fischer auf und beginnt zu singen: „Zu Asche, zu Staub, dem Licht geraubt, doch noch nicht jetzt…“ – und der Groschen fällt. Es ist der Hit aus der Serie „Babylon Berlin“, im Tanzcafé „Moka Efti“ singt ihn eine im Marlene-Dietrich-Look gekleidete Sängerin, die am Ende in einer Explosionswolke verschwindet. Doch Tim Fischer, der in der Serie den Barbesitzer Ilja Tretschkow spielt, bleibt da. Und das noch ziemlich lange. Erst kurz vor 23 Uhr verlässt er die Bühne des T2 im Theaterhaus, begleitet von Ovationen des Publikums. Fischer, 46 Jahre alt, hat an diesem Abend gezeigt, warum er seit 30 Jahren zu den erfolgreichsten Chansonniers in Deutschland gehört.
Das Programm für seine Jubiläumstournee stammt von seinem aktuellen Doppelalbum „Zeitlos“, einer stilistisch weit gefächerten Mischung aus Pop, Schlager, Moritaten und klassischen Chansons. Doch gerade diese Vielseitigkeit zählt zu den Qualitäten von Tim Fischer, der seinen Durchbruch als 18-Jähriger (!) mit einer Zarah Leander-Hommage hatte und schon immer ein Meister der musikalischen Anverwandlung war. Auch heute noch kennt er kaum Berührungsängste. Paolas Schlager „Ich hab ins Paradies gesehen“ wäre auch in Dieter Thomas Kuhn-Manier ironisiert eine ziemlich sichere Nummer, doch Fischer nimmt den Text ernst: „Weißt du, was die sogenannte Freiheit ist? Sie ist eine Lüge, der Versuch, die innere Leere zu vergessen“ heißt es darin, und Fischer, der bittere Jahre mit Alkohol- und Drogenabhängigkeit hinter sich hat, weiß, was das bedeutet.
In der Pause tauscht Fischer den Glitzerfrack gegen Lederhose und Netzhemd, und der Abend gewinnt, gestützt von der exzellenten Band um seinen langjährigen Weggefährten Rainer Bielfeldt, an Fahrt. In „Maulende Rentner“ macht er sich über Senioren lustig, die sich in fremden Ländern über tropfende Hotelwasserhähne beschweren, „Beide Dase däuft“ ist ein Kabinettstück absurder Komik, und in „Hauptbahnhof“ nimmt er gleich das ganze Chansongenre auf die Schippe. Zum grandiosen Finale, Ludwig Hirschs Klassiker „Komm, großer schwarzer Vogel“ trägt Fischer ein schwarzes Federkleid. Allein auf die Tanzeinlagen mit seinem Bühnenboy hätte man wohl verzichten können, sind die doch kaum mehr als Dekoration. Und die hat Tim Fischer nicht nötig.

Mnozil Brass begeistert bei den Jazz Open Stuttgart

06.
Jul.
2019

Er wisse auch nicht, sagt Trompeter Thomas Gansch am Ende des Auftritts mit Mnozil Brass, warum sie eigentlich auf ein Jazzfestival eingeladen worden seien – pure Selbstironie, hat er er doch gerade zuvor mit seinen Improvisationen über eine groovig hingelegte Jazznummer bewiesen, dass seine Mitwirkung jeder Jazzcombo dieser Welt zur Ehre gereichen würde. Aber klar – Mnozil Brass, zum ersten (und hoffentlich nicht letzten!) Mal bei den Jazz Open zu Gast, wurde nicht als Jazzband berühmt, sondern als schräge Truppe, die mit ihrer Verbindung aus Slapstickhumor und musikalischer Vielseitigkeit praktisch ein neues Genre erfunden hat. Ihr Programm „Gold“ – sie haben auch andere, thematisch gebundene – ist sozusagen für Mnozil-Einsteiger: lose verbundene Kabinettstückchen, bei denen die humoristischen wie musikalischen Stärken der Truppe zur Geltung kommen. Militärmusik bekommt dabei ebenso ihr Fett weg wie zeitgenössische E-Musik, dazu kommt eine zwerchfellerschütternde Nasenflötenperformance, und auch Zoltan Kiss darf als Supermacho mit Goldkette zeigen, dass er nicht nur über Brustbehaarung verfügt, sondern ein Posaunist der Sonderklasse ist.

Mag sich der ein oder andere Mnozil-Neuling im restlos gefüllten Hof des Alten Schlosses zu Beginn vielleicht noch gefragt haben, bei welchen Quatschköpfen er denn da gelandet ist – am Ende hatten die Wiener Anarchobläser alle auf ihre Seite gezogen. Ovationen im Stehen, noch eine fulminant hingelegte Zugabe. Servus, Mnozil!

 

Gilbert O´Sullivan in Stuttgart

19.
Apr.
2019

Zugaben? Gab´s keine beim Konzert von Gilbert O´Sullivan im Mozartsaal, obwohl das Publikum beim letzten Stück, dem Hit „Get Down“ so richtig in Stimmung gekommen war und einige sogar zu tanzen begannen. Doch O´Sullivan und sein Mitmusiker winkten noch einmal freundlich in den Saal, dann wurde das Licht angeknipst und die Musikberieselung hochgefahren: The Beatles, „With a little help from my friends“.
Klar, kann man so machen. Es wäre aber auch ein etwas liebevollerer Umgang mit dem Publikum denkbar gewesen, das viele Liedtexte des irischen Barden mitsingen kann – „Matrimony“, „Alone again“, und natürlich „Clair“, eine Liebeserklärung an die damals dreijährige Tochter seines Managers, die heute wahrscheinlich unter Pädophilieverdacht geraten würde. Alles Songs aus den siebziger Jahren, als Gilbert O´Sullivan neben Elton John als größte britische Musikexporthoffnung galt und mit „Alone again“ sogar einen Nr. 1 Hit in den USA landete. Was seine Alben damals durchweg auszeichnete, waren neben O´Sullivans samtig-gepresster Stimme – sie erinnere an „ein Kornett aus den 20er Jahren, das man auf einem Trichtergrammophon hört“, schrieb das Rocklexikon – die ausgesprochen interessanten Arrangements mit einem breiten Spektrum an Instrumenten.
Davon blieb bei seinem Konzert rein gar nichts übrig, hatte O´Sullivan doch außer seinem sehr versierten Gitarristen Bill Shanley keine weiteren Mitmusiker dabei und begleitete sich selbst auf einem billig klingenden Keyboard. Das erinnerte an einen Alleinunterhalter und war schon allein eigentlich eine Zumutung, doch spätestens als bei einigen rhythmisch bewegteren Songs noch Schlagzeugsamples und künstliche Bässe dazukamen, konnte man sich fragen, ob man nicht lieber zuhause geblieben wäre und eine von O´Sullivans tollen Platten gehört hätte. Nach einem Konzert, so erzählte Gilbert O´Sullivan, hätte ihm einmal ein Zuschauer erzählt, er hätte zwar seinen Lieblingssong gespielt, diesen aber ruiniert. Vielleicht hätte er auf ihn hören sollen.

Die Jazz Open in Stuttgart

23.
Jul.
2018

Grüße aus dem All

Eigentlich, so denkt man, kann es bei Popkonzerten nicht mehr viel Neues geben. Es mag vielleicht immer noch ein bisschen größer, lauter, aufwendiger gehen – aber sonst? Nun war die Band Kraftwerk mit ihren spacigen 3D-Shows bühnentechnologisch schon immer weit vorn, was sich aber am Donnerstagabend auf der Open-Air-Bühne vor dem Neuen Schloss in Stuttgart abgespielt hat, dürfte Popgeschichte schreiben. Es geschah beim letzten Stück des Programms, als plötzlich ein Mann im weißen T-Shirt auf der riesigen Videoleinwand erschien: Alexander Gerst meldete sich live von der Raumstation ISS. „Guten Abend Kraftwerk, guten Abend Stuttgart“ sprach er, mit fünf Sekunden Zeitverzögerung aus 400 Kilometer Höhe zu den 7000 völlig verdutzten Menschen im ausverkauften Schlosshof. Doch damit nicht genug, Gerst klinkte sich mit Hilfe eines Tabletcomputers auch noch musikalisch in das Stück „Spacelab“ ein und spielte gemeinsam mit der Band. Ein megacooler, geradezu galaktischer Coup ist damit den Veranstaltern gelungen, der von langer Hand vorbereitet war. Die Idee dazu stammt von Alexander Gerst selber, der Kraftwerk-Fan ist und mit der Band schon vor seinem Flug ins All die Sache eingefädelt hatte. Die Datenleitung von der ISS wurde über die Weltraumorganisation ESA nach Paris und dann mit Hilfe des SWR nach Stuttgart geführt.
Ein Superlativ, der denn auch in Zukunft schwer zu toppen sein dürfte, aber auch sonst waren diese Jubiläums-Jazz Open – zum 25. Mal fanden sie nun in Stuttgart statt – wohl die stimmigsten und erfolgreichsten in ihrer Geschichte. Fast alle Konzerte waren ausverkauft, mit ingesamt 45000 Besuchern gab es einen neuen Rekord, und das hat viel damit zu tun, dass die Veranstalter nach vielen Jahren des Experimentierens für alle Stilrichtungen passende Spielorte gefunden haben. Die große Open-Air-Bühne auf dem Schlossplatz war dieses Mal jenen massentauglichen Popkonzerten vorbehalten, die auch von der beschränkten Klangqualität im weiten Rund nicht allzusehr in Mitleidenschaft gezogen werden. Hier ging es vor allem um Event und gute Laune, und so begann die große Party am Mittwoch mit der Brit-Funkband Jamiroquai und endete am Sonntagabend mit dem Auftritt der Fantastischen Vier. Das stimmungsvollste Ambiente bot dagegen der Hof im Alten Schloss, wo Jazzgrößen wie Gregory Porter, Pat Metheny, Stanley Clarke und Till Brönner spielten. Zauberhaft die Stimmung an den lauen Sommerabenden, wenn bei Anbruch der Dunkelheit die Galerien in sanftem Rot illuminiert wurden.
Das eigentliche Herz der Jazz Open freilich schlägt schon immer im Jazzclub BIX, wo
auch in diesem Jahr das musikalisch überragende Konzert stattfand. Der Saxofonist Chico Freeman spielte mit seiner fantastischen Band vor einer zwar überschaubaren, aber umso enthusiasmierteren Schar von Fans. So ist das eben: die Anzahl der Zuhörer steht manchmal im umgekehrten Verhältnis zur Qualität der Musik. Eine Erfahrung, aus der die Veranstalter ihre Lehren gezogen haben.

(Südkurier)

Max Raabe sang mit dem Palast-Orchester im Beethovensaal

21.
Feb.
2018

Haltung ist alles. Wenn sich Max Raabe verbeugt, dann tut er das mit jener diskreten Eleganz, die an Oberkellner in Grand Hotels erinnert: Hals und Oberkörper leicht geneigt, in exakter Linie mit dem Kopf – distinguiert, könnte man sagen, wie alles an Raabes Habitus, der heute komplett aus der Zeit gefallen wirkt. Kaum einmal verzieht er eine Miene, allenfalls ein Zucken der Mundwinkel oder ein leichtes Heben einer Braue lässt sich als Hinweis deuten, eben Gesagtes bitteschön ironisch verstehen zu wollen.
Wie immer singt Max Raabe auch an diesem Abend im gut gefüllten Beethovensaal eine Mischung aus Liedern – Schlager möchte man sie nicht nennen – der 20er und 30er-Jahre mit aktuellen Stücken, diesmal aus seiner neuen CD „Der perfekte Moment…“, dem ersten neuen Album nach fünf Jahren. Daraus ist auch Raabes Einstiegssong, „Guten Tag, liebes Glück“. Der Text ist banal, er handelt vom Glück, das da angeblich vor der Tür steht und darum, es reinzulassen und ihm „Kaffee oder Tee“ anzubieten. Doch das schlichte, von Ex-Rosenstolzsänger Peter Plate mitkomponierte Lied kommt eben auch musikalisch nicht in Fahrt, und hier zeigt sich Max Raabes Problem, wenn es darum geht, neues Repertoire abseits der ausgetretenen Pfade zu gewinnen: heutige Komponisten der sogenannten leichten Muse sind im Vergleich zu denen der Vorkriegszeit meist musikalische Dünnbrettbohrer. Robert Stolz etwa, von dem Raabe danach „Du bist meine Greta Garbo“ und im Verlauf des Abends zwei weitere Lieder singt, war ein umfassend ausgebildeter Komponist und Kapellmeister, der über 60 Operetten geschrieben hat. Eine musikalische Autorität, wie auch Friedrich Hollaender oder Peter Kreuder, deren Beherrschung des Handwerks eben auch in ihren populären Liedern deutlich wird. Da nützt es dann auch nicht viel, wenn Annette Humpe in ihrem für Raabe komponierten „Ich bin dein Mann“ die Reimlust der Vorkriegshits zitiert und „Möwe“ auf „Löwe“ und „Orang-Utan“ auf „Truthahn“ reimt. Schlechte Musik bleibt schlechte Musik.
So muss man sich an dem Abend an das Bewährte halten – was aber leicht fällt, da das fabelhafte, diesmal durch die Geigerin Cecilia Crisafulli charmant erweiterte Palast-Orchester mit der gewohnten lässigen Souveränität agiert. Auch Klassiker wie „Ich küsse Ihre Hand, Madame“ oder „Singing in the rain“ geraten da mittels ausgefeilter Arrangements und nonchalanter Entertainmenteinlagen zum ungetrübten Hör- und Sehvergnügen, zumal Max Raabes Stimme auch in den Falsettlagen nichts an Schmelz eingebüsst hat. Angesichts der aktuellen, überhitzten Sexismusdebatte kann man sich freilich fragen, ob Feministinnen demnächst auch verhalten frivole Texte wie „Wenn die Elisabeth nicht so schöne Beine hätt´“ oder „Amalie geht mit ´nem Gummikavalier ins Bad“ als potentiell frauenfeindlich ins Visier nehmen werden. Dann, Max Raabe, heißt es: Haltung bewahren.

Die King´s Singers im Theaterhaus

09.
Feb.
2018

Den Markenkern bewahrt

Die King´s Singers luden zum Jubiläumskonzert, und viele waren gekommen: annähernd ausverkauft war das T1 des Theaterhauses, als die sechs smarten Herren anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens ihr Programm „Gold“ präsentierten. Keines der jetzigen Mitglieder war geboren, als das Ensemble 1968 von ehemaligen Chorstudenten des King’s College der Universität Cambridge gegründet wurde. Es gab zahlreiche Umbesetzungen, zuletzt trat der Countertenor Patrick Dunachie vor 2 Jahren dem Ensemble bei, das sich seinen Markenkern bis heute bewahrt hat: die enorme stilistische Bandbreite von Renaissancemusik bis zu Pop, gesungen auf einem Niveau nahe der Perfektionsgrenze. Das zeigten die in feinem Zwirn und Krawatten gekleideten King´s Singers auch im Theaterhaus, wobei gerade bei Renaissancemusik von Juan Vasquez oder Ludwig Senfl der Umstand schmerzlich ins Gewicht fiel, dass sie nicht in einem Kirchenraum, sondern in der trockenen Akustik des Theaterhauses dargeboten und dazu noch durch Mikrofone verstärkt wurde. Das nahm dem ansonsten hochklassigen Konzert viel von seinem Reiz, ist es doch der betörende, durch die ungewöhnliche Besetzung mit zwei Baritonen dunkel grundierte Stimmklang, der die King´s Singers auszeichnet. Auch die Verblendung der Stimmen litt unter dem nicht vorhandenen Raumklang, gerade auch bei romantischen Gesängen wie denen von Max Reger oder Saint-Saens, wo die Einzelstimmen in den Hörfokus rückten.
Weniger ins Gewicht fiel dies nach der Pause, als es ans populäre Genre ging. Bei raffinierten Arrangements von Jazz- und Popstandards wie Cole Porters „Night and Day“ oder dem Beatlessong „I follow the sun“ zeigten die Sechs ihre ganze vokale Exzellenz, speziell in puncto Intonation: sauberer geht’s kaum. Und unterhaltsamer auch nicht, denn auch was britischen Humor anbelangt, bleiben die neuen King´s Singers der Tradition ihrer Vorgänger treu. Die Schlussovationen nach einer hinreißend zelebrierten Version von Rossinis Wilhelm-Tell-Ouvertüre fielen entsprechend aus.

Die Corea/Gadd Band spielte im Hegelsaal

03.
Nov.
2017

Es war im Jahr 1972, als die erste Platte von Chick Coreas Formation Return to Forever erschien. Ein Jahr zuvor hatte John McLaughlin mit seinem Album „The Inner Mounting Flame“ den Fusionjazz auf ein neues Komplexitätslevel gehoben, und auch Corea selbst hatte zuvor als Bandmitglied von Miles Davis schon einiges zur Elektrifizierung des Jazz beigetragen. Härter, schneller, technischer – das war damals der Trend, und umso überraschender konnte einem der Sound von „Return to Forever“ vorkommen: melodisch inspirierter Kammerjazz, der mit Ausnahme von Stanley Clarkes E-Bass – auf der B-Seite spielt er Kontrabass – und Coreas Fender Rhodes Piano komplett auf akustischen Instrumenten gespielt wurde. Weniger war mehr in dieser feinen Musik, die eine große Freiheit atmete. Die Engelsstimme von Flora Purim, der Frau des Perkussionisten Airto Moreira, passte dazu perfekt.

Seitdem ist viel Zeit vergangen. Nach dem zweiten Album „Light as a feather“ orientierte sich auch Return to forever stärker in Richtung Fusionjazz, wozu auch der Schlagzeuger Steve Gadd seinen Teil beitrug, der nun zusammen mit Chick Corea und vier handverlesenen Musikernim Rahmen der Jazz Open Nights im Hegelsaal einen grandiosen Konzertabend spielte. Souveräner, fesselnder, technisch hochkarätiger als von dieser Band kann Jazz heute kaum sein – und das lag zum großen Teil an den beiden Protagonisten Corea und Gadd selbst. Corea, der von der linken Seite aus an Yamahaflügel, E-Piano und Keyboard die Fäden zieht, und Gadd, der, in seiner gewohnt tiefen Sitzposition, am rechten Bühnenrand den Rhythmus vorgibt. Der venezolanische Perkussionist Luisito Quintero ergänzt Gadds Schlagzeugspiel, das in seiner ökonomischen Differenziertheit immer noch einzigartig ist mit südamerikanischen Texturen, Steve Wilson brilliert an Saxofon und Querflöte. Und was man heutzutage als Bassist draufhaben kann, zeigt der gebürtige Kubaner Carlitos Del Puerto. Der ist nicht nur ein Wahnsinnstyp am E-Bass, auch solch flinkfingrige Kontrabass-Soli, wie er sie in höchsten Lagen zaubert, hat man noch kaum je gehört. Als Gitarrist schließlich ist Lionel Loueke mit von der Partie, den die Jazzfans erst im Sommer beim Auftritt von Herbie Hancock bei den Jazz Open im Hof des Alten Schlosses hören konnten. Dass sich der zum Ziel gesetzt hat, einen eigenen Stil jenseits klassischer Vorbilder zu entwickeln, war damals schon zu merken, wobei – und das bleibt der einzige Krititpunkt an diesem Abend – seine jauligen Synthesizersounds mit der Zeit ein wenig nerven können. Ansonsten aber liefert er sich ein ums andere Mal hoch spannende Dialoge mit Corea, der an diesem Abend, anders als bei seinem etwas kaltschnäuzigen Auftritt mit Branford Marsalis bei den Jazz Open 2016, in auffallend aufgeräumter, dem Publikum zugewandter Stimmung ist.

Die Stücke stammen überwiegend aus dem neuen, demnächst erscheinenden Album „Chinese Butterfly“, darunter auch eines aus der Feder von Gitarrengott John McLaughlin. Musik, die auf souveräne Manier den Bogen über die Jazzhistorie schlägt – wie in „Serenity“, wo sich aus einem versonnenen Klavierintro heraus allmählich Strukturen herauskristallisieren und in ein lateinamerikanisch inspiriertes Rhythmusgeflecht übergehen. Dieser souveräne Umgang mit Genres und Stilen macht einen Großteil der Klasse des Konzerts aus: diese Jungs haben alles drauf, aber sie müssen es nicht mehr beweisen. Den Schlusspunkt setzt die Band mit zwei Stücken aus frühen Return to Forever-Zeiten. Zunächst das gleichnamige Titelstück des ersten Albums. Statt Flora Purim singt Lionel Loueke, und auch sonst ist die Fragilität des Originals, analog zu unseren härter gewordenen Zeiten, einem robusteren Zugriff gewichen. Bei der Zugabe schließlich, „Spain“, übt Corea mit dem Publikum noch ein wenig Mitsingen. Am Ende ist alles gut. Alle sind glücklich, die Zuhörer erheben sich, die Musiker nehmen sich in den Arm. Und zuhause legt man noch einmal die alte Return to Forever-Scheibe auf.

Das Sirius Quartet in Stuttgart

01.
Nov.
2017

Symbiose der Kulturen

Am Tag nach Donald Trumps Wahl zum Präsidenten, so erzählt der Geiger Gregor Hübner, habe er mit der Komposition begonnen. Und wirklich: Hübners Ingrimm über den desaströsen Wahlausgang kann man seinem Stück „New World, Nov. 9 2016“ durchaus anhören, das er nun beim Konzert seines Sirius Quartet im Theaterhaus gespielt hat. Anlass für die Komposition war ein Wettbewerb, den die New Yorker Philharmoniker ausgeschrieben hatten – mit der Vorgabe, für ein neues Werk Themen aus Dvoraks neunter Sinfonie zu verwenden, die in den USA einst zum Synonym für die neue nationale Sinfonik wurde. Und so hat Hübner, der in Stuttgart geboren wurde und seit langem in New York lebt, das berühmte Englischhornthema aus dem Largo gründlich durch den Fleischwolf gedreht und es in neue rhythmische und harmonische Kontexte gestellt. Herausgekommen ist ein pointiert vielschichtiges, kurzweiliges Stück, für das Hübner, wie er bei der Ansage leicht schwäbelnd und quasi nebenbei bemerkt, den ersten Preis des Wettbewerbs gewonnen hat.
Seit über zehn Jahren gibt es nun das Sirius Quartet. Mit traditionellen Streichquartetten hat es eigentlich nur noch die Besetzung gemeinsam, musikalisch geht es insofern neue Wege, als es überwiegend Eigenkompositionen spielt, innerhalb derer Improvisation ein integrales Element darstellt. Jazz, Pop, Weltmusik und zeitgenössische E-Musik gehen dabei derart homogen ineinander auf, dass man den abgenutzten Begriff Crossover darauf gar nicht anwenden möchte: was die vier Musiker da im Lauf der Jahre entwickelt haben, darf als dezidiert eigener Stil durchgehen. Eine Symbiose unterschiedlicher Kulturen, aus der sich die individuellen musikalischen Sozialisationen der einzelnen Musiker aber durchaus heraushören lassen. Bei Hübners Stücken etwa schimmern immer wieder Reminiszenzen an den argentinischen Tango Nuevo durch. Bei den von repetitiven Mustern durchzogenen Kompositionen des Cellisten Jeremy Harman meint man Einflüsse der minimal music zu erkennen, während der aus Malaysia stammende Geiger Fugh Chern Whei auf subtile Manier Folklorismen mit neuer Musik verbindet.
Alle Stücke des Sirius Quartet eint, dass ihre, vor allem rhythmische, Komplexität niemals in Kompliziertheit umschlägt: das bleibt immer fasslich und hörbar, was vielleicht auch an der Arbeitsteilung innerhalb des Ensembles liegt. Groovende Patterns des Cellisten bilden oft die Basis für solistische Höhenflüge der beiden auch technisch beschlagenen Geiger, zuverlässig assistiert vom Bratschisten Ron Lawrence, der als einziger nicht als Komponist in Erscheinung tritt. So schlägt das Sirius Quartet einen grandiosen Bogen über die Musik unserer Zeit, die selbstverständlich auch Pop mit einschließt: „Eleanor Rigby“ von den Beatles setzt an diesem Abend den fulminanten Schlusspunkt. (STZN)

Die SWR1 Hitparade. Oldies in der Endlosschleife

23.
Okt.
2017

Montag morgen um fünf Uhr war der Startschuss mit Platz 1070: Mike Oldfields „Shadow on the Wall“, und von nun an geht es nonstop durch bis zum kommenden Freitag, wenn bei der Finalparty der SWR1 Hitparade in der ausverkauften Schleyerhalle gegen 21.50 Uhr der Siegertitel bekanntgegeben wird. Das wird, wie immer, „Stairway to heaven“ von Led Zeppelin sein, gefolgt von Queens „Bohemian Rhapsody“ und „Child in time“ von Deep Purple. Alles andere wäre eine kleine Sensation. Nur einmal, 2013, landete Queen auf dem ersten Platz, knapp vor Led Zeppelin – was die Fans der bereits 1980 aufgelösten Band in den folgenden Jahren verstärkt zur Abstimmung angestachelt haben dürfte. Seitdem ist die alte Ordnung wieder hergestellt.
Der Ausgang der SWR1 Hitparade ist, zumindest was die Siegertitel anbelangt, ungefähr so spannend wie Tischtennisweltmeisterschaften mit chinesischer Beteiligung. Auch wenn saisonbedingt mal der ein oder aktuelle Hit wie Helene Fischers „Atemlos“ (in diesem Jahr vermutlich Luis Fonsis Sommerhit „Despacito“) in die oberen Ränge gespült wird: das Gros der Titel besteht aus jenem Basisrepertoire von Oldies, das von SWR1 tagein, tagaus in einer Art Endlosschleife durchgenudelt wird, von ABBA bis Billy Joel, von Phil Collins bis zu den Eagles. Der Hörerbegeisterung tut dies keinerlei Abbruch, im Gegenteil: In der Berechenbarkeit besteht die Attraktivität nicht nur der Hitparade, sondern des Senders SWR1 insgesamt. Das Publikum, so SWR1-Redakteur Maik Schieber, der auch öffentliche Veranstaltungen moderiert, reagiere regelrecht verwundert, wenn man einen Titel spiele, der kein bekannter Hit sei. Zwar werden seit Anfang Juli, wo das Programm für Baden-Württemberg nicht mehr aus Baden-Baden, sondern aus Stuttgart kommt, nach 20 Uhr auch vermehrt Stücke jenseits des Mainstreams gespielt. Dennoch bildet die Musik der 70er und 80er Jahre den Markenkern von SWR1, dessen avisierte Zielgruppe in dieser Zeit musikalisch sozialisiert worden ist. Es war die Zeit der alten Bundesrepublik, in der Popmusik für Heranwachsende eine viel größere Bedeutung hatte als heute. Eltern waren in der Regel spießig und nicht cool. Lange Haare galten ebenso als Zeichen der Rebellion wie Rockmusik, und wo sich heute Jugendliche in ihrer Freizeit mit Snapchat und Youtube die Zeit am Smartphone vertreiben, ging man damals ins Jugendhaus, wo man Selbstgedrehte rauchte. Es war die Generation der Babyboomer, die anders sein wollten als ihre Eltern, und Rock lieferte ihr dafür das Rollenmodell, wobei das Spektrum der musikalischen Stile zwischen John Denver und AC/DC für jeden Charakter etwas Passendes bereithielt.
Dass der Revoluzzergestus des Rock im Modus der SWR1 Dauerberieselung zur Pose verkümmert ist, dass, was einst gefährlich war, heute gemütlich ist, hat mit dem gesellschaftlichen Wandel zu tun. Wer in den 70ern und 80ern jung war, hatte praktisch eine Gewähr auf einen festen Job. Die Welt war überschaubar, der Eiserne Vorhang noch geschlossen, China war keine ökonomische Weltmacht und der Anpassungsdruck für den Einzelnen so schwach, dass man sich ein bisschen Rebellion gut leisten konnte. Wenn es schief ging, trampte man halt nach Berlin und lebte dort billig in einer WG.
Globalisierung und Digitalisierung haben damit gründlich aufgeräumt. Das Leben ist heute weniger berechenbar geworden. Wer nicht aufpasst, landet nach 18 Monaten Arbeitslosigkeit in Hartz 4 und läuft Gefahr, unter die Räder zu kommen.
So sind Oldieparties wie die am Samstag in der Schleyerhalle auch eine Art Retroveranstaltung für die Generation 50plus, die dabei nostalgisch auf jene guten alten Zeiten zurückblickt, in denen ein Gitarrensolo noch eine unverhohlene Darstellung sexueller Potenz sein durfte und das Verwüsten von Hotelzimmern zu den Grundkompetenzen von Rockmusikern zählte. Auch wenn man selber wenig später den ersten Bausparvertrag abgeschlossen hatte und heute das Reihenhaus abbezahlt ist. Man hat da, im Rückblick gesehen, vielleicht doch ziemlich Glück gehabt.

Die Jazz Open in Stuttgart

17.
Jul.
2017

Fitte Jazz-Senioren

„Let the good times roll“ – der Rhythm & Blues Standard, den einst Ray Charles berühmt machte, bildete den Abschluss der Jazz Open in Stuttgart und könnte gut als Motto für das diesjährige Festival dienen. Denn nicht nur beim Schlusskonzert mit Quincy Jones, Dee Dee Bridgewater und George Benson wurden die guten alten Zeiten des Jazz beschwört, insgesamt dominierten die Senioren zumindest die Hauptacts auf der open air-Bühne auf dem Schlossplatz. „We play some vintage music“ bekannte etwa Steve Winwood, 69, bei seinem Auftritt innerhalb der Blues Rock Night am Freitag. Der ehemalige Frontmann von Traffic mag nicht mehr so virtuos Gitarrespielen wie einst, seine Stimme aber hat ihr charakteristisches Timbre nicht verloren, und so war sein Auftritt mit Titeln wie „Low Spark of High Heel Boys“ oder „Can´t Find my Way Home“ ebenso ein musikalischer Nostalgietrip in die 60er und 70er Jahre wie der folgende Auftritt der Bluesgitarrenlegende Buddy Guy. Der 80-jährige hatte merklich Spaß daran, das Publikum mit geschredderten Licks aus den höchsten Lagen seiner Fender Stratocaster zu traktieren und spielte ansonsten, was von ihm erwartet wurde: ehrlichen, erdigen Blues.
Körperlich wirkte er dabei fast so fit wie Herbie Hancock. Dessen Auftritt im heimeligen Ambiente des Alten Schlosses war gerade deshalb ein Highlight des Festivals, weil er nicht bei seinen Wurzeln stehengeblieben ist, sondern mit seiner hochkarätig besetzten Band (darunter Ex- Frank Zappa-Drummer Vinnie Colaiuta) den aktuellen Stand des elektrifizierten Jazz eindrucksvoll demonstrierte.
Ebenfalls Größe bewies ein anderer 77-Jähriger: Tom Jones. Sein umjubeltes Konzert war nicht nur eine Reminiszenz an die goldenen Zeiten des Pop der 60erJahre mit Hits wie „Delilah“ oder „It´s Not Unusual“, vor allem machte er mit seiner starken Band klar, was dem Pop heutzutage meist fehlt: Können, Stil und Geschmack. Denn Jones sang nicht nur mit einer nach wie vor warmen, ausdrucksstarken Stimme, sondern präsentierte sich dabei als Entertainer von internationalem Format, der sein Schaffen aus fünf Jahrzehnten Revue passieren ließ und dabei auch en passant Blues, Gospel und Country streifte.
War bei seinem Auftritt die Generation 50plus weitgehend unter sich, hatte zwei Tage zuvor Jan Delay mit seiner Band Disko No.1 ein junges Publikum auf dem Schlossplatz zum Tanzen gebracht. Partystimmung allenthalben, ähnlich wie am Montag bei Jazz Open-Dauergast Jamie Cullum, den das Stuttgarter Publikum offenbar ins Herz geschlossen hat – wobei man es als zumindest unglücklich bezeichnen darf, dass der grandiosen Norah Jones an dem Abend nur die undankbare Rolle einer Quasi-Vorgruppe geblieben war. Und auch wenn die großen Namen naturgemäß am meisten Beachtung fanden, gab es doch auch im Jazzclub BIX den ein oder anderen Höhepunkt: von der hypertalentierten, gerade mal 20-jährigen polnischen Bassistin Kinga Glyk etwa dürfte man noch hören. (Südkurier)