Das Stuttgarter Staatsorchester im zweiten Sinfoniekonzert

07.
Dez.
2014

Das Subjekt meldet sich zu Wort

Die Frage, was Musik ausdrücken kann, ist wohl so alt wie die Musik selber. Während es im Barock vorwiegend es um stilisierte Affekte, um allgemeingültige Gefühle und Stimmungen ging, rückte in der Klassik zunehmend der einzelne Mensch in den Mittelpunkt der musikalischen Ästhetik. Auf die Spitze getrieben wurde der subjektive Ausdruck in der spätromantischen Musik – und es waren vermutlich deren Auswüchse, auf die sich Igor Strawinskys Aussage „Ich hasse Ausdruck“ bezieht. Mit dieser Haltung, die sich speziell gegen die deutsche Musik richtete, war Strawinsky nicht allein: gerade in Frankreich, wohin er 1920 auswanderte, war sie weit verbreitet. Drücken Werke, die in diesem Geist komponierte wurden wie Strawinskys „Sinfonie für Bläser“ oder seine „Sinfonie in drei Sätzen“, die das Staatsorchester bei seinem Sinfoniekonzert im Beethovensaal spielte, nun also gar nichts mehr aus? Oder ist es vielmehr so, dass sich durch die Verweigerung von Subjektivität die Kategorien des Ausdrucks verschieben?
Romantische Anklänge finden sich in dieser Musik jedenfalls kaum. Die Dissonanzen zu Beginn der Bläsersinfonie schneiden gehörig ins Ohr, und die jäh wechselnden Perspektiven der großen dreisätzigen Sinfonie erinnern eher an die Schnittästhetik des Kinos. Aber ist man auf der falschen Fährte, wenn man in deren Mittelsatz fast debussyhaften Klangzauber heraushört? Oder den herben Clustern der Bläsersinfonie melancholische Qualitäten zuschreibt? Das Hören dieser ungemein intelligent gemachten Musik war jedenfalls eine Freude, was am großartig spielenden, vom Gastdirigenten Ilan Volkov präzise geführten Staatsorchester lag.
In den Synkopen des ersten Kopfsatzthemas für Mozarts Sinfonie g-Moll KV 183 kündigt sich schon jener dringliche Tonfall an, den später Beethoven aufnehmen sollte und der ein Grundzug jener musikalischen Epoche wurde, die Strawinsky so verabscheute: Jenseits aller Konventionen meldet sich hier das Subjekt mit Nachdruck zu Wort. Ilan Volkov nun übertrieb es im Kopfsatz nicht mit dem geforderten Brio, sondern legte – wie im gesamten Werk – den Wert eher auf rhythmische und artikulatorische Prägnanz. Dem Stück bekam das gut.
In Carl Philipp Emanuel Bachs Flötenkonzert schließlich durfte der Soloflötist des Staatsorchesters, Nathanael (2 Punkte auf dem e!!) Carré, nach Herzenslust sein virtuoses Potential demonstrieren. Vor allem im dritten Satz legte der junge Schlaks nach Kräften los und zeigte auch bei den heikelsten Figurationen – im Gegensatz zu den etwas gestressten Streichern – keine Schwächen.
Und selbst wenn eine moderne Querflöte für spätbarocke Musik wie diese nicht ideal scheint – Carré machte mit seinem eher herben, kühlen Ton das Beste daraus, die Streicher unterstützten ihn im Stil eines Originalklangensembles: Senza vibrato. Ma con espressione. (StZ)

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