Porträt Thomas Wördehoff
Liebe ist das Gegenteil von Angst
Seit dieser Saison ist Thomas Wördehoff Intendant der Ludwigsburger Schlossfestspiele
Was ist Heimat? Seit einiger Zeit sei das für ihn „die zentrale Frage“, sagt Thomas Wördehoff, und er wirkt nachdenklich dabei. Vielleicht ist es Zufall, dass Markgröningen, wo der neue Intendant der Ludwigsburger Schlossfestspiele nun wohnt, ungefähr soviele Einwohner hat wie Kierspe – jenes westfälische Städtchen zwischen Lüdenscheid und Gummersbach, wo Wördehoff 1953 geboren wurde. Vielleicht bietet die Überschaubarkeit des kleinstädtischen Lebens aber auch eine Art Entspannung für jemanden, dessen berufliche Laufbahn sich bisher überwiegend in den europäischen Kulturmetropolen abgespielt hat. Wördehoff studierte in Frankfurt Musikgeschichte, Germanistik und Anglistik und arbeitete dann als Dramaturg und Spielleiter an den Bühnen in Hamburg, Berlin und Paris. Außerdem wirkte bei den Festspielen in Bregenz und Salzburg, in Zürich war er Feuilletonchef der „Weltwoche“. Auch an der Stuttgarter Oper gab er ein Gastspiel als Dramaturg, damals wohnte er zusammen mit Hans Neuenfels in der Akademie Schloss Solitude. Kann denn, wer ein derart unstetes Leben führt, überhaupt einen Begriff von Heimat haben? Ja, sagt Wördehoff und kommt nach kurzer Überlegung auf Wien, wo seine Freundin wohnt und er eine kleine Wohnung besitzt. Durchschnittlich eine Woche pro Monat ist Thomas Wördehoff dort, und dass er auch die traditionelle Wiener Küche schätzt, wundert bei einem Sinnesmenschen wie ihm nicht. Die Traditionsverwurzelung sei es, die er an Wien so liebe, der Mut zur Identität, der sich aus einem kulturellen Zusammenhang rekrutiere. Das erotisiere ihn. Auch deshalb interessiert ihn zurzeit keine Musik so sehr wie die Volksmusik – die für ihn im Übrigen erst auf der Höhe von Bayern beginnt – was sich nördlich davon abspielt, besitzt für Thomas Wördehoff keine Verbindlichkeit. In diesem Zusammenhang wird auch nachvollziehbar, warum er für die Schlossfestspiele das Südtiroler Ensemble Franui für gleich drei Projekte verpflichtet hat. Die Gruppe, deren Namen sich aus der Bezeichnung für eine Almwiese im kleinen Osttiroler Dorf Innervillgraten ableitet, fördert nach eigener Definition „Geschichte und Geschichten aus dem unterirdischen Ausstellungsraum des ländlichen Lebens“ zutage, und nach einer schöneren Metapher muss man wirklich lange suchen.
Franui nähert sich Mahler, Schubert und Brahms aus dem Geist der Volksmusik, und dass es keine Hierarchien innerhalb der Künste gibt, ist eine der Grundüberzeugungen Wördehoffs. Während seiner Tätigkeit als Chefdramaturg der Ruhrtriennale war er für Jazz und Popmusik zuständig, und wie viele seiner Generation ist er mit dieser Musik groß geworden. Die erste Platte, die ihn tief bewegte, war Frank Sinatras „Only the lonely“. Ein „Wahnsinnsalbum“ sei das, so unfassbar traurig. Er zog es aus dem Plattenschrank seiner Mutter, in dem viel Swing und Jazz stand: Ella Fitzgerald, Tony Bennett, das Great American Song Book. Fünf Jahre alt war er damals, ein Einzelkind, die Eltern lebten getrennt, seinen Vater lernte er erst später kennen.
Die ganze Schulzeit bis zur Oberstufe verbrachte er in einem Internat in Schönberg im Taunus, „ein wunderbares Internat“ sei es gewesen. Der Betreiber war ein enger Freund von Arno Schmidt und veranstaltete literarische Treffen, „das war wahnsinnig geheimnisvoll“. Einmal im Monat, das Internat lag mitten im Wald, fuhren abends die Autos vor und es entstiegen, wie er aus seinem Zimmerfenster beobachtete, die Koryphäen der damaligen Literatur: Dürrenmatt, Frisch, Köppen. Doch deren Lesungen waren nur für die älteren Klassen. „Ich war zu klein“.
Als Jugendlicher entdeckte er die Pop-und Rockmusik, Beatles, die Who. Und Elton John. Bei unserem Treffen trägt Thomas Wördehoff ein Poloshirt mit einer aufgestickten Unterschrift Elton Johns, darunter „World Tour“. Es stammt von 1998, damals spielte Elton John solo auf der Waldbühne in Berlin, ein Konzert, das Wördehoff nachhaltig beeindruckt hat. Später, als Journalist, hatte er die Gelegenheit, ihn zu interviewen. Er habe Witz und Charme, sei dabei aber total unsicher. „Ein guter Typ“.
Die Liebe zur Klassik und zur Oper kam mit Verdi, es war eine Initialzündung. Während der Schulzeit jobbte Wördehoff als Statist an der Frankfurter Oper, sein erstes Stück war Verdis Don Carlos. „Da stand ich dann mit einer Hellebarde rum und die Musik ging mir sowas von in die Knochen, das war unglaublich“. Von da an hat ihn die Bühne nicht mehr losgelassen. Es war vor allem ein Regisseur, der ihn während seiner Arbeit an diversen Opernhäusern stark geprägt hat: Hans Neuenfels, mit dem ihn seit 1975 eine tiefe Freundschaft verbindet. Es sei die Unverblümtheit von Neuenfels´ Umgang mit Musik, die Art, wie er das Musiktheater immer in einen gesellschaftlichen Zusammenhang stellt, die ihn tief beeindruckt, sagt Wördehoff.
Von Gerard Mortier wurde Wördehoff 2001 zur Ruhrtriennale geholt, und Mortier wurde die andere wichtige Persönlichkeit, die seine Kunstauffassung stark beeinflusst hat. An Mortier schätzt er den „Drang, das Musiktheater weiter zu fassen als bloße Oper“ – und dessen Mut zum Risiko: Mortier sei ein Spieler, setze auch mal alles auf ein Karte. Das imponiere ihm.
Ob er selbst auch was riskiert? Möglicherweise, sagt Thomas Wördehoff. Aber er merke es nicht immer, obwohl ihm viele Leute gesagt hätten, einiges in seinem ersten Ludwigsburger Programm sei mutig gewesen. Er findet das nicht, und erzählt davon, wie er einige Wochen vor Beginn der Festspiele nachts nicht schlafen konnte, zuviel sei ihm durch den Kopf gegangen. Dann sei er um vier aufgestanden, habe sich an den Schreibtisch gesetzt und sei jede einzelne Produktion durchgegangen um herauszufinden, an welchem Punkt er nervös werde. Er fand keinen.
Unruhe verbreitete Wördehoffs radikaler Neubeginn in Ludwigsburg trotzdem. Vor allem jener Teil des Festspielpublikums, dem es an Repräsentation und dem Glanz großer Stars gelegen ist, begegnet ihm mit hartnäckigen Ressentiments. So hätten ihm einige gesagt, sie würden sein Programm schlecht finden und deshalb nicht kommen, erzählt Wördehoff, und es ist ihm anzumerken, dass ihn solche Aussagen mächtig wurmen. Immerhin: viele wären trotz ihrer Vorbehalte gekommen und hätten ihr Vorurteil anschließend revidiert. Das macht ihm Mut – ebenso wie der Umstand, dass in vielen Konzerten geradezu enthusiastisch applaudiert worden sei. Die Leute bei ihm klatschten so ernsthaft, hätte eine Tänzerin neulich zu ihm gesagt. Das gefällt ihm. Denn das Lauwarme, Mediokre mag er nicht – in der Kunst muss das Feuer brennen, weshalb er auch nur mit Künstlern zusammenarbeitet, bei denen er diese Glut spüren kann.
Aber es gebe eben diese Angst, speziell vor der Kunst. Das Gegenteil von Liebe sei nicht Hass, sondern Angst – über diese Aussage seiner Freundin denkt er viel nach. Eine Angst, die möglicherweise nicht nur die Konfrontation mit dem Unbekannten scheut, sondern vielleicht auch eine Angst vor dem ist, was die Kunst in einem selbst auslösen kann.
Und wovor hat Thomas Wördehoff Angst? Er überlegt eine Weile. Vielleicht sei es eine Macke, ein Defekt – aber er habe Angst davor, nicht gehört zu werden. Es stört ihn, wenn manche Menschen seine Argumente einfach nicht wahrnehmen wollen. Da trifft sich seine persönliche Angst mit der des Publikums. „Dabei tue ich alles, um die Leute zu überzeugen.“(Stuttgarter Zeitung)