Das Musiktheaterprojekt „Smiling Doors“ im Kammertheater Stuttgart

21.
Dez.
2011

Die Zeit heilt alle Wunden. Du musst positiv denken. Wenn Du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her.

So klingen sie, die zu Phrasen geronnenen Tröstungsversuche, die leeren Beschwichtigungsformeln, mit denen man jenen zu begegnen pflegt, die von einem Schicksalsschlag getroffen worden sind. In einer Szene des Musiktheaterprojekts „Smiling Doors“, das nun im Stuttgarter Kammertheater Premiere hatte, werden sie einem Mädchen, dessen Schwester gestorben ist, von allen Seiten immer wieder zugerufen. Eine Szene von großer Eindringlichkeit,in der sich sowohl die Hilflosigkeit der Rufer ausdrückt wie auch die Zumutung solcher Sätze für jene deutlich wird, für die ein existenzieller Verlust Realität geworden ist.

Wie soll man denn auch positiv denken können, wenn einem einfach bloß zum Heulen ist? Wenn die Trauer darüber, dass die Schwester gestorben ist, alles andere auslöscht, sogar die Gefühle für den Freund, der einen doch nur in den Arm nehmen will? Und was ist mit diesem verdammten Gott, der doch angeblich alles in seiner Hand hat?

Leben und Tod, Glück und Trauer, Himmel, Gott und Sinn, um die großen Fragen geht es in diesem sechzigminütigen Stück. Vierzehn Jugendliche, die zum Teil selber an Krebs erkrankt sind, haben dazu in mehrwöchigen Probenphasen musikalische Szenen entwickelt, in denen sie ihre Gedanken und Gefühle eingebracht haben. Unterstützt wurden sie dabei von der Leiterin der Jungen Oper, Barbara Tacchini, Margarethe Mehring-Fuchs von Element 3, einem Freiburger Verein zur Förderung der Jugendkultur, und dem Komponisten Bo Kuijpers.

Die erste Szene beginnt mit einem Frühlingsmorgen. Die Vögel zwitschern, drei Jugendliche schlendern umher und unterhalten sich, da setzt eine mystische Musik an und eine Tür öffnet sich, in der ein kleines Mädchen erscheint und eines der Kinder überredet, mit ihm hinter die Pforte zu kommen. Man ahnt hier, was später zur Gewissheit wird – es ist die Pforte zum Tod, und das kleinwüchsige Mädchen, das übrigens schon elf Jahre alt ist, spielt hier eine Art Todesengel, der sich mit seinem Laufrad unter die Schar mischt und während des ganzen Stücks immer präsent ist. „Nächste Station Himmel, Ausstieg in Fahrtrichtung rechts“, sagt es einmal ganz beiläufig, und da wird einem auch als Zuhörer etwas frostig zumute. „Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen“ heißt es bei Luther: Selten ist einem diese Tatsache derart subtil ins Bewusstsein gerufen worden wie hier.

Die verhandelten Themen sind ernst, aber das Stück besitzt auch eine berührende poetische Schicht, die nicht zuletzt der Authentizität der Texte geschuldet ist, die ja nicht von einem Autor, sondern von den Jugendlichen selber stammen. Unter denen gibt es sowohl echte Theatertalente wie begabte Dichter, Lou Strenger etwa: „Der Mensch lebt/Er gewöhnt sich daran/Der Mensch ist glücklich/Er gewöhnt sich daran/Der Mensch trauert/Er gewöhnt sich daran/Der Mensch liebt-“ Ja, das mit der Liebe ist etwas anderes. Was man ja auch allabendlich auf der großen Opernbühne gezeigt bekommt, auf der im Übrigen ebenfalls viel gestorben wird. Dass einem das Thema in diesem Stück trotzdem näher rückt als in vielen Operninszenierungen, liegt wohl nicht zuletzt daran, dass einige der Akteure tatsächlich schon selber dem Tod ins Auge geblickt haben.

Aber manchmal gibt es auch was zum Lachen. Wenn etwa der verträumte Barde mit den langen blonden Haaren auf seiner Klampfe immer wieder ansetzt, um sein Liebeslied zu singen und von der versammelten Schar seiner Kameraden ausgebuht wird. Er spielt das mit dem Selbstvertrauen eines stoischen Melancholikers, der weiß, dass seine Stunde kommen wird, und irgendwann, beim dritten oder vierten Versuch, ist da tatsächlich ein Mädchen, das sich von seinen holprigen Versen angesprochen fühlt.

Es gibt also Hoffnung. Auch für das Mädchen mit der toten Schwester. Die Trauer wird nicht ganz vergehen, sagt sie, aber das muss sie ja auch nicht, und so kann sie am Ende auch die Matratze, auf der ihre Schwester geschlafen hat, zur Seite räumen und Platz schaffen. Für ihr eigenes Leben.

Auch wenn es von der Jungen Oper produziert wurde, so ist das nachhaltig berührende Stück sicher keine Oper. Denn gesungen wird wenig, und die Musik hat eher unterstützende Funktion: das feine Gespinst aus Geräuschen, floskelhafter Melodik und Perkussion überdeckt nie die Szene, sondern verstärkt die Atmosphäre. Und das ist hier genug. (Stuttgarter Zeitung)

 

 

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