Bobby McFerrin und Chick Corea in Stuttgart

25.
Jun.
2012

Musikalisches Kurzpassspiel

Eine Stimme, ein Klavier. Das reicht am Sonntagabend, um gut 2000 Menschen zwei Stunden lang glücklich zu machen. Die Jazzpianolegende Chick Corea, 71, und der Vokalartist Bobby McFerrin, 62, kennen sich schon seit über 20 Jahren, haben schon einige Platten zusammen gemacht und treffen sich immer mal wieder zu gemeinsamen Konzerten. Dabei gelingt ihnen regelmäßig das Kunststück, auch in großen Sälen die Atmosphäre einer Wohnzimmersession hervorzurufen. Auch die Bühne des voll besetzten Beethovensaals betreten sie, als würden sie mal eben zu einer Probe kommen: mit Jeans, Sneakers und T-Shirt, bzw. Polohemd. Bloß keine Förmlichkeiten. Es geht nur um Musik. Und die gemeinsame Freude daran.
„Play“ heißt ihre erste gemeinsame, in Deutschland vergriffene Platte, und wenn man einen Überbegriff suchen müsste für das, was Corea und McFerrin da machen, so wäre Spielen wohl der treffendste. Es ist freilich ein Spiel auf höchstem  Niveau – denn die Freiheit, mit der hier mit Tönen im Allgemeinen und der Jazztradition im Speziellen gespielt wird, beruht auf einer vollkommenen Beherrschung von Technik und Stil. Ein Fußballvergleich sei, aus gegebenem Anlass, erlaubt: „Tiki-Taka“ nennt man das Kurzpassspiel der spanischen Fußballnationalmannschaft. Und wie sich Xavi und Co. im Mittelfeld die Bälle immer wieder mit traumwandlerischer Sicherheit und Eleganz zuspielen, so spielen sich auch Corea und McFerrin die Motive und Rhythmen zu, nehmen sie auf und entwickeln sie weiter, immer das Unerwartete erwartend, den Perspektiven eröffnenden Geistesblitz. Mal ist es McFerrin, der mit einem auf die Brust geklopften Rhythmuspattern den Reigen eröffnet, ein andermal präludiert zunächst Corea in seiner ganz typischen Manier: die kleinen Auftaktgirlanden, mit denen er Phrasen einleitet, die melodischen Schnörkel, die typischen Harmoniewendungen sind seit den 70er-Jahren sein Markenzeichen. Und wenn sich beide dann zum Dialogisieren treffen, kann das entweder in jene völlig ungebundenen musikalische Sphären führen, wo sich Bossa Nova, Blues und Weltmusik in fröhlicher Eintracht begegnen. Oder in einen Standard aus dem American Songbook münden, das beide aus dem Effeff kennen. Nicht immer sind die Stücke dann ganz leicht zu erkennen: „Our love is here to stay“, „Billies´Bounce“, „Blue Bossa“ und „So what“ meint man herausgehört zu haben, aber manchmal machen sich Corea und McFerrin auch einen Spaß daraus, die Klassiker erst einmal lange verfremdend zu umspielen, bis sich eine identifizierbare Melodie herausschält. Oder auch nicht.
Grandios sind aber auch die Solonummern der beiden. Bobby McFerrin ist dabei  ein veritables Ein-Mann-Orchester, ein einziger Klang-Körper. Wie ein Meisterjodler kann er mit seiner Vier-Oktavenstimme (oder sind es fünf?) blitzschnell vom Brust-ins Kopfregister und zurückspringen und damit eine Mehrstimmigkeit vortäuschen, die immer wieder verblüfft. Dazu entlockt er seinem Körper vom Schnalzen, Klopfen und Sirren bis zum Zischen und Gurren alle nur denkbaren Lautäußerungen. Hier kann man erleben, was Groove bedeutet. Unglaublich.
Und wenn Chick Corea solo spielt, dann wird für einige Minuten die große Zeit der frühen 70er-Jahre wieder lebendig, bevor er zum Wegbereiter des Fusion-Jazz wurde. Damals spielte er zusammen mit Joe Farrell, Airto Moreira, Flora Purim und Stanley Clarke in der quasi-akustischen Urbesetzung der Band „Return to Forever“, die beiden Studioalben der Band zählen bis heute zu den Sternstunden des Jazz. Und als wäre er ein musikalischer Archäologe in eigener Sache, gräbt Corea in einer Soloimprovisation in seiner eigenen Vergangenheit: zitiert die dezenten Hispanismen, beleuchtet die neoromantisch-versonnenen Eskapaden seiner frühen Soloklavieraufnahmen noch einmal neu.
Das könnte noch Stunden so weiter gehen, aber dann werden – einige haben wohl schon damit gerechnet – Freiwillige aus dem Publikum zum Mitmusizieren auf die Bühne gebeten. Was die Pianisten anbelangt, hält sich das Interesse in Grenzen: gerade mal drei Mutige trauen sich, mit dem Großmeister vierhändig zu spielen, dem letzten der drei gelingt es sogar richtig gut. Umso größer dann der Andrang bei den Sängern, unter denen sich wohl auch einige Profis befinden, wobei McFerrin insofern immer die Oberhand behält, als er mit seinem riesigen Tonumfang sowohl mit Sopranistinnen als auch mit Baritonen auf gleicher Tonhöhe mitagieren kann. Jedenfalls ist es für alle ein Riesenspaß  – bis auf den letzten der sechs Aspiranten: den hat McFerrin wohl vergessen, sodass er unverrichteter Dinge wieder von der Bühne trotten muss.
Zum Schluss dann das wohl berühmteste Stück Chick Coreas (übrigens auch aus der „Return to Forever“-Periode):„Spain“. McFerrin gelingt in der minutenlangen Intro dabei das Kunststück, gleichzeitig Perkussion und Bass zu evozieren, Corea lässt den Flügel schillern und glitzern, ehe sich beide in dem berühmten Thema vereinen. Schöner kann es eigentlich nicht mehr werden.   (Stuttgarter Zeitung)

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