Puccinis Oper „La Bohéme“ an der Staatsoper Stuttgart

01.
Jun.
2014

Gefühle in der Spätzlespresse

Manchmal ist es schon ein Elend mit dem Regietheater. Aktuell zu erleben an der Staatsoper Stuttgart, wo die Regisseurin Andrea Moses Giacomo Puccinis „La Bohème“ neu inszeniert hat und dabei vor lauter aktuellen Verweisen völlig vergaß, die (Liebes-)Geschichte von Mimi und Rodolfo zu erzählen. Nun haben es die Regisseure aber auch nicht leicht. Aus Mangel an attraktiven aktuellen Stücken (hier wäre auch mal über das Elend der neuen Musik zu reden) müssen sie die immergleichen, tausendfach befragten Werke des Opernkanons immer wieder aufs Neue abklopfen, in der vagen Hoffnung, ihnen bislang übersehene, verborgene Facetten abgewinnen zu können. Im Falle von „La Bohéme“ hat Andrea Moses die Tendenz zur Selbstvermarktung in der aktuellen Kunstszene in den Mittelpunkt gestellt: während die Künstler der Pariser Bohéme des 19. Jahrhunderts, wo die Oper spielt, ihre prekären Lebensbedingungen noch als Gegenentwurf zur Bürgerlichkeit inszenierten, hat in der Stuttgarter Inszenierung der Kommerz auch das Private restlos durchdrungen. Jeder verkauft sich hier selbst, so gut er kann – das geht so weit, dass die Sänger bei ihren Arien in ein Mikrofon singen, als wären sie Kandidaten einer Casting-Show. Am Ende der Oper wird sogar die tote Mimi abfotografiert und das Bild an die schon bereit stehenden Kunsthändler verkauft: zack, schon ist ein roter Punkt drauf. Abgesehen davon, dass der Einfall mitnichten ganz neu ist, so hat er ernsthafte Konsequenzen für das Grundverständnis der Oper: denn auf diese Weise werden auch die Emotionen in Anführungszeichen gesetzt. Wenn Mimi und Rodolfo bei ihren Duetten händchenhaltend ins Publikum schmachten, als wären sie bei einer Operngala, treten sie quasi aus dem Stück aus, das sie selber spielen. Alles hier ist Simulation, falsches Gefühl. Der Kommerz hat die Unschuld getilgt.

Die Regie verletzt damit auch, was für viele die Faszination dieser Oper vor allem ausmacht: die Authentizität ihrer verzehrend schönen Musik, die sich aus der Spannung von Liebe und Tod speist.

Nein, unberührter ging man lange nicht aus einer „La Bohéme“- Aufführung, zumal sich auch Simon Hewitt am Pult des Staatsorchesters der Auffassung angeschlossen zu haben schien, es mit dem Gefühl nicht zu übertreiben: Unorganisch, eckig, mit wenig Eleganz und noch weniger Klangsinnlichkeit dirigierte der Amerikaner die Premiere. Sängerisch konnte die Künstlerriege mit André Morsch (Schaunard), Bogdan Baciu (Marcello) und Adam Palka (Colline) trotz manchmal etwas rustikaler Tonbildung mit gesunden, kräftigen Stimmen überzeugen. Im Gegensatz zu der in Stuttgart merkwürdig gehypten Sopranistin Pumeza Matshikiza: eng, gaumig, in der Höhe belegt und intonatorisch unsicher war die südafrikanische Sängerin mit ihrer Rolle als Mimi sowohl sängerisch als auch darstellerisch überfordert. Als einziger wirklicher Glanzpunkt blieb der fabelhafte Tenor Atalla Ayan als Rodolfo: mit weit geformten Phrasen, einer strahlenden, dabei niemals forcierenden Höhe, konzentrierter Tongebung und vor allem einer spürbaren Identifikation mit seiner Rolle widersetzte er sich der allgemeinen Tendenz zur Relativierung.

Ach ja, und dann war ja noch das Bühnenbild von Stefan Strumbel. Der Schwarzwälder Künstler, nach eigenem Bekenntnis bisher kein Opernfan, umkreist in seinen Arbeiten meist den Begriff Heimat, den er auch gern ironisch aufs Korn nimmt – Stichwort bunte Kuckucksuhren. Die Stuttgarter Bühne stattete er folgerichtig mit einigen aufs Lokale weisenden Requisiten aus. So wurde der zweite Akt (ein sinnfrei überdrehtes, grellbuntes Fest der Kostüme, mit denen die Schneiderei wohl einige Wochen beschäftigt war) von einem Plakat mit einer gigantischen Spätzlespresse Marke „Heiligs Blechle“ überwölbt, aus deren Löchern aber keine Teigwaren, sondern rotes Fleisch gedrückt wurde. Die Spätzlespresse prangte auch als Logo auf den Einkaufstüten der flanierenden Kunden, was man dann wohl gesellschaftskritisch verstehen soll: der Kapitalismus fordert seine Opfer! Das wusste man aber auch schon vorher.

Aufführungen am 4., 15., 18., 20., 24. und 30. Juni.

(Südkurier Konstanz)

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