Anna Netrebkos Arienabend im Baden-Badener Festspielhaus

11.
Jun.
2014

Packende Dramen

Es fängt gleich gut an in Baden-Baden. Man könnte natürlich fragen, warum man zum Auftakt die Sinfonia zu Bellinis Oper „Norma“ spielt, wenn es danach mit Verdi-Arien weitergeht, aber so rhythmisch trocken, schwungvoll und elegant wie die von Pavel Baleff geleitete Baden-Badener Philharmonie das hier musiziert, ist das Hören ein ziemliches Vergnügen.
Und dann kommt sie. Anna Netrebko. In einem schwarzen Kleid mit Schleppe  schreitet sie auf die Bühne, lächelt. Dann setzt das Orchester ein, „Tacea la notte placida“ aus Verdis „Il trovatore“. Die Kavatine beginnt ruhig, Leonore erzählt von dem nächtlichen Sänger, an den sie ihr Herz zu verlieren droht, und schon in den melodischen Aufschwüngen teilt sich die Erregung mit, die sich im zweiten Teil mit weiten Intervallsprüngen und Koloraturen Bahn bricht. Nicht nur diesen Umschlag gestaltet die Netrebko mitreißend.

Nun besteht die Herausforderung bei solchen Potpourri-Programmen für die Sänger darin, sich in dramatische, aus dem Opernkontext gelöste Situationen einzufühlen und diese zu fokussieren. Meist aber hört man bei solchen Anlässen nur schöne Melodien, abgesungen im Stil einer Operngala. Das war bis vor einigen Jahren auch bei Anna Netrebko gelegentlich so (wenngleich sie stimmlich schon immer viel zu bieten hatte). Doch das hat sich mittlerweile geändert.

Zu hören in der Arie der Macbeth „La luce langue“. Beim Orchestervorspiel steht Anna Netrebko steif da, die Hände an die Oberschenkel gepresst, den Blick starr zur Seite gewendet. Sie singt von der Wollust der Macht, von der Nacht, die die schuldige Hand der Mörderin verbirgt, und auch wenn ihr der Furor der Callas noch fehlen mag, deren Spitzentöne wie kalter Stahl ins Herz stießen, so gestaltet sie die kurze Arie doch wie ein packendes Drama, verkörpert für wenige, kostbare Minuten eine von Mordlust Besessene. Dass ihr das derart überzeugend gelingt, liegt auch an ihren gesteigerten vokalen Möglichkeiten. Zu den berühmten, golden schimmernden Tönen und der apart verhangenen mezza voce sind mittlerweile auch die Fähigkeit zu expressiver Schärfung und ein größeres Stimmvolumen gekommen, was ihr die Gestaltung dramatischer Partien erleichtert.

Einen gewichtigen Anteil am Gelingen kam an diesem Abend aber auch der Philharmonie Baden-Baden zu. Ihre Dirigent Pavel Baleff nahm nicht nur die Begleitung in den Arien ernst, sondern gestaltete auch die eingestreuten Intermezzi mit einer Verve und spannungsvollen Emphase, wie man sie auch in großen Opernhäusern eher selten erlebt. Abgesehen vom Eingangsstück war auch die Programmdramaturgie stimmig: das Preludio zu „I Masnadieri“ mit dem ausdrucksvollen Cellosolo bereitete das Duett Desdemona/Otello aus Verdis Oper „Otello“ atmosphärisch vor, in dem das Cello ebenfalls ein prominente Rolle spielt.

Ja, es gab auch zwei Duette an diesem Abend, und die waren wohl die einzige, leichte Enttäuschung – was nicht an Anna Netrebko lag. Doch der Tenor James Valenti war an diesem Abend kein adäquater Gegenpart zu Netrebko, weder stimmlich noch darstellerisch. In Duett „Già nella notte densa“ singt er von den Glücksgefühlen zu Desdemona, der er tief in die Augen blickt – allein, man spürt nichts davon. Zwar besitzt der Amerikaner ein angenehmes Timbre, doch wirkt er merkwürdig befangen – und das nicht nur wegen seines eindeutig zu engen Smokings. Seine Klangentfaltung in der Höhe ist bemüht, was auch seine rollenden Rs bei „Amorrrr“ nicht kompensieren können. Statt sich im körperlichen Ausdruck der Rolle anzupassen, bedient er sich tenoraler Standardgesten: Hände ineinanderlegen, ans Herz greifen. Dabei hätte es so schön werden können, gerade im letzten Stück des Abends, dem Duett „Oh, sarò la più bella…“ aus Puccinis Manon Lescaut, wo Anna Netrebkos Stimme herzzerreißend den Raum flutet. Das Publikum jedenfalls applaudiert stehend, womit es recht hat, und es gibt eine Zugabe: das Lied an den Mond aus Dvoráks Rusalka. Ach… (StZ)

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