Das Ballett der Semperoper Dresden war mit „La Bayadère“ zu Gast beim Abu Dhabi Festival

04.
Apr.
2012

Foto: Costin Radu

„Gold to go“ – kein Problem mit dem Goldautomaten. Gewünschte Barrengröße wählen, Kreditkarte einlesen, schwupps, schon liegt das Edelmetall im Warenausgabeschacht. In Las Vegas, London und Mailand findet man je einen der mannshohen Kästen, aber allein drei davon stehen in Abu Dhabi. Einer in der Marina Mall, dem größten Einkaufszentrum des Emirats. Durch eine riesige Glasfront betritt man eine Shopping- und Erlebniswelt, deren Dimensionen selbst amerikanische Touristen in Staunen versetzen können. Abend- und Morgenland scheinen hier in friedlichster Eintracht zu koexistieren. Vollverschleierte Frauen schlendern neben kurzberockten Ladies durch die Designershops von Chanel, Gucci und Co., Männer in der Dischdascha, der traditionellen Tracht, üben Torwandschießen. Es gibt zwanzig Restaurants, ein Kino, eine Bowlingbahn. Und wer es zusätzlich zur Air condition gern noch etwas kühler mag: ein Schneepark mit Skipiste ist bereits im Bau.

Abu Dhabi ist nicht nur das größte, sondern auch das mit Abstand reichste der sieben Vereinigten Arabischen Emirate. Während im benachbarten Dubai die Ölvorräte allmählich zur Neige gehen, sprudelt das schwarze Gold in Abu Dhabi, das allein über knapp 10% der Weltvorräte verfügt, noch geschätzte 120 Jahre. Das sichert nicht nur den 250 000 Emirati, wie sich die Staatsangehörigen von Abu Dhabi nennen, eine großzügige staatliche Versorgung – das Pro-Kopf-Einkommen ist das dritthöchste der Welt – sondern ermöglicht dem seit 2004 von Scheich Chalifa bin Zayid Al Nahyan regierten Land immense Möglichkeiten zur Investition.

Wie den Bau des 2005 eröffneten Emirates Palace Hotel. Hier pflegen die Emire zu nächtigen, wenn sie sich zu Staatsgeschäften treffen, jedem von ihnen ist eine 1200 qm große Suite dauerhaft reserviert. Alles, was in diesem Prunkbau glänzt, ist wirklich Gold. Der an Monumente aus der Zeit des Absolutismus erinnernde, drei Milliarden Dollar teure Riesenbau dient als Luxushotel, Palast für Staatsgäste und Konferenzzentrum. Im Untergeschoss beherbergt er ein Auditorium, in dem auch die wichtigen Konzerte und Aufführungen des Abu Dhabi Festivals stattfinden.

Das seit 2004 jährlich stattfindende Festival ist ein Teil des groß angelegten Konzepts der Regierung, Abu Dhabi zu einer internationalen Kulturmetropole zu entwickeln. Konzerte, Theateraufführungen und Ausstellungen bilden den Kern des Festivals, dazu kommen diverse Förder- und Bildungsprogramme. In diesem Jahr lautete das Thema „Connecting cultures“, was man durchaus als Motto für die Kulturkonzeption Abu Dhabis insgesamt auffassen kann. Man pflegt die eigenen kulturellen Wurzeln, sucht aber auch den Kontakt mit westlicher Kunst – jedenfalls solange die nicht den strengen islamischen Sitten entgegensteht. Einen Schwerpunkt des Programms bilden Weltmusik- und Crossoverkonzerte, bei denen arabische mit westlichen Musikern musizieren, aber auch spezifisch westliche Kunstformen wie Oper oder Ballett werden angeboten.

Am vergangenen Wochenende waren zum ersten Mal die Ballettkompanie der Semperoper Dresden und die NDR Radiophilharmonie Hannover zu Gast. An zwei Abenden haben sie unter der Leitung von David Coleman im Emirates Palace „La Bayadère“ aufgeführt, ein abendfüllendes romantisches Ballett über die Liebe zwischen der indischen Tempeltänzerin Nikija und dem tapferen Krieger Solor, entstanden in der Blütezeit des kaiserlich-russischen Balletts am Mariinsky-Theater in St. Petersburg. Das Stück mit der überaus süffigen Musik des gebürtigen Wieners Léon Minkus ist ein orientalisches, reichlich klischeebehaftetes Märchen aus 1001 Nacht, das aber im 2. Teil den berühmten Schattenakt enthält: dem Helden erscheint seine Geliebte in einer nächtlichen Opiumvision in vielfacher Gestalt. Dieser Teil des Balletts wird von Kompanien auch gerne separat aufgeführt, und es ist wirklich ein betörendes Bild, wenn die 24 Tänzerinnen in Tutus quasi engelsgleich vom Himmel schweben und sich in Choreografien von berückender Anmut synchron bewegen. Da gab es dann auch im nicht ganz ausverkauften Saal Szenenapplaus. Waren hier Bühne und Kostüme aufs Äußerste reduziert, so galt für die anderen Akte offenbar das Motto „Je bunter, desto besser“: Schnabelschuhe und federbesetzte Turbane wie beim Karneval, dazu wallende, bestickte Gewänder in allen Farben. Einmal flog sogar ein komplett mit Goldfarbe angepinselter Tänzer herein, am Ende durften die Pyrotechniker gar noch Knaller zünden und die Bühne in Rauchschwaden hüllen. Die Vorliebe des arabischen Publikums nach Opulenz dürfte das Stück, das in Dresden bereits 2008 Premiere hatte, nachhaltig bedient haben.

Freilich: Internationales Kulturpublikum, das dafür eigens an den Golf reist, wird man allein mit solchen Veranstaltungen kaum gewinnen können. Das könnte sich in einigen Jahren ändern, wenn das Megaprojekt auf der vorgelagerten Insel Al Saadiyat Gestalt angenommen hat, wo zurzeit das weltgrößte Ensemble spektakulärer Kulturbauten entsteht, darunter vier Museen, eine Oper, eine Konzerthalle und drei Theater. Frank Gehry, der schon das Guggenheim Museum in Bilbao geplant hat, baut hier die größte Filiale des New Yorker Museums, unter der Leitung von Jean Nouvel wird eine Dependance des Pariser Louvre errichtet. Und der Brite Sir Norman Foster ist mit dem Bau des Sheik Zayed Nationalmuseums beauftragt, einer Hommage an den 2004 gestorbenen Emir von Abu Dhabi, unter dessen Herrschaft das einstige Beduinenvolk innerhalb weniger Jahrzehnte in die Moderne katapultiert wurde.

Ob den Machthabern aber so richtig klar ist, dass sie sich mit westlicher Kunst langfristig auch westliche Ideale ins Land holen? Zwar wurden die Emirati bislang mit materiellen Wohltaten erfolgreich ruhiggestellt, der arabische Frühling findet anderswo statt. Doch dass auch in Abu Dhabi die Machthabenden nervös werden, hat unlängst die erzwungene Schließung der Niederlassung der Konrad-Adenauer-Stiftung deutlich gezeigt. Auf Dauer dürfte sich das Entstehen einer gesellschaftlich aktiven Zivilgesellschaft selbst in einer solchen Wohlstandsoase kaum verhindern lassen. Auch nicht mit Goldautomaten.

 

 

 

 

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