Beiträge im Archiv Dezember 2014

Das Freiburger Barockorchester mit Carolyn Sampson in Stuttgart

22.
Dez.
2014

Die Macht der schönen Frauen

SampsonPotpourri-Programme haben gemeinhin keinen guten Ruf, stehen sie doch unter Kulinarikverdacht: Häppchengenuss ohne tieferes Werkverständnis. Meist findet man sie bei sogenannten Operngalas in großen Sälen und mit renommierten Sängern, deren Gagen die Eintrittskarten teurer macht als die besten Plätze im Opernhaus. Auch wenn das Orchester bloß ein Muckenensemble aus Osteuropa ist.
Insofern war das Konzert des Freiburger Barockorchesters im Mozartsaal am Vorabend des vierten Advents in mancherlei Hinsicht bemerkenswert, denn auch das mit „Liebesduell“ überschriebene Programm war im Grunde ein Opernmedley – wenn auch eines der ambitionierteren Art. Es bestand aus Orchestersätzen, Arien und Duetten aus Opern von Georg Friedrich Händel, in denen es, wie bekanntlich häufig in der Oper, um Liebesverwicklungen geht. Wie er im Programmheft erläuterte (und vermutlich um nicht den Eindruck von Beliebigkeit aufkommen zu lassen) hatte der FBO-Dramaturg Henning Bey dabei versucht, die einzelnen Sätze in eine schlüssige Abfolge zu bringen.
Zunächst brachte das von Péter Barczi geleitete, gut disponierte Orchester mit dem erregten Prelude aus „Rinaldo“ erst mal das Gefühlsbarometer auf Höhe „Liebesglut“. Der Arie „Cara sposa“ aus Händels „Rinaldo“, in der der Protagonist das Verschwinden seiner Geliebten Almirena beklagt, folgte „Tutto può donna vezzosa“ aus „Giulio Cesare“: Eine schöne Frau, so lautet Cleopatras selbstbewusstes Statement, kann alles erreichen, wenn sie nur verliebt spricht. Wohl wahr – selbst wenn der Konnex zum Vorherigen ebenso dürftig war wie der zum folgenden Abschiedsduett aus „Rodelinda“. Aber so ist das halt mit Potpourris – und eigentlich spielte es auch keine Rolle, wurden die Sopranpartien doch an diesem Abend von einer der weltweit besten Sängerinnen für barockes Repertoire gesungen: Carolyn Sampson. Es war der Abend der aparten Engländerin, die in ihrem Genre längst ein Star ist, obwohl ihre Stimme gar nicht dem Alte-Musik-Klischee des vibratolosen, „geraden“ Singens entspricht. Betörend ist vor allem die ungeheure Vielfarbigkeit und Ausdrucksintensität ihrer ungemein schön timbrierten und perfekt geführten Stimme, dazu kommt Hampsons Präsenz, mit der sie das Gesungene in Einklang bringt mit körperlichem Ausdruck: hinreißend, wenn sie in der Arie der Cleopatra lakonisch die Schultern hochzieht, als bitte sie um Verzeihung für die Macht schöner Frauen. Und selbst wenn es jedes männliche Pendant an ihrer Seite schwer hätte, deckten Sampsons Qualitäten die Defizite des Countertenors Rupert Enticknap gerade in den Duetten erbarmungslos auf: seine dynamische Begrenztheit, die mechanisch abgesungenen Koloraturen, vor allem aber die die klischeehaften Gesten und seine gestalterische Indifferenz. Das erinnerte dann doch ein bisschen an Galakonzerte. (StZ)

Frank Armbruster

Piotr Anderszewski in Stuttgart

18.
Dez.
2014

Ein Kompromissloser

Anderszewski_ap1Gute Konzerte kann man oft hören. Das Gefühl aber, dabei beglückt, ja – beschenkt worden zu sein, stellt sich dennoch selten ein – nun geschehen beim Klavierabend von Piotr Anderszewski in der Meisterpianistenreihe im Beethovensaal. Der 45-jährige zählt eher zu den stillen und nachdenklichen unter den Pianisten. Der Tourneestress in den letzten Jahren hatte ihm gar derart zugesetzt, dass er 2012 eine 14-monatige Auszeit genommen hat: kein Klavier, keine Konzerte. Nun ist er wieder auf die Konzertbühnen zurückgekehrt – zum Glück.
Wenn Anderszewski die ersten Töne spielt, nimmt er das Publikum augenblicklich gefangen. Während sich bei manchen seiner Kollegen der Eindruck aufdrängt, sie spulten in ihren Konzerten tausendfach Geübtes einfach ab, scheint er die Musik beim Spielen innerlich nachzuvollziehen, sie in der Konzertsituation zu erschaffen. Ist das Publikum ausreichend sensibel, kann es durchaus spüren, dass es ein Teil dieses Prozesses ist: unsichtbar ist da ein Band gespannt zwischen Solist und Auditorium. Jedenfalls war während des ganzen Abends im Saal kaum ein Huster zu vernehmen.
Pianistisch ist Anderszewski ein Phänomen. Der Nuancenreichtum seines Anschlags lässt an Grigory Sokolov denken, einen anderen Kompromisslosen, mit dem er auch die Neigung zu ausgeprägter Subjektivität zu teilt. So reizt Anderszewski das Ausdrucksspektrum in Beethovens „Sechs Bagatellen“ op. 126 bis in die Extreme aus: manche der Stücke klingen wie ein Konzentrat aus Beethovens Sonatenschaffen, hoch verdichtet. An die Trillerflächen aus Beethovens Spätwerk erinnern auch manche Stellen aus Karol Szymanowskis „Metopen“ op. 29, die Anderszewski mit ungeheurer Klangfantasie und einem Gespür für Dramaturgie spielt, das einen Bogen spannt vom ersten bis zum letzten Ton.
Die Begründung für den Hinweis im Programmheft, zwischen Schumanns „Geistervariationen“ und Bachs Englischer Suite Nr. 6 d-Moll nicht zu applaudieren, liefert Anderszewski künstlerisch. Schumanns „Variationen über ein eigenes Thema Es-Dur“, seine letzte notierte Komposition, umweht die Aura des Mysteriösen – Musik nicht mehr ganz von dieser Welt, deren Auflösungstendenzen Anderszewski mit größter Einfühlungskraft offenlegt. Und während der Eindruck nach der letzten Variation noch nachklingt, dass hier ein Komponist den Bereich des Fasslichen zu verlassen im Begriff war, beginnt Anderszewski das Prélude aus der Englischen Suite: einen ausgedehnten, höchst komplexen Konzertsatz, mit dem Bach gleichfalls Grenzen sprengt. Vieles könnte man berichten über die Wunder dieser Bach-Suite – die zauberische Sarabande, die spieldosenleichte Gavotte, die energetische Gigue – wer´s gehört hat, weiß Bescheid. Den andern bleibt immer noch die CD. (StZ)

Das London Philharmonic Orchestra mit Sol Gabetta in Stuttgart

10.
Dez.
2014

Ohne Zuckerguss

Für die Schallplattenindustrie ist Sol Gabetta ein Glücksfall: die Cellistin ist nicht nur jung, blond und attraktiv, sondern auch vielseitig. Ihre CDs verkaufen sich prächtig, ihr aktuelles Album „Prayer“ mit Werken jüdischer Komponisten steht hinter David Garrett und Lang Lang auf Platz 4 der Amazon-Verkaufscharts. Doch wenn es auch einigen Medienhype gibt um die 33-Jährige Argentinierin – etwaige Vorbehalte ihrer künstlerischen Kompetenz gegenüber sind unangebracht, wie nun ihr Konzert mit dem London Philharmonic Orchestra in der Meisterkonzertreihe zeigte. Mit Schostakowitschs zweitem Cellokonzert hatte sie sich dabei einiges vorgenommen. Nicht nur technisch zählt es zu den schwierigen Werken seiner Gattung, vor allem entzieht es sich jeder vordergründigen, auf Effekt kalkulierenden Annäherung. Ein introspektiver Tonfall durchzieht weite Teile des Werks, das sich immer wieder zu kurzen Ausbrüchen aufschaukelt, um dann wieder in den Grundzustand zurückzufallen. Wie bei Gustav Mahler finden sich Zitate aus Marsch- und Trivialmusik, aus dem torsohaft angelegten Orchestersatz melden sich Glockenspiel und Trommel prominent zu Wort. Doch nicht nur die heiklen Glissando-Doppelgriffe in höchsten Lagen gelangen Sol Gabetta dabei bewundernswert sicher – was vor allem berührte, war ihre spürbare Hingabe an dieses etwas kryptische Stück, ihr Verständnis für dessen versteckte Widerborstigkeiten und grüblerisch kreisende Melodik. Virtuosität bewies Gabetta vor allem durch klangliche und artikulatorische Differenzierung: sonor und etwas knurrig ist ihr Ton in der Tiefe, in höheren Lagen kommt eine berückende, samtene Brillanz dazu, die von dem Luxusklang der präzise spielenden Londoner perfekt ergänzt wurde. Viel Applaus, und als Zugabe eine Kostprobe aus ihrer aktuellen CD: „Prayer“ von Ernest Bloch.
Im Vergleich zu Schostakowitsch kommt das Grauen in Antonin Dvoráks Sinfonischer Dichtung „Die Mittagshexe“ vergleichsweise kulinarisch daher. Zwar kleidet Dvorák das Hohngelächter der Hexe, die der Mutter das unartige Kind entreißt, in donnernde Tuttischläge, doch bei einem Spitzenorchester wie dem London Philharmonic klingt auch das: einfach schön. Und noch schöner, sprich klangsinnlicher, wurde es nach der Pause mit Tschaikowskys Orchestersuite aus dem Ballett „Der Nussknacker“. Spätestens hier dürften auch jene Zuhörer, die mit Schostakowitsch fremdelten, wieder eingefangen worden sein: farbiger, leuchtender kann man diese Musik kaum spielen. Jurowski zeigte sich als Klangsensualist, der Tschaikowskys raffinierte Mixturen (einschließlich der Vokalisen singenden Stuttgarter Hymnus-Chorknaben) ohne Zuckerguss, aber äußerst delikat und aufs Genaueste abgestimmt servierte. (StZ)

Das Stuttgarter Staatsorchester im zweiten Sinfoniekonzert

07.
Dez.
2014

Das Subjekt meldet sich zu Wort

Die Frage, was Musik ausdrücken kann, ist wohl so alt wie die Musik selber. Während es im Barock vorwiegend es um stilisierte Affekte, um allgemeingültige Gefühle und Stimmungen ging, rückte in der Klassik zunehmend der einzelne Mensch in den Mittelpunkt der musikalischen Ästhetik. Auf die Spitze getrieben wurde der subjektive Ausdruck in der spätromantischen Musik – und es waren vermutlich deren Auswüchse, auf die sich Igor Strawinskys Aussage „Ich hasse Ausdruck“ bezieht. Mit dieser Haltung, die sich speziell gegen die deutsche Musik richtete, war Strawinsky nicht allein: gerade in Frankreich, wohin er 1920 auswanderte, war sie weit verbreitet. Drücken Werke, die in diesem Geist komponierte wurden wie Strawinskys „Sinfonie für Bläser“ oder seine „Sinfonie in drei Sätzen“, die das Staatsorchester bei seinem Sinfoniekonzert im Beethovensaal spielte, nun also gar nichts mehr aus? Oder ist es vielmehr so, dass sich durch die Verweigerung von Subjektivität die Kategorien des Ausdrucks verschieben?
Romantische Anklänge finden sich in dieser Musik jedenfalls kaum. Die Dissonanzen zu Beginn der Bläsersinfonie schneiden gehörig ins Ohr, und die jäh wechselnden Perspektiven der großen dreisätzigen Sinfonie erinnern eher an die Schnittästhetik des Kinos. Aber ist man auf der falschen Fährte, wenn man in deren Mittelsatz fast debussyhaften Klangzauber heraushört? Oder den herben Clustern der Bläsersinfonie melancholische Qualitäten zuschreibt? Das Hören dieser ungemein intelligent gemachten Musik war jedenfalls eine Freude, was am großartig spielenden, vom Gastdirigenten Ilan Volkov präzise geführten Staatsorchester lag.
In den Synkopen des ersten Kopfsatzthemas für Mozarts Sinfonie g-Moll KV 183 kündigt sich schon jener dringliche Tonfall an, den später Beethoven aufnehmen sollte und der ein Grundzug jener musikalischen Epoche wurde, die Strawinsky so verabscheute: Jenseits aller Konventionen meldet sich hier das Subjekt mit Nachdruck zu Wort. Ilan Volkov nun übertrieb es im Kopfsatz nicht mit dem geforderten Brio, sondern legte – wie im gesamten Werk – den Wert eher auf rhythmische und artikulatorische Prägnanz. Dem Stück bekam das gut.
In Carl Philipp Emanuel Bachs Flötenkonzert schließlich durfte der Soloflötist des Staatsorchesters, Nathanael (2 Punkte auf dem e!!) Carré, nach Herzenslust sein virtuoses Potential demonstrieren. Vor allem im dritten Satz legte der junge Schlaks nach Kräften los und zeigte auch bei den heikelsten Figurationen – im Gegensatz zu den etwas gestressten Streichern – keine Schwächen.
Und selbst wenn eine moderne Querflöte für spätbarocke Musik wie diese nicht ideal scheint – Carré machte mit seinem eher herben, kühlen Ton das Beste daraus, die Streicher unterstützten ihn im Stil eines Originalklangensembles: Senza vibrato. Ma con espressione. (StZ)