Das RSO mit Patricia Kopatchinskaja

16.
Jan.
2015

Gegen den Strich

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So prall gefüllt war der Beethovensaal selten wie beim fünften Abokonzert des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR unter der Leitung von Roger Norrington. Im Publikum auffallend viele Jüngere, die wohl in erster Linie wegen Patricia Kopatchinskaja gekommen waren. Der 37-jährigen Moldawierin geht der Ruf eines wilden Geigenmädchens voraus, das gern mit Konventionen des saturierten Klassikbetriebs bricht – wozu auch Äußerlichkeiten wie der Umstand zählen, dass sie barfuß auf die Bühne kommt. Doch wichtiger ist ihr Umgang mit Klassikern des Repertoires, die sie gern mal gegen den Strich bürstet: hier war es Beethovens Violinkonzert, das man wohl noch nie so gehört hat wie an diesem Abend.
Es beginnt damit, dass Kopatchinskaja ihre Rolle als Solistin anders zu begreifen scheint als das Gros ihrer Kollegen. Über weite Strecken des ersten Satzes nimmt sie sich zurück, begreift ihre Funktion eher als dezente Kommentatorin dessen, was im Orchester passiert, als dass sie selber die Initiative ergreifen würde. Dazu passt ihr feinnerviger, in der Höhe leicht geschärfter Ton, der dann im Gesang des Larghetto eine brüchige, schillernde Schönheit verströmt. Beethovens Dynamikvorschriften, die Decrescendi ins ppp fordern, löst sie dabei konsequent ein – ein „perdendosi“ verliert sich hier wirklich im Nichts, ätherischer geht’s kaum. Den dritten Satz dagegen geht Kopatchinskaja betont musikantisch an, mit einer Körpersprache, wie man sie von Folkloregeigern kennt. Doch auch das wirkt schlüssig, wie man überhaupt den Eindruck gewinnen kann, dass die Eigenwilligkeiten der Geigerin immer begründet sind. Mit den Kadenzen setzt Kopatchinskaja ihrem in mancherlei Hinsicht irritierenden, gleichwohl niemals langweiligen Beethoven die Krone auf: zu ihrer Bearbeitung der vom Komponisten selbst verfassten Klavierkadenz spinnt sie einige Orchestermusiker zu einem munteren Kammermusizieren ein. Hinreißend auch ihre Zugaben, wobei sie die Sopranpartie bei „Ruhelos“ aus Kurtágs „Kafka Fragmenten“ gleich selbst übernimmt. Und Roger Norrington?
Der lässt der Solistin alle Freiheiten und erweckt den berühmten Stuttgart Sound noch einmal glanzvoll zum Leben: mit Streichern, selbstredend non-vibrato, und unterstützt durch Holzflöte, historische Trompete und harte Paukenschlägel zeigt das Orchester, dass dieser Klang nichts von seiner Legitimation verloren hat. Und das gilt überraschenderweise auch für Sibelius zweite Sinfonie.
Der geläufigen Ansicht, dieses Werk sei „sonnig“ und „lebensbejahend“ setzt Norrington eine Deutung entgegen, die die beunruhigenden Aspekte hinter den weit gespannten Melodiebögen und hymnischen Blechpassagen betont. Wild und irrlichternd das Vivacissimo und von schamanenhafter, zwischen Höllenritt und Apotheose changierender Wucht das Finale. Sehr langer Beifall. (StZ)

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