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Verdis „Luisa Miller“ an der Staatsoper Stuttgart

29.
Sep.
2010

Leben auf unsicherem Grund

Liebe-Intrige-Gift: So hat Giuseppe Verdi die drei Akte seiner für das Teatro San Carlo in Neapel komponierten Oper Luisa Miller überschrieben, einer Adaption von Schillers Drama Kabale und Liebe. Das Publikum in der Stuttgarter Staatsoper nahm die Premiere von Verdis eher selten aufgeführtem Melodramma tragico in der Neuinszenierung von Markus Dietz nun ausgesprochen freundlich auf – was nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass diese Aufführung mitnichten anschließen kann an das Niveau der vergangenen Spielzeit. Nun macht es diese Oper einem Regisseur auch nicht eben leicht: denn die ätzende Gesellschaftskritik aus Schillers Vorlage musste der Librettist Salvatore Cammarano, um der Zensur Rechnung zu tragen, fast vollständig eliminieren. So wurde die zeitgenössische, in einer Residenzstadt angesiedelte Handlung in das bukolische Ambiente eines Tiroler Dorfes im 18. Jahrhundert verlegt, dazu passte Cammarano die Personenkonstellationen der damaligen Opernpraxis an. Die Hierarchien innerhalb der neapolitanischen Sängertruppe sahen keine zwei Primadonnen vor, weshalb er die Rolle von Federica, der Gegenspielerin Luisas, abwerten musste. Übrig bleibt das Drama um zwei Liebende aus verschiedenen Schichten, die zueinander nicht kommen können: eingesponnen in ein Netz aus Lügen und Intrigen vergiftet Rodolfo, der Sohn des Grafen, schließlich Luisa und sich selbst.

Regisseur Markus Dietz hat die Szenerie in einem quasi-neutralen Raum (Bühne: Franz Lehr) angesiedelt, der fast vollständig ohne Requisiten auskommt und durch auf- und abfahrende Wände und Böden immer wieder neu strukturiert wird. So wird die Außenwelt zu einem Spiegel der Innenwelt. Wie die Lügen und Täuschungen der Beteiligten wahrhaftige Kommunikation verhindern, so laufen sie auf der Bühne gegen Mauern oder versinken im Boden: das Leben steht auf unsicherem Grund. So bestechend diese Grundidee ist, so wenig überzeugt die Umsetzung im Detail. Dietz, der bisher hauptsächlich im Schauspiel gearbeitet hat, hat kaum eine Vorstellung, was er mit den Sängern anstellen soll, wenn sie singen – was in einer Oper nun mal die Regel ist. Wenn er sie nicht – wie die meiste Zeit – in schön arrangierten Tableaus an die Rampe stellt, arbeiten sie sich entweder in Übersprungshandlungen wie Rosenzerpflücken ab, oder sie ergehen sich in stereotypen Gesten. Das gilt vor allem für den Chor, dessen Rolle oft unklar bleibt. Dazu kommt die Tendenz der optischen Verdoppelung: als Rodolfo im Begriff ist, das Geheimnis seiner Vaters zu enthüllen (der zur Erlangung der Macht einen Mord beging) färbt sich der Bühnenhintergrund blutrot. Überhaupt erscheint der Einsatz der wenigen bildnerischen Elemente ästhetisch fragwürdig, am schlimmsten in den banalen, völlig unironisch gemeinten Videoeinblendungen der tanzenden Luisa, wie sie sich der enttäuschte Rodolfo in seiner Verzweiflung herbeifantasiert. Am gelungensten erscheint da noch der dritte Akt, was aber damit zusammenhängt, dass in der herzzereißenden Sterbeszene die beiden besten Sänger des Abends zu großer Form auflaufen. Vor allem Dmytro Popov (Rodolfo) bezirzt hier mit seinem strahlenden, leicht geführten Tenor von berückendem Timbre, und auch Annemarie Kremer (Luisa) findet zu glutvollem, konzentrierten Ausdruck. Unter den Bässen sticht Attila Jun (Wurm) heraus, wobei die Sänger auch unter dem Druck leiden, den ihnen Thomas Sondergard am Pult des Staatsorchesters macht. Grundsätzlich elanvoll und rhythmisch elastisch, berauscht er sich mehr an den mächtigen Aufschwüngen der Musik, als dass er sich um die Details groß kümmern würde. Daher ist das Orchester oft einfach zu laut, was dann wiederum die Sänger zum Forcieren treibt. Da wäre weniger mehr gewesen.

(Südkurier)