Das Eröffnungskonzert von „Der Sommer in Stuttgart“ im Theaterhaus mit Werken junger Komponisten

23.
Jul.
2012

Bei Regen nur mit Hut

Der Gitarrist reibt den Boden seines Instruments, es quietscht. Der Posaunist produziert Luftgeräusche. Der Perkussionist hat einige Blätter Papier vor sich aufgehängt, die er zart mit dem Klöppel anschlägt, es tönt filigran. Später wird das Papier eingenässt, worauf es die meisten Obertöne einbüsst. Geräusche und instrumententypische Töne formen ein lockeres Kontinuum, innnerhalb dessen gelegentlich eine Art rhythmisches Muster aufscheint. Hörbare Strukturen scheinen sich aus den Klängen, die die sieben Musiker des Ensemble ascolta laufend produzieren, nicht herauszubilden.

Im Programmheft des von Musik der Jahrhunderte konzipierten Minifestivals „Der Sommer in Stuttgart“ kann man dazu lesen, dass sich die Komponistin Manuela Kerer für ihr Stück „Ixodoo“ mit den zerebralen Voraussetzungen von Menschen beschäftigt hat, die nach einer Gehirnverletzung amusisch wurden, also Musik nicht mehr begreifen können. Nicht ganz klar wird, ob Kerer in ihrem Stück die Hörerfahrung von amusischen Menschen beschreiben, also quasi das Nichtverstehenkönnen von Musik klingend ausdrücken will. Das wäre ihr nämlich durchaus gelungen, wenngleich man auf diese Erfahrung auch gut hätte verzichten können.

Stefano Gervasoni dagegen, so kann man weiter lesen, befasst sich in seinem Werk „nube obbediente“ für Posaune und Schlagzeug mit dem Wetter und seinen Konsequenzen. Das „Erlernen von Regeln“, so Gervasoni, geschehe „angesichts des Wetters spontan“: man ziehe sich wärmer an, wenn es kalt werde, bei Regen nehme man einen Regenschirm mit. Oder einen Hut. Wenn diesen Gedankengängen eine gewisse Stringenz nicht abzusprechen ist, so blieb gleichwohl im Nebel, was diese mit dem Duostück zu tun haben könnten, das daraufhin zu hören war.

Doch bevor man allzusehr ins Grübeln darüber kommen konnte, mit was sich junge Komponisten heutzutage so zu beschäftigen pflegen, war die Pause schon vorbei und man lauschte Giovanni Bertellis „autoritratto in tre passaggi“. Hier versucht der Komponist „aus verschiedenen Hörwinkeln“ zu schildern, wie in einem „abgelegenen Dorf“ gleichzeitig eine Beerdigung und eine Kirchweih stattfinden, und tatsächlich ließen sich dank dieser Information einige Klangfragmente der von Michael Alber dirigierten Partitur – Trauermusikfetzen, vorüberfahrene Autos, Vogelstimmen – kontextuell verorten.

Manuel Rodriguez Valenzuela verzichtet bei seinem Stück „Spuren“ gleich auf größere Erklärungen. Mittels Ohrenkitzlern wie Minisirenen, Fahrradklingeln und auf den Boden geschmissene Becken veranstaltet er ein buntes Klanghappening, bei dem es groovte, schepperte und bimmelte wie auf einem Jahrmarkt. Das war wenigstens unterhaltsam.

(Stuttgarter Zeitung)

 

 

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