Musikfest 2011/ Abschlusskonzert mit Tan Duns Water Passion

22.
Sep.
2011

Das große Plätschern

Nun ist´s vollbracht: nach drei aufregenden Wochen, in denen man sich dem Thema Wasser in allen denkbaren Erscheinungsformen und an verschiedensten Orten der Stadt musikalisch genähert hatte, ist das Musikfest Stuttgart mit einer Aufführung von Tan Duns Water Passion zu Ende gegangen. Der Intendant der Bachakademie Christian Lorenz wirkte in seiner kurzen Ansprache zu Beginn des gut besuchten, aber keineswegs ausverkauften Konzerts zufrieden mit dem Verlauf. 73% Auslastung seien zwar gut, ließen aber noch Luft nach oben: „Da geht noch was.“ Vielleicht sind die leeren Reihen beim Abschlusskonzert aber auch schlicht einer gewissen Ermüdung geschuldet: nach einer derartigen tour de force durch Wasserspeicher, Schwimmhallen und Neckarschiffe könnte man das durchaus nachvollziehen.

Tan Duns Water Passion war ja bekanntlich der Abschluss der legendären Passionstetralogie des Musikfests im Jahr 2000, die auch überregional große Wellen schlug. Damals bildete Tan Duns Werk zusammen mit der Passion von Osvaldo Golijov den etwas leichtgewichtigeren Gegenpart zu den strengen Werken von Wolfgang Rihm und Sofia Gubaidulina, diesmal war Tan Dun Jahr beim Musikfest gar Artist in residence und konnte einen Querschnitt seiner Werke in verschiedenen Konzerten vorstellen. Die Water Passion verkörpert exemplarisch einige der Grundzüge des Tan Dun´schen Komponierens – an erster Stelle seine Eloquenz in der Kombination verschiedenster musikalischer Stile: asiastische Folklore und gutturaler Obertongesang stehen da neben gregorianisch anmutenden Chorsätzen, meditative Wasserspiele neben plakativen, an Filmmusik erinnernden Klangfolien. Dazu kommen Techniken der abendländischen Avantgarde und ein stark ausgeprägtes Bewusstsein für Theatralik. Ja, Tan Dun (der ja seit langem in Amerika lebt) liebt die Show: das zeigte sich gleich zu Beginn des Abends, als zwei schwarz gewandete Perkussionistinnen mit ihren Instrumenten im Spotlight den abgedunkelten Beethovensaal von hinten durchschritten und mit großen Gesten Töne produzierten, um danach ihre Plätze auf der Bühne einzunehmen. Das erinnerte dann schon sehr an einschlägige Esoterikmusikevents. Auch sonst setzt Tan Dun in seiner in acht Abschnitte geteilten Vertonung der Matthäuspassion stark auf Effekte: Angesichts der in Kreuzform aufgestellten, von unten illuminierten Wasserbecken könnte man sich noch in einer (schlechten) Aufführung des wagnerschen Parsifal dünken; die verschiedenfarbigen Lichtbäder, in die Choristen und Musiker im Verlauf des Abends immer wieder getaucht wurden, erschienen dagegen als ästhetisch unmotivierter, bloßer Augenreiz. Das Element Wasser dient dabei als Bindeglied zwischen Ost und West, Buddhismus und Christentum, Reinigung und Taufritus. Tan Dun lässt es plätschern und rauschen, tröpfeln und fließen. Dazu kommt ein Sammelsurium an Tönen, Klängen und Geräuschen: Gongs und Gebetsglöckchen, Schlagwerk, Bleche, Synthesizer und Samples bilden einen Soundtrack, der die Passionserzählung allzuoft nur illustriert. Das Ganze wirkt wie ein esoterisch verbrämtes Spektakel, ein quasireligiöses Ritual, mit dem Komponisten als Zeremonienmeister.

Die musikalischen Protagonisten, die den Passionsbericht erzählen, waren vorn an der Bühne aufgestellt: wunderbar Claudia Barainsky, die ihrem beweglichen Sopran die erstaunlichsten Facetten abgewann, überzeugend auch Stephen Bryant (Bass). Jiamin Wang (Violine) und Amedo Cicchese (Cello), die die solistischen Linien expressiv in Klang setzten, auch die Gächinger Kantorei kam mit dem hohen Anspruch der Partitur gut zurecht.
(Stuttgarter Zeitung)

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