Die Dresdner Philharmonie mit Anne-Sophie Mutter in Stuttgart

16.
Mai.
2013

Gemütlichkeit statt romantischem Drängen

Was das für ein tolles Konzert hätte werden können merkte man am Ende, als die Dresdner Philharmonie als Zugabe „La Boda de Luis Alonso“ spielte, eine Zarzuela des spanischen Komponisten Gerónimo Giménez. Kein Meisterwerk, aber ein wirkungsvoll instrumentiertes, mitreißendes Stück, dem der Dirigent Rafael Frühbeck de Burgos die richtige Mischung aus Quirligkeit und rhythmischer Präzision verlieh. Der 79-jährige gilt als der Altmeister unter den spanischen Dirigenten, sechzehn Jahre leitete er unter anderem das Spanische Nationalorchester, und es dürfte wenige Kollegen geben, die mit der Musik seiner komponierenden Landsleute ähnlich vertraut sind wie er. Schade bloß, dass davon keines auf dem Programm stand, zumal etwa die wunderbaren Orchesterwerke von Manuel de Falla ein Schattendasein auf unseren Konzertbühnen fristen – im Gegenteil zu Beethovens Werken, von denen bei diesem Meisterkonzert gleich drei gespielt wurden: Die „Egmont“-Ouvertüre, das Violinkonzert und die siebte Sinfonie.

Nun haben sich, was die Beethoveninterpretation anbetrifft, die Vorzeichen in den letzten Jahrzehnten unter dem Einfluss der historischen Aufführungspraxis verändert. Indem Dirigenten wie John Eliot Gardiner oder Roger Norrington die Besetzungen verkleinert, das Klangbild entschlackt und die Artikulation geschärft haben, haben sie auch Beethoven als musikalischen Revolutionär historisch wieder richtig verortet. Ein heutiger Beethoven-Dirigent kann diese Erkenntnisse kaum ignorieren, auch wenn er ein Orchester leitet, das, wie die Dresdner Philharmonie, für jenen weichen, „deutschen“ Orchesterklang steht, dessen Qualitäten eher in einem luxuriös verblendeten Mischklang liegen. Wenn er es trotzdem tut, bezahlt er unter Umständen einen hohen Preis – und der bestand an diesem Abend vor allem in mangelnder Klarheit und fehlender rhythmischer Präzision. Viele Dirigenten setzen, auch wenn sie auf modernen Instrumenten musizierende Orchester leiten, wenigstens historische Pauken mit harten Schlägeln ein. Das schärft den rhythmischen Puls und verhindert ein dumpfes Grollen wie hier zu Beginn des Violinkonzerts, das statt romantischem Drängen eher saturierte Gemütlichkeit vermittelte. Freilich passte diese Haltung zu der der Solistin. Denn Anne-Sophie Mutter bremste den ohnehin wenig ausgeprägten rhythmischen Impetus, indem sie bei fast jeder sich bietenden Gelegenheit das Tempo herausnahm, um sich in exzessiven Rubati zu verlieren. Ja, Mutters Schwelgen in schönen Tönen hatte manchmal schon etwas Manieriertes: anstatt zu differenzieren und die wechselnden Tonfälle dieses Konzerts klanglich und artikulatorisch nachzuvollziehen, reihte sie einen gleißenden Ton an den anderen. Den Themeneintritt nach der Kadenz im ersten Satz zelebrierte sie wie ein Wiegenlied – das sollte wohl inbrünstig wirken, klang aber genauso aufgesetzt wie die Pizzicatopassage im Larghetto, wo die Musik praktisch zum Stillstand kam. Das ist umso mehr schade, als ihr technisches Potential nach wie vor groß ist und auch die tonliche Palette ihrer Stradivari sicher mehr erlauben würde als dauervibratogesättigten Schönklang. Schwer zu sagen, ob Rafael Frühbeck de Burgos die Beethovensicht seiner berühmten Solistin teilte oder nur notgedrungen akzeptierte – das Zerfallen des Konzerts in einzelne Stellen konnte er jedenfalls nicht verhindern.

Etwas besser gelang die siebte Sinfonie. Die weich-kompakten Akkordschläge der Introduktion ließen die Qualitäten seines Orchesters aufscheinen, das – eher selten heutzutage – über einen eigenen, distinkten Klang verfügt. So konnte man sich zwar erfreuen an herrlichen Holzbläsersoli, dunkel schimmernden Streichern und butterweichem Blech, gleichwohl war diese Siebte weit davon entfernt, zu jener „Orgie des Rhythmus“ zu werden, als die sie Romain Rolland charakterisierte. Auch hier war vor allem die Streichergroßbesetzung ein echtes Handicap – zu Brahms oder Bruckner hätte sie besser gepasst.

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