Jonas Kaufmann im Stuttgarter Beethovensaal

20.
Apr.
2015

Freunde, die Stimme ist hörenwert

Irgendwie kommt einem das spanisch vor. Dass in Emmerich Kálmáns Ouvertüre zur Operette „Gräfin Mariza“, die in Ungarn spielt, Kastagnetten knacken – na, das kann ja wohl kaum sein. Als dann aber die ersten Takte der Melodie von „Meine Lippen, die küssen so heiß“ erklingen – eine der Lieblingszugaben von Anna Netrebko übrigens – wird klar, dass das Programm beim Auftritt von Jonas Kaufmann im Beethovensaal der Liederhalle umgestellt wurde: das Münchener Rundfunkorchester begann nicht mir Kálmán, sondern mit dem Walzer aus Franz Lehárs Operette „Giuditta“. Und die spielt in Spanien. Aber man kennt halt aus Operetten meist nur wenige bekannte Nummern, was daran liegt, dass sie im Ganzen kaum mehr aufgeführt werden, gibt ihre Handlung in der Regel wenig her fürs Regietheater. So hat sich auch Jonas Kaufmann für sein Programm „Du bist die Welt für mich“ an die üblichen Operettenpreziosen gehalten, diese aber mit Liedern aus frühen Tonfilmen wie „Liebeskommando“ oder „Ein Lied geht um die Welt“ ergänzt. Und weil letztere eben nicht mit saalfüllender Tenorkraft, sondern leicht gesungen werden sollen, hat er auch eine dezente Verstärkung installieren lassen – nicht ohne das Publikum gleich zu Beginn darauf hinzuweisen, dass er den Saal auch ohne Mikrofon füllen könne, was er mit „Freunde, das Leben ist lebenswert“ aus „Giuditta“ auch sogleich nachdrucksvoll belegt: Freunde, die Stimme ist hörenswert. Was für ein betörendes Timbre, welche Strahlkraft und Projektion! Metall und Schmelz sind hier in perfekter Balance vereint, auch Kaufmanns Diktion ist lupenrein. Doch das Erstaunlichste ist seine klangliche Kontrolle über das gesamte dynamische Spektrum, was ihn wohl zum derzeit vielseitigsten unter den großen Tenören macht – egal ob als Heldentenor, als Liedinterpret oder im Belcantofach, es scheint kaum etwas zu geben, was er nicht kann.
Durchaus folgerichtig also, dass sich Kaufmann (wohl nicht zuletzt auch aus aus Marketinggründen, die CD ist ein Verkaufsrenner) auch an die Operette gewagt hat – was freilich nicht ganz gefahrlos ist, denn der Grat zwischen Nonchalance und Schmalzbackenkitsch ist schmal: Ein Hauch zuviel Sentiment, und schon tappt man im Seichten. Dem großen Fritz Wunderlich gelang dieser Balanceakt einst formidabel, und auch Kaufmann bleibt insofern immer auf der sicheren Seite, als er weder stimmlich noch gestisch jemals über die Stränge schlägt. Auch wenn der Text ins Kitschige driftet, bleibt sein Singen nobel, und wenn er bei „Gern hab ich die Fraun geküsst“ eine Hand locker in die Hosentasche steckt, ist das schon fast der Gipfel an darstellerischer Verausgabung. Erst nach der Pause, bei Robert Stolz´“Im Traum hast Du mir alles erlaubt“ geht er etwas aus sich heraus, wippt sogar dezent mit dem Orchester mit. Eine gewisse Distanz zum Operettensujet bleibt gleichwohl spürbar. Doch dafür entzückt er mit allerlei vokalen Kunstfertigkeiten wie Verzierungsschluchzern auf der letzten Silbe oder irisierende Spitzentöne, dazu immer wieder die „messa di voce“, das An- und Abschwellenlassen der Töne, das kaum einem derart locker gelingt.
Es ist ein hochklassiger Abend, an dem auch das Münchner Rundfunkorchester einen gewichtigen Anteil hat, das die Musik genauso ernst nimmt wie Kaufmann selbst. Walzer wie der aus Lehárs „Der Graf von Luxemburg“ spielt das von Jochen Rieder geleitete Orchester federleicht und mit rhythmischer Innenspannung, das zweite Viertel leicht vorgezogen – das machen auch die Kollegen aus Wien kaum besser. Glänzend auch die Bläsersolisten, mit deren Hilfe Rieder in Lehárs Ouverture zu „Das Land des Lächelns“ fast puccinihafte Klangmischungen freilegt.
Kein Wunder, das aas überproportional aus Frauen bestehende Publikum am Ende völlig enthusiasmiert war und den charmanten Sänger mit reichlich Blumen und Applaus bedachte. Drei Zugaben, darunter „Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück“. An diesem Abend war es im Beethovensaal zu finden.

(StZ)

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