Das WDR Sinfonieorchester Köln mit Jukka-Pekka Saraste in Stuttgart

20.
Okt.
2013

Musik als Narkotikum

Die Finnen können´s besser. Nicht nur in Pisa-Vergleichstests deklassiert das kleine Völkchen aus dem Norden den Rest Europas, auch in der klassischen Musik leisten die Finnen Erstaunliches. Die Musikerziehung in Finnland ist vorbildlich organisiert, fast jede größere Stadt leistet sich ein Orchester. Klassische Musik genießt dort eine Popularität, wie man sie höchstens noch im benachbarten Estland findet. Kein Wunder also, dass auffallend viele der besten Dirigenten Finnen sind: Etwa Esa-Pekka Salonen, Osmo Vänskä oder Mikko Franck, die alle an der Sibelius-Akademie in Helsinki bei Jorma Panula studierten, dem legendären Orchesterleiter, der eine ganze Dirigentengeneration geprägt hat.
Der 57-Jährige Jukka-Pekka Saraste gehörte ebenfalls zu Jorma Panulas Meisterschülern. Sein Auftritt in der Meisterkonzertreihe mit dem WDR Sinfonieorchester Köln, dessen Chefdirigent er seit 2010 ist, war ein Paukenschlag – ein sinfonischer Höhepunkt, der auch von renommierteren Orchestern schwer zu toppen sein dürfte.
Schon die ersten Takte des wagnerschen Tristan-Vorspiels ließen aufhorchen: welch profunder, edel verblendeter Klang! Ein Klang freilich, der nicht pauschal blieb, sondern im Verlauf des Vorspiels und speziell im anschließenden Liebestod die vielfältigsten Abtönungen und Schattierungen zeigte. Saraste dirigierte Wagner mit ungeheurer metrischer Innenspannung, was ihm erlaubte, auch im langsamen Tempo weite Bögen zu formen. Die Musik war dabei ständig im Fluss, immer mit klarer Richtung, jede Phrase entwickelte sich organisch aus der vorigen. Die Crescendi im „Liebestod“ schließlich erlebte man als Eruptionen einer bis dahin gebändigten Energie, glühend, fesselnd. Musik als pures Narkotikum.
„Das Clavier ist auf das feinste mit dem Orchester verwebt – man kann sich das Eine nicht denken ohne das andere“, schrieb Clara Schumann über das Klavierkonzert a-Moll ihres Mannes, das man an diesem Abend in einer besonders geglückten Verzahnung von Solo- und Orchesterpart hörte. Die Französin Hélène Grimaud, die sich auch pianistisch merklich entwickelt hat, stellte die emotionale Palette dieses zwischen bangem Sehnen und überschwänglichem Jubel überzeugend dar. Mag auch ihr Ton nach wie vor wenig Facetten haben – die Emphase, mit der sie, ideal unterstützt von Jukka-Pekka Saraste und dem blendend spielenden Orchester, dieses Konzert zu ihrer Herzenssache machte, war mitreißend.
Zum Schluss dann Brahms´ vierte Sinfonie, die wohl noch selten mit einer solch inneren Logik musiziert wurde wie hier. Die meisten anderen Dirigenten wirken wie Taktschläger im Vergleich zu Saraste, bei dem rhythmischer Sog das Ergebnis schlüssiger Phrasierung ist, der stets in Entwicklungen denkt und hat dabei den Gesamtklang bis ins Detail im Griff. Ganz großes Format! (StZ)

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