Sophie Karthäuser singt Poulenc

23.
Jun.
2014

Die ganze Welt in einem Lied

Das Kunstlied ist in der Krise. Konzerte sind oft schlecht besucht, das Repertoire ist längst abgesteckt, aufregend Neues nicht in Sicht. Oder doch? Hört man die neue, wunderbare CD der belgischen Sopranistin Sophie Karthäuser mit Lieder von Francis Poulenc, kann man durchaus Hoffnung haben für die ehrwürdige Gattung Sänger/in plus Klavier. Man kennt  Sophie Karthäuser vor allem aus der Alte-Musik-Szene: Bach, Haydn, Mozart, das ist gemeinhin ihre Welt. Dass sie aber auch eine großartige Liedinterpretin ist, zeigt sie mit den „Mélodies“ des hierzulande immer noch leider viel zu wenig bekannten Francis Poulenc. In einer Zeit, in der die Tonalität längst abgeschafft schien, hat ihr Poulenc noch einmal zu einer späten Blüte verholfen, und das enorm weite Spektrum seiner Tonsprache vermittelt die Liedauswahl auf dieser Platte eindrücklich: da steht Quasi-Naivität („La courte paille“) neben surrealistisch verrätselten Szenen in den Zyklen nach Gedichten von Paul Éluard oder Guillaume Apollinaire, übermütiger Witz („Fetes galantes“) neben Walzerpreziosen wie „Les chemins d´amour“.  Und wie Poulenc für jedes Gedicht einen anderen kompositorischen Zugang wählt, findet Sophie Karthäuser dafür den jeweils passenden Tonfall, bei dem sie ihr Begleiter Eugene Asti am Klavier kongenial unterstützt. Karthäusers Deklamation ist vorbildlich, die Palette ihrer Klangfarben scheinbar unerschöpflich, in erster Linie aber dient ihr vokale Technik als Mittel zum Zweck. Innerhalb weniger Minuten eine ganze Welt entwerfen: das gelingt ihr mit diesen Liedern.

Francis Poulenc. Les Anges musicien. Harmonia Mundi.

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