40 Jahre Walt Disneys Lustige Taschenbücher
Guido Gans
Heute erscheint der 400. Band von Walt Disneys „Lustigen Taschenbüchern“
Es gibt wohl kaum eine Frage, die die Mitglieder der Deutschen Organisation nichtkommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus (D.O.N.A.L.D) nicht schon wissenschaftlich erörtert hätten.
Liegt Entenhausen in einem eigenen Universum? Wie funktioniert Fortpflanzung durch Veronkelung? Und warum tragen nur weibliche Enten Schuhe? Und so sollte es nicht wundern, wenn auf der nächsten Donaldistentagung die Frage diskutiert wird, ob auch Donald Duck von Transferleistungen lebt. Offensichtlich ist jedenfalls, dass die bekannteste Ente der Welt keiner geregelten Arbeit nachgeht. Stattdessen versucht sie sich (schwarzarbeitend?) in wechselnden Kurzzeitjobs als Museumswärter, Reporter, Wüstenfarmer oder Kammerjäger, lebt dafür aber in durchaus geordneten Wohnverhältnissen in zentraler Lage von Entenhause mit Vorgarten. Spätrömische Dekadenz kann bei Donald allerdings schon allein deshalb kaum aufkommen, da ihn sein schwerreicher Onkel Dagobert regelmäßig aus seinen Tagesschläfchen herauszureißen pflegt, um ihn zur Unterstützung bei irgendwelchen geldmehrenden Unternehmungen zu verpflichten.
Seit über 75 Jahren gibt es Donald Duck – sein genauer Geburtstag wird mit dem 9. Juni 1934 angegeben, als der Erpel in einem Film namens „The Wise Little Hen“ zum ersten Mal zu sehen war. Der amerikanische Zeichner Carl Barks gab Donald in den vierziger Jahren das bis heute gültige Profil, und dass seine Abenteuer seit den fünfziger Jahren auch in Deutschland eine wachsende Zahl von Anhängern gewonnen haben, lag nicht zuletzt an den kongenialen Übersetzungen von Erika Fuchs, die dadurch ein eigenes, Erikativ genanntes Idiom entwickelte, indem sie Verben auf den Wortstamm reduzierte: „Ächz, stöhn!“ klagen noch heute Schüler angesichts kniffliger Matheaufgaben, die Donaldisten pflegen gelungenen Beiträge mit „klatsch, klatsch“ zu applaudieren.
Da in Kulturnationen wie Deutschland Bücher traditionell ein besseres Image besitzen als Hefte, lag es für den Ehapa-Verlag nahe, Disneygeschichten auch als Taschenbuch herauszubringen. Vorbild war das italienische „Il Topolino“, so etwas wie das Zentralorgan der europäischen Disneyaner. 1967 erschien die erste Ausgabe der „Lustigen Taschenbücher“ mit dem Titel „Der Kolumbusfalter“. Weitere folgten in unregelmäßigen Abständen, jeweils abwechselnd mit Geschichten von Donald Duck und Micky Maus, die bis heute zum großen Teil aus Italien stammen, wo Zeichner wie der legendäre Romano Scarpa arbeiten. Auch Donalds alter ego Phantomias wurde dort kreiert. Die Trennung von Donald- und Mickygeschichten wurde später ebenso aufgehoben wie der Wechsel zwischen farbigen und schwarzweißen Seiten – nicht zum Entzücken aller Donaldfans, die Micky Maus oft langweilig finden. Trotzdem etablierten sich die Lustigen Taschenbücher dauerhaft: seit dem Band 119 erscheinen sie monatlich, heute bringt der Ehapaverlag zusammen mit der 400. Ausgabe auch einen vierbändigen Schuber mit den aus seiner Sicht besten Geschichten aus 43 Jahren auf den Markt. Von der Originalität und dem Sprachwitz der älteren Bände ist bei den jüngeren leider nicht viel geblieben. Waren die Geschichten früher immer von leiser Ironie grundiert, so besteht der aktuelle Band überwiegend aus kruden Storys, selbst das Niveau der Zeichnungen erreicht nur selten das früherer Zeiten.
Da wünscht man sich doch lieber wieder jenes gute alte Entenhausen zurück, bei dem sich trotz (oder wegen) seiner festgefügten Strukturen manche Analogien zur Jetztzeit aufdrängen: nicht nur die, dass der schnöselige Gustav Gans als Sprachorgan der Bessergestellten auftritt wie Guido Westerwelle: In Band 69 lässt Dagobert zur Kontrolle seiner Buchführung ein riesiges „Elektronengehirn“ installieren, dessen Gehäuse die Panzerknacker nutzen, um seinen Geldspeicher anzuzapfen. Für die Entstehungszeit 1980 erscheint diese Metapher auf Computerkriminalität geradezu prophetisch.Und wenn alle Vermögenden ihr Geld nicht den Banken anvertraut, sondern wie Dagobert einfach eingelagert hätten, gäbe es auch die Bankenkrise nicht. Überhaupt: Angesichts der Fantastilliarden, die in seinem Geldspeicher lagern, liegt doch die Lösung unserer Wirtschaftskrise auf der Hand: Entenhausen muss in die EU. Stellt sich bloß die Frage: wie berechnet sich der Wechselkurs von Taler und Euro?
Erschienen in der Stuttgarter Zeitung