Verdis Oper „Rigoletto“ an der Staatsoper Stuttgart

30.
Jun.
2015

Die Welt ist aus den Fugen

Da liegt seine Tochter Gilda im Sterben, doch was macht Papa Rigoletto? Anstatt sich, wie es im Libretto steht, „besinnungslos zu ihren Füßen niederzustürzen“, klettert er seelenruhig singend aufs Dach, und schließt, kaum hat Gilda ihren letzten Sopranseufzer getan, hinter sich die Tür.
Waren also seine Liebesschwüre, sein Gerede vom „einzig Glück“, das ihm seine Tochter sei, nur hohle Phrasen?
Es zählt zu den Stärken der Neuinszenierung von Verdis „Rigoletto“ an der Staatsoper Stuttgart durch das Regieduo Jossi Wieler/Sergio Morabito, hinter die überlieferten Rollenklischees dieser beliebten Oper zu blicken. So wird der bucklige Hofnarr Rigoletto weniger als Opfer einer tragischen Konstellation gezeigt, denn als Revoluzzer: den Auftrag zum Mord am Herzog von Mantua, der dann Gilda trifft, erteilt er nicht bloß aus Eifersucht – weil sich der Herzog an Gilda rangemacht hat – sondern auch aus eigenem Streben nach Herrschaft. Rigoletto will den Umsturz, weshalb er seine Tochter auch zu einer Revoluzzergöre erzogen hat: sie trägt Hosen und eine Proletarier-Schiebermütze und druckt in ihrer Freizeit Flugblätter mit dem Motto der französischen Revolution. Auf die Tür ihrer bescheidenen Behausung ist eine Zielscheibe gemalt. Darunter steht „ROI“- König.
Das mag sich vielleicht plakativ anhören, ist aber szenisch äußerst subtil und vielschichtig realisiert. Der Bühnenbildner Bert Neumann hat dazu ein Ambiente von raffinierter Perspektivik gebaut, das enge, verwinkelte Dorfgassen und den Ausblick auf ein wolkenumtostes Panorama im Hintergrund kongenial kulissenhaft verbindet. Wie einst Peter Konwitschny in seiner legendären Stuttgarter „Götterdämmerung“ setzt er dazu die Drehbühne bildmächtig ein, um zu zeigen: hier ist die Welt aus den Fugen geraten. Grandios die Gewitterszene im dritten Akt, wo sich die Wolken blutrot färben und Lichtblitze das Grollen aus dem Orchester begleiten – eindringlicher lässt sich das Unheil, das sich da zusammenbraut, nicht vermitteln. Solche Theatermittel sind zwar vergleichsweise konventionell. Doch Wieler/Morabito war offenbar nicht daran gelegen, den „Rigoletto“ auf Teufel komm raus zu aktualisieren oder in neue Zusammenhänge zu setzen. Die Qualität von Verdis Oper besteht ja darin, dass die Protagonisten hier keine Abziehbilder sind, sondern widersprüchliche, sich entwickelnde Charaktere. Dementsprechend wird die Geschichte in Stuttgart als psychologisierendes Drama erzählt, das den Motivationen der Protagonisten auf subtilste Weise nachspürt.
Ein Glück, dass man dabei auf Sänger bauen kann, die diesen Ansatz sowohl vokal als auch darstellerisch tragen. Im Zentrum steht dabei Markus Marquardt, der das Rollenporträt des Rigoletto mit ungemeiner körperlicher wie stimmlicher Präsenz und Vielschichtigkeit entwirft. Machtgelüste und Vatergefühle, Hybris und Depression – all dies schwingt mit in Marquardts Darstellung, sein wandlungsfähiger Bariton zeichnet diese Dimensionen in allen Facetten nach. Großartig auch Ana Durlovski. Die Entwicklung der Gilda vom hörigen Töchterlein zur selbstbewussten Frau beglaubigt sie mit einem Sopran, dessen Spektrum vom kleinmädchenhaften Gezwitscher bis zu glutvoller Kantabilität reicht. Ihre Koloratursicherheit bis in stratosphärische Höhen – etwa in der Kadenz von „Caro nome“ – ist dabei kaum mehr von dieser Welt.
Dazu sang Atalla Ayan einen mehr als respektablen Herzog, mit Schmelz, Kern und freier Höhe, nicht nur im Gassenhauer „La donna e mobile“. Da auch die Nebenrollen profund besetzt waren und Sylvain Cambreling das Staatsorchester – abgesehen von einigen ryhthmischen Unpässlichkeiten – gut im Griff hatte, kann man diesen „Rigoletto“ mit Fug und Recht als Markstein einer bislang nicht eben rühmlichen Verdi-Tradition in Stuttgart bezeichnen. (Südkurier)

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