Bill Frisell und Sam Amidon bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen

26.
Mai.
2011

Auf der Suche nach den Wurzeln amerikanischer Musik

Es dauerte bis zur letzten von insgesamt drei Zugaben, als der Abend endlich abhob. Sam Amidon sang über einem simplen Akkordgerüst Strophen eines amerikanischen Folksongs, als Bill Frisell sich anschickte, mit seinem eigenen Gitarrenspiel via Effektgerät in Dialog zu treten. Frisell legte harmonische Klangflächen aus, über die er dann in seiner unnachahmlich intelligenten Art improvisierte, unter Einsatz aller denkbaren Flageoletts und jenseits allen konventionellen Skalengenudels. Das dauerte, während Amison auf seiner Westerngitarre seine Akkorde weiterschrubbte, gefühlte zehn Minuten. Und es hätte noch lange so weitergehen dürfen.

So oder so ähnlich hatte man sich den Abend eigentlich von vornherein gewünscht, aber dass es dann doch ein eher durchwachsenes Konzert wurde, lag wohl vor allem an der überambitionierten Dramaturgie. Nach dem grandiosen Erfolg der Song Conversations im Vorjahr, als sich Bill Frisell, Brad Mehldau und Joe Henry gegenseitig zu Höhenflügen inspirierten, lag es für Thomas Wördehoff, den Intendanten der Ludwigsburger Schlossfestspiele, nahe, in der aktuellen Saison an dieses Konzept anzuknüpfen. Diesmal stand die amerikanische (Folk)musiktradition im Mittelpunkt: an zwei „American Roots“ übeschriebenen Abenden sollte erkundet werden, wie sich eine genuin amerikanische Musikidentität im Schnittpunkt zwischen U- und E-Musik, Tradition und Avantgarde entwickelt hat. Dazu hatte man neben dem Bratscher Eyvind Kang, dem Perkussionisten Rudy Koyston und der Gitarrenlegende Bill Frisell auch den jungen Folksänger Sam Amidon eingeladen. Der aus Vermont stammende Amidon, der sich viel mit der Historie der Folkmusik beschäftigt hat, war für Wördehoffs Projekt insofern eine ideale Besetzung, als ihm daran gelegen ist, den alten Songs neue Facetten abzugewinnen, ohne ihre Substanz zu gefährden. Tatsächlich funktionierten die drei Folksongs zu Beginn des zweiten Konzerts am Freitag auch gut: Amidon sang „Johnny Brown“, „David´s Lament“ und „Hard Times“, Bill Frisell ließ dazwischen seine Gitarrengenieblitze aufleuchten, Perkussion und Bratsche begleiteten dezent. Doch dann hatte man Amidon die undankbare Aufgabe zugemutet, Lieder von Charles Ives zu singen – was ihm mehr schlecht als recht gelang. Amidon ist ein Folksänger: mit einer charakteristischen, in der Höhe etwas dünnen Stimme, Ives´Lieder aber sind veritable Kunstlieder, die eine ausgebildete Stimme voraussetzen. So bangte man beim Hören mit dem merklich überforderten Amidon und seinen ebenfalls etwas angespannt wirkenden Begleitern und war froh, als dieser Programmpunkt endlich bewältigt war.

Um die Einflüsse der Songtradition auf die Kunstmusik deutlich zu machen, standen an diesem Abend noch Ausschnitte aus drei Streichquartetten amerikanischer Komponisten auf dem Programm: John Cage, Henry Cowell und Charles Ives haben jeweils auf ihre Weise diese Tradition in ihrem Werk verarbeitet. Gespielt wurden die Quartette vom sogenannten „Streichquartett der Schloss-Solisten“ – vier aus dem Festspielorchester rekrutierten Streichern, die aber dem Ohrenschein nach kein eingespieltes Quartett sind: wenig strukturiert und klanglich amorph wirkten ihre Interpretationen. Von Festspielniveau war das weit entfernt.

Zum letzten Programmteil fanden sich dann alle auf der Bühne des nur mäßig gefüllten Ordenssaals zusammen, um einige von Nico Muhly arrangierte Folksongs zu spielen: manche davon interessant wie „Pretty Fair Damsel“, zu dem Frisell sein Wah-Wah-Gerät auspackte, andere wie „Little Satchel“ etwas überladen: manche der schlichten Lieder vertragen zuviel Drumherum schlecht. Das Publikum jedenfalls applaudierte nach Kräften: es spürte wohl, dass alle ihr Bestes gaben. Aber die Umstände ließen an diesem Abend einfach nicht mehr zu.

(Esslinger Zeitung)

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