Jean-Philippe Rameaus „Platée“ am Opernhaus Stuttgart

04.
Jul.
2012

„Fließt, kostbare Säfte, fließt im Übermaß, ihr seid die Quelle aller Freuden“, so singt Satyr im Prolog zu Jean-Philippe Rameaus Oper „Platée“, und das darf man hier ruhig wörtlich nehmen. Denn die Neigung des französischen Adels im 18. Jahrhundert zu frivolen Ausschweifungen ist ja bekannt, und so lässt der katalanische Regisseur Calixto Bieito, der das ballett bouffon nun an der Stuttgarter Staatsoper neu inszeniert hat, auch wenig aus an drastischer sexueller Metaphorik. Bieito hat das Stück um die hässliche Sumpfnymphe Platée, den liebestollen Jupiter und seine eifersüchtige Frau Junon in das cool-schicke Ambiente der New Yorker Disco 54 verlegt, wo das Partyvolk sich allen nur denkbaren Lustbarkeiten hingibt. Da gibt es Penisse in allen Größen (echte wie falsche) zu bewundern, Bacchus zeigt als XXL-Rubensdame ihre Riesenbrüste. Dekadenz ist allerorten angesagt, und so wird nach Kräften herumgefummelt- und gerammelt, auch die Dialoge sind oft mehr gekichert als gesungen. So weit, so lustig, schließlich entspricht das durchaus der Vorlage, und auch dass Bieito die Hauptfigur Platée, im Original als Hosenrolle angelegt, als Transvestiten deutet, wirkt im Kontext einer allgemeinen sexuellen Libertage stimmig.

Was aber etwas zu kurz kommt, ist der Aspekt der Tragödie, die hinter der entfesselten Farce lauert. Der charakterlich vielschichtig angelegten Platée nämlich wird nämlich übel mitgespielt: sie wird als Werkzeug in einer fingierten Hochzeit missbraucht und am Ende ausgelacht. Der ansonsten fulminant spielende und singende Thomas Walker bringt diese Ambivalenz nur ansatzweise zum Ausdruck, anders als die neue Primadonna am Stuttgarter Haus, Ana Durlovski. Ihren Auftritt als La Folie ist der einsame Höhepunkt des Abends.  Mit aufgerissener Frisur stakst die Durlovksi wie eine derangierte Rockröhre auf Stöckelschuhen herein, schon merklich angeschickert. Sie schrubbt kurz ein paar Akkorde auf ihrer E-Gitarre und lässt dazu einige Koloraturen wie Laserstrahlen durch die Disco blitzen, sie röchelt, lacht und und gurrt, und man spürt: diese Frau ist eigentlich am Ende. Sie will es nur nicht wahrhaben.

Gesungen wird ohnehin prima an diesem Abend, wenn man mal von Cyril Auvity (Mercure) absieht, der anfänglich doch einige Probleme mit den Höhen seiner Partie hat. Und auch das von dem Barockspezialisten Christian Curnyn geleitete Staatsorchester macht seine Sache so gut, wie es ohne Originalinstrumente eben geht: rhythmisch (meistens) auf dem Punkt, sprechend artikuliert und immer in Kontakt mit der Bühne.  (Mannheimer Morgen)

 

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