Das RSO mit Michael Sanderling und Julia Fischer

24.
Jul.
2015

Kühler Chatschaturjan

Füßetrampeln ist bei klassischen Konzerten eher selten zu erleben. Doch diese rustikale Art der Beifallsbekundung setzte ein Teil des Publikums am Donnerstagabend im Beethovensaal ein, nachdem die Geigerin Julia Fischer als Zugabe nach Chatschaturjans Violinkonzert Paganinis Caprice Nr. 24 a-Moll spektakulär locker hingelegt hatte: Ein nonchalanter Tanz auf dem Hochseil violinistischer Equilibristik, mit blitzsauberen Oktavenglissandi, schillernden Flageoletten und rasenden Figurationen. Bei den meisten Geigern schwingt da angesichts der zu bewältigenden Höchstschwierigkeiten wenigstens ein Hauch von Risiko mit, bei Julia Fischer wirkt es: leicht.
Aram Chatschaturjans Violinkonzert steht ja immer etwas im Schatten der bekannteren Konzerte etwa von Prokofjew oder Tschaikowsky. Manche halten es für oberflächlich und affirmativ, nicht zuletzt, weil der Komponist dafür 1941 den Stalinpreis bekommen hat, und tatsächlich gibt es, neben dem folkloristischen Grundgestus, am Ende des zweiten Satzes eine blechsatt pathetische Kulmination, die man auch als staatstragende Verherrlichungspose hören kann. Doch auch wenn Chatschaturjan Schostakowitschs doppelbödiger Sarkasmus fremd war (Schostakowitsch litt existenziell unter dem Stalinregime), so kann der Gesamteindruck des Stücks durchaus markanter, grimmiger, vielschichtiger sein als an diesem Abend. Dass das Werk, speziell dessen erster Satz, nicht so recht mitreißen wollte, manches belanglos und abgezirkelt tönte, lag nicht an Julia Fischer. Die bemühte sich um Ausdruck, attackierte gleich in den ersten Takten die hohen Lagen der G-Saite mit Verve, stimmte das Thema des Andantes bittersüß klagend an und nahm im dritten Satz den tänzerischen Gestus auf, den Michael Sanderling mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR vorgab. Doch abgesehen von der brillanten technischen Realisation spürte man vom Orchester wenig Emphase oder gar Leidenschaft. Das war eher orchestrale Routine denn ein engagiertes Musizieren auf der Stuhlkante, das dieses Konzert bräuchte, um zur Geltung zu kommen.
Nach der Pause wurde es bei Tschaikowskys vierter Sinfonie besser. Michael Sanderling ist ein Dirigent, der zu phrasieren weiß, in Zusammenhängen denkt und auch große Spannungsbögen aufbauen kann, sofern ihm das Orchester dabei folgt. Im ersten Satz gab es auch einige stringent gespielte Passagen, in denen die Musik einen gewissen Hitzegrad entwickelte, wenngleich die großen Formteile insgesamt eher montiert als durch eine innere Dramaturgie verbunden erschienen. Akkurat das berühmte Pizzicato-Scherzo nach dem dicht musizierten zweiten Satz, ehe es Sanderling und das RSO im fulminant hingelegten Finalsatz nochmal richtig krachen ließen.

Keine Kommentare vorhanden

Sagen Sie Ihre Meinung, schreiben Sie einen Kommentar!

Ich habe die Datenschutzerklärung zur Kenntnis genommen und bin damit einverstanden, dass die von mir angegebenen Daten, mit dem Absenden dieses Onlineformulars, zweckgebunden zum Kommentieren elektronisch erhoben und gespeichert werden.