Nils Mönkemeyer und das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR im Meisterkonzert

18.
Okt.
2011

Poet auf der Bratsche

Foto: Felix Bröde

Die Bratsche gilt als das typische Mittelstimmeninstrument. Selten mit solistischen Aufgaben betraut, steht sie weniger im Rampenlicht als ihre kleinen und großen Geschwister Geige und Cello, und ist gleichwohl unverzichtbar: was täten Orchester oder Streichquartett ohne sie? Aber die Bratschenliteratur ist schmal, und so sucht sich, wer sich solistisch profilieren will, in der Regel ein anderes Instrument – weswegen es auch wenig berühmte Bratschisten gibt: Kim Kashkashian, Yuri Bashmet, Tabea Zimmermann sind einem bisher dazu eingefallen. Doch seit einiger Zeit gibt es einen weiteren hochbegabten jungen Musiker, der geeignet ist, das Ansehen des manchmal belächelten Instruments zu heben: Nils Mönkemeyer. Der jungenhaft wirkende 31-Jährige mit den Zauselhaaren hat fast alles an Preisen abgeräumt, was es für einen Bratschisten zu holen gibt und war nun im Meisterkonzert zusammen mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR unter der Leitung von Serge Baudo zu Gast. Auf dem Notenpult stand eines der wenigen romantischen Werke für Orchester und Solobratsche, Hector Berlioz´“Harold en Italie“: ein viersätziges, quasi-sinfonisches Tongedicht, das der Komponist als Auftragswerk für Niccolò Paganini geschrieben hat, der es allerdings als zu wenig virtuos verschmähte. Genau das Richtige also für einen Poeten wie Mönkemeyer: der versuchte erst gar nicht, geigerische Leichtigkeit auf dem tiefer gestimmten Instrument zu imitieren, sondern setzte auf die Wirkung seines samtig gedeckten, dunkel schimmernden Klangs, mit dem Berlioz seinen durch die Abruzzen wandernden Helden sprechen lässt. Man muss für dieses Werk Dramatiker und Epiker zugleich sein: die großen Bögen spannen und den Erzählton treffen, und das gelang dem blendend disponierten Orchester samt Solisten über weite Strecken vorbildlich. Berührend, mit welch euphorischer Gestimmtheit die Bratsche in den Gesang der vorbeimarschierenden Pilger im zweiten Satz einstimmte, inbrünstig das melodienselig-pastorale Idyll im dritten. Und nur im letzten Satz, beim Gelage der Räuber, vermisste man etwas die Ungestümheit, die das vergebliche Aufbegehren des Helden auch orchestral hätte beglaubigen können.

Strawinskys Ballettmusik „Pétrouchka“ wirkt in seiner an den Film erinnernden Montage- und Überblendtechnik auch heute noch modern. Für diese deskriptive, im Jahrmarktsmilieu spielende Musik mit ihren scharf gezeichneten Charakteren braucht man den Mut zum Drastischen, Hässlichen, grotesk Überzeichneten – und so ließ Baudo hier die Klarinette auch mal holzig klingen, die große Trommel mit Wucht in den Magen fahren. Es war eine kurzweilige, detailgenaue Aufführung, die vor allem von der Qualität des Orchesters, speziell seiner Bläser- und Schlagzeugsolisten lebte, das letzte Quentchen an kollektiver Emphase wie rhythmischer Präzision gleichwohl vermissen ließ. (Stuttgarter Zeitung)

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