Piotr Anderszewski in Stuttgart

18.
Dez.
2014

Ein Kompromissloser

Anderszewski_ap1Gute Konzerte kann man oft hören. Das Gefühl aber, dabei beglückt, ja – beschenkt worden zu sein, stellt sich dennoch selten ein – nun geschehen beim Klavierabend von Piotr Anderszewski in der Meisterpianistenreihe im Beethovensaal. Der 45-jährige zählt eher zu den stillen und nachdenklichen unter den Pianisten. Der Tourneestress in den letzten Jahren hatte ihm gar derart zugesetzt, dass er 2012 eine 14-monatige Auszeit genommen hat: kein Klavier, keine Konzerte. Nun ist er wieder auf die Konzertbühnen zurückgekehrt – zum Glück.
Wenn Anderszewski die ersten Töne spielt, nimmt er das Publikum augenblicklich gefangen. Während sich bei manchen seiner Kollegen der Eindruck aufdrängt, sie spulten in ihren Konzerten tausendfach Geübtes einfach ab, scheint er die Musik beim Spielen innerlich nachzuvollziehen, sie in der Konzertsituation zu erschaffen. Ist das Publikum ausreichend sensibel, kann es durchaus spüren, dass es ein Teil dieses Prozesses ist: unsichtbar ist da ein Band gespannt zwischen Solist und Auditorium. Jedenfalls war während des ganzen Abends im Saal kaum ein Huster zu vernehmen.
Pianistisch ist Anderszewski ein Phänomen. Der Nuancenreichtum seines Anschlags lässt an Grigory Sokolov denken, einen anderen Kompromisslosen, mit dem er auch die Neigung zu ausgeprägter Subjektivität zu teilt. So reizt Anderszewski das Ausdrucksspektrum in Beethovens „Sechs Bagatellen“ op. 126 bis in die Extreme aus: manche der Stücke klingen wie ein Konzentrat aus Beethovens Sonatenschaffen, hoch verdichtet. An die Trillerflächen aus Beethovens Spätwerk erinnern auch manche Stellen aus Karol Szymanowskis „Metopen“ op. 29, die Anderszewski mit ungeheurer Klangfantasie und einem Gespür für Dramaturgie spielt, das einen Bogen spannt vom ersten bis zum letzten Ton.
Die Begründung für den Hinweis im Programmheft, zwischen Schumanns „Geistervariationen“ und Bachs Englischer Suite Nr. 6 d-Moll nicht zu applaudieren, liefert Anderszewski künstlerisch. Schumanns „Variationen über ein eigenes Thema Es-Dur“, seine letzte notierte Komposition, umweht die Aura des Mysteriösen – Musik nicht mehr ganz von dieser Welt, deren Auflösungstendenzen Anderszewski mit größter Einfühlungskraft offenlegt. Und während der Eindruck nach der letzten Variation noch nachklingt, dass hier ein Komponist den Bereich des Fasslichen zu verlassen im Begriff war, beginnt Anderszewski das Prélude aus der Englischen Suite: einen ausgedehnten, höchst komplexen Konzertsatz, mit dem Bach gleichfalls Grenzen sprengt. Vieles könnte man berichten über die Wunder dieser Bach-Suite – die zauberische Sarabande, die spieldosenleichte Gavotte, die energetische Gigue – wer´s gehört hat, weiß Bescheid. Den andern bleibt immer noch die CD. (StZ)

2 Kommentare vorhanden

  • Dipl.-Ing. Gerhard HEINRICH
    19. Dezember 2014 20:40

    Guten Abend,
    mich würde interessieren, von welcher CD Sie sprechen und ob man die auch im Handel erwerben kann?
    Danke

  • Frank Armbruster
    21. Dezember 2014 09:20

    Die Englischen Suiten gibt es auf CD im Handel (Einklang hat sie vorrätig).

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