Beiträge im Archiv Oktober 2019

Verdis „Don Carlos“ an der Staatsoper Stuttgart

29.
Okt.
2019

Wer hat die schrecklichen Bilder nicht mehr im Kopf? Geköpft, erschossen oder in einem Käfig verbrannt hat der „Islamische Staat“ Menschen, die er als Ungläubige bezeichnete, und das ist noch gar nicht lange her. Aber religiös motivierter Terror gehört auch zur Geschichte Europas. Allein während der Spanischen Inquisition, die nach der Vertreibung der Mauren Anfang des 15. Jahrhunderts begann und erst 1834 offiziell abgeschafft wurde, fanden Tausende sogenannte Ketzer auf dem Scheiterhaufen einen schrecklichen Tod. Autodafé nannte man in Spanien die öffentliche Verkündigung von Urteilen der Inquisition, die in der Art eines Volksfestes inszeniert wurden. Berühmt wurde etwa das Autodafé, das am 21. Mai 1559 unter Anwesenheit von 200 000 Menschen in Valladolid stattgefunden hatte, auch Mitglieder der königlichen Familie waren anwesend, darunter König Philipp II. und sein Sohn Don Carlos. Der Thronfolger, der schwer am Protestantenhass seines Vaters litt, wollte Statthalter im protestantischen Flandern werden, was ihm sein Vater aber ebenso verwehrte wie die Ehe mit der französischen Prinzessin Elisabeth von Valois, die Philipp stattdessen selbst ehelichte. Eine Konstellation, die Schiller in seinem Drama Don Carlos verarbeitet hat, auf das sich wiederum die Librettisten von Giuseppe Verdis gleichnamiger Oper bezogen, die nun in einer Neuinszenierung von Lotte de Beer an der Stuttgarter Staatsoper Premiere hatte. Und wer sich dafür interessiert, wie private und politische Verhältnisse zusammenhängen, dem dürfte dieser Opernabend reichlich Anschauungsmaterial bieten.
Die Grundthese der Regisseurin ist, dass totalitäre Herrschaftsstrukturen auch in unserer westlichen Zivilisation nicht für alle Zeiten überwunden sind, sondern sich unter bestimmten gesellschaftlichen Konstellationen wieder etablieren können. Deshalb hat Lotte de Beer die Handlung nicht historisch verortet, sondern lässt sie als Dystopie in einem stark stilisierten Kunstraum spielen. Zentrales Bühnenelement ist ein riesiger, schwarzer Keil, der wie ein Monolith immer wieder hereingeschwenkt wird und die Protagonisten vom Geschehen isoliert, dafür deren Verhältnis zueinander brennglasgleich in den Fokus rückt. Und je länger dieser mit fast fünf Stunden lange Abend dauert – man spielt die fünfaktige Fassung samt der ursprünglich von Verdi gestrichenen ersten Szene im Wald von Fontainebleau -, desto mehr wird man hineingezogen in das Geflecht der Beziehungen, in dem die Menschen weniger als autonom Handelnde als vielmehr als Getriebene gezeigt werden. Keiner kann machen, was er eigentlich möchte. Nicht das Liebespaar Elisabeth und Don Carlos, das sich der Staatsräson beugen muss, nicht die Prinzessin Eboli, die Elisabeth hintergeht und schließlich von ihr verbannt wird. Carlos´ Freund, der Marquis von Posa, wird am Ende von den Schergen der Inquisition getötet und nicht einmal der Regent Philipp ist frei, muss er sich doch sogar als König den Weisungen des Großinquisitors fügen. Der wird in der Stuttgarter Inszenierung als sardonisch grinsender Tyrann gezeigt, der seinen Sadismus hinter Leutseligkeit versteckt.
Das alles wird in Stuttgart mittels genauer Personenführung, subtiler Lichtregie und einem auf schwarzweiß-Kontraste reduzierten Bühnenbild präzise herausgearbeitet, selbst wenn man angesichts manch erlesen komponiertem Bildtableau den Eindruck eines gewissen artifiziellen Ästhetizismus gewinnt. Eine Szene bleibt allerdings unmotiviert: auf Hanekes Film „Das weiße Band“ anspielend, spielen in weiß gekleidete Kinder zu einer Melange aus der originalen Ballettmusik und der sich auf die russische Protestgruppe „Pussy Riot“ beziehenden „Pussy-Polka“ des Komponisten Gerhard E. Winkler eine Art Puppen-Autodafé: in einer von Gewalt beherrschten Gesellschaft, so die Botschaft, werden auch die Kinder gewalttätig. Dramaturgisch bleibt das ohne Bezug.
Musikalisch freilich ist es ein beglückender Abend. Zwar muss GMD Cornelius Meister an der Koordinierung von Bühne und Graben noch feilen, aber farbenreicher im Klang, wuchtiger in den Massenszenen und gleichzeitig filigraner in der Gestaltung kann man sich die Ausarbeitung dieser extrem anspruchsvollen Partitur kaum vorstellen. Dazu wird durchweg exzellent gesungen. Jeder der Charaktere ist vokal passend besetzt, herausragend gleichwohl die moldawische Sopranistin Olga Busuioc in ihrer Rolle als zwischen Liebe und Pflichterfüllung zerrissene Elisabeth, die am Ende vom Publikum völlig zu Recht Ovationen entgegennimmt. Insgesamt ein fulminanter Premierenauftakt in Stuttgart. (Südkurier)

Bachakademie in den Wagenhallen

18.
Okt.
2019

Coole Kantate.

Ist das Kunst oder kommt das wieder weg? Oder sind es vielleicht Akustikelemente? Einige Besucher standen ziemlich unschlüssig vor den Palettenstapeln in den Wagenhallen, in die die Bachakademie Stuttgart zum ersten Konzert ihrer neuen Reihe „Hin und weg!“ geladen hatte. Überhaupt war in manchen Gesichtern ein gewisse Irritation auszumachen, viele der Besucher dürften zum ersten Mal einen Fuß in das renovierte Vorzeigeobjekt gesetzt haben. Nun geht es der Bachakademie ja eher darum, durch neue Räume – oder sollte man besser locations sagen? – auch ein neues Publikum anzusprechen, das den Weg in die Liederhalle mit ihrem piefigen Ambiente scheut. Jüngere Menschen waren an diesem Abend freilich nur vereinzelt zu sehen, und die Frage ist ohnehin, ob der trendig-heimelige Industriecharme der Wagenhallen zu geistlicher Musik wie einer Bachkantate passt. Kantate, cool? Von den Gegebenheiten dort einmal abgesehen: die trockene Akustik, ideal für verstärkte Konzerte wie sie dort in der Regel stattfinden, ist für unverstärkte Musik ein echtes Handicap. Wer dicht an der Bühne saß – etwa 400 Sitze hatte man aufgestellt, die praktisch alle besetzt waren – bekam so eine Art Tonstudioakustik präsentiert: Instrumente und Sänger waren fast einzeln herauszuhören.Mit „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ hatte man eine der bekanntesten Bachkantaten ausgesucht, dazu war die Gaechinger Cantorey in adäquater Kleinbesetzung nebst drei Vokalsolisten (Isabel Schicketanz, Sopran, Christopher Renz, Tenor, Martin Schicketanz, Bass) angetreten. Präsentiert wurde die Kantate in einem bewährten Format: dem des Gesprächskonzerts rillingscher Prägung nämlich, bei dem Hans-Christoph Rademann neben der Rolle des Dirigenten auch die des Moderators einnahm. Zunächst wurde das Werk einmal ganz gespielt, dann erklärte Rademann den gleichnishaften Charakter der Texte, in denen die Beschreibung einer Hochzeit für die Verbindung zwischen Jesus und den Menschen steht. Und selbst wenn der sächselnde Rademann mit seiner Vermittlerrolle noch etwas zu fremdeln scheint, lauschte man seinen Ausführungen gern – und freute sich vor allem deshalb darüber, das Stück am Ende ein zweites Mal zu hören, weil insgesamt fabelhaft gespielt und gesungen wurde. Ob das Konzept aber als Mittel gegen Publikumsschwund taugt? Ob eine säkularisierte Gesellschaft überhaupt noch geistliche Musik braucht? Man darf skeptisch bleiben.

 

Der Hornist Felix Klieser

17.
Okt.
2019

Das Leben nehmen, wie es kommt

Eigentlich liest sich die Karriere von Felix Klieser wie die anderer Klassikstars. Früh, mit fünf Jahren, begann er mit dem Instrumentalunterricht, gewann rasch allerlei Preise. Mit 13 wurde er als Jungstudent an der Musikhochschule Hannover aufgenommen, spielte bald im renommierten Bundesjugendorchester. 2013, Klieser war 22, erschien sein Debutalbum, zwei Jahre später erhielt er den „ECHO KLASSIK“ als Nachwuchskünstler des Jahres. Das wäre allein schon eine tolle Leistung, die einem aber nachgerade wie ein Wunder vorkommt, wenn man bedenkt, mit welchem Handicap er gestartet ist: denn Felix Klieser wurde ohne Arme geboren. Abrachie nennt man das in der Medizin, eine selten vorkommende Laune der Natur, die das Spielen eines Instruments, auf professionellem Niveau zumal, eigentlich unmöglich macht. Dazu kam, dass in Kliesers Elternhaus nicht musiziert wurde, sodass sein bereits mit vier Jahren geäußerter Wunsch „Ich möchte Horn spielen“ zunächst auf Unverständnis stieß. Ausgerechnet Horn, dieses wegen seiner anfälligen Spieltechnik schwierigste aller Blechblasinstrumente! In der Musikerszene nennt man es nicht ohne Grund „Glücksspirale“, weshalb man an der Musikschule, an die sich Kliesers Eltern schließlich wandten, den Steppke auch zum Xylophon überreden wollte. Ohne Erfolg. Felix blieb standhaft und erhielt schließlich den ersehnten Unterricht, wobei er er lernen musste, die Ventilklappen mit dem linken Fuß zu bedienen, was ziemliche Verrenkungen erfordert. Das macht er so bis heute, doch während er als Kind das Horn noch vor sich auf den Boden stellte, baute ihm später ein Instrumentenbauer einen Ständer, an dem er es befestigen kann. Blieb ein Problem: das sogenannte „Stopfen“, das Modulieren des Tons im Schalltrichter, das Hornisten mit der rechten Hand ausführen. Doch auch dafür hat Klieser eine Lösung gefunden. Durch jahrelanges akribisches Probieren und Forschen gelang es ihm, allein durch Veränderungen der Zungenstellung und des Mundraums die entsprechenden Klangfarben zu erzeugen. Die Hartnäckigkeit hat sich ausgezahlt. Er sei kein Wunderkind gewesen, sagt Klieser, der überzeugt ist, dass Talent zwar wichtig, aber längst nicht das Entscheidende ist. „Alle großen Solisten sind hart arbeitende Menschen“.
Ein verbissener Typ ist Felix Klieser gleichwohl nicht, im Gegenteil. Seinen Erfolg sieht er als Geschenk – er habe es nie geplant, Hornsolist zu werden. Gut möglich, dass seine Behinderung sogar mit zu seiner Popularität beigetragen hat, ein Hornist ohne Arme, wann gibt es das schon. Doch gerade weil seine Karriere bisher so glatt verlaufen ist, ist Felix Klieser vorsichtig, was das Pläneschmieden anbelangt. „Als es mit Anfang 20 richtig losging, habe ich gedacht: Ich freue mich, wenn das jetzt ein paar Jahre so läuft. Jetzt mache ich es schon ein paar Jahre länger, und es funktioniert immer noch.“
Alles für seine Leidenschaft, das Hornspielen, zu tun, ansonsten das Leben aber zu nehmen, wie es eben kommt: danach lebt Klieser. Und zurzeit kommt einiges. Sein Konzertkalender ist prall gefüllt, seine in diesem Jahr erschienene CD mit Mozarts Hornkonzerten wird von der Fachpresse in höchsten Tönen gelobt. Zwei dieser Konzerte spielt Klieser heute abend mit den Festival Strings Lucerne im Beethovensaal, den Klieser für seine Akustik besonders schätzt: Man könne da als Hornist klanglich alles machen, ohne dass der Saal an Grenzen stoße.
Ansonsten zähle aber gerade Mozarts Musik für ihn zum Schwierigsten. „Musikalisch steckt da so viel drin. Ich denke dass man als Mensch sehr reifen muss, um das alles zu verstehen. Das sind keine Stücke für Kinder.“

Diana Haller und Johannes Kammler beim 1. Liedkonzert der Staatsoper

11.
Okt.
2019

Die Staatsoper hatte zusammen mit der Hugo-Wolf-Akademie zum ersten Liedkonzert ins Foyer des Opernhauses geladen, und schon das Programm bot Anlass zur Freude: denn neben Liedern von Gustav Mahler und Richard Strauss stand auch Ralph Vaughan Williams´ Zyklus „Songs of Travel“ nach Gedichten von Louis Stevenson – dem Autor der „Schatzinsel“- auf dem Programm, eine Sammlung von neun Liedern, die zu den schönsten und bedeutendsten Liederzyklen überhaupt zählt, auf deutschen Bühne aber eher selten zu hören ist. Im Mittelpunkt darin steht, ähnlich wie bei Schubert, das urromantische Motiv des Wanderers einschließlich Naturmystik und Liebesleid, und fast unerschöpflich ist das Spektrum an musikalischen Mitteln und Stilen, mit dem Vaughan Williams jedes der Lieder in eine spezifische Stimmung und Atmosphäre getaucht hat. Eine Differenziertheit, der Rita Kaufmann am Klavier und der Bariton Johannes Kammler an diesem Abend vielleicht nicht in jedem Aspekt, aber doch insgesamt sehr eindrucksvoll gerecht wurden: Kammler, seit der letzten Spielzeit Ensemblemitglied der Staatsoper, ist ein Bariton von Format, mit voluminös-schwarzer Tiefe und einem edlenTimbre, das bis in hohe Lagen nichts von seiner Strahlkraft verliert. Ein exquisites Material, von dem er auch als Liedsänger zu profitieren weiß, zumal er auch in der englischen Diktion gestochen klar artikuliert, und – wie in der ersten Progammhälfte bei den Fünf Liedern op. 15 von Richard Strauss – auch klangfarblich zu punkten weiß.
Das Programm teilte sich Kammler an diesem, im Übrigen sehr gut besuchten Abend mit einer anderen großen Sängerhoffnung der Stuttgarter Oper: Diana Haller. Die Mezzosopranistin, die seit einigen Jahren zu den Publikumslieblingen in Stuttgart zählt, besticht auf der Opernbühne vor allem mit messerscharfen Koloraturen und vokaler Durchschlagskraft – Qualitäten, die beim Liedgesang eher von untergeordneter Bedeutung sind, von denen sie aber bei einer Auswahl aus Mahlers Wunderhornliedern durchaus profitierte, da auch Rita Kaufmann den Klavierpart eher orchestral ausgelegt hatte. Das war dann, gerade in der latenten Überakustik des Opernfoyers, manchmal fast etwas zuviel des Guten. Aber immerhin konnte Diana Haller dann in einer Auswahl von Strausslieder, darunter auch das berühmte „Die Nacht“ zeigen, dass sie durchaus auch farbenreich zu gestalten weiß. Aber das nächste Mal vielleicht doch lieber in einem akustisch besser geeigneten Ambiente.