Dan Ettinger dirigiert Carl Orffs Carmina Burana
Wenn sich das Glücksrad dreht
Was für ein Anfang! Erst ein Donnerschlag der Pauke, dann fällt der Chor fortissimo mit der Sekundreibung d-e in Sopranen und Tenören ein. Die aufsteigende kleine Sekunde und dann die fallende Terz leiten zu einem d-Moll-Akkord: O Fortuna! Das Schicksal pocht hier an mit Macht, das Rad der Glücksgöttin, es beginnt sich zu drehen. Der Beginn von Carl Orffs „Carmina Burana“ dürfte zu den berühmtesten wie zu den am meisten strapazierten Stücken der Musikgeschichte zählen. Der Boxer Henry Maske nutzte es zur Glorifizierung seiner Auftritte, die Firma Nestlé zur Schokoladenwerbung und in dem Film „Excalibur“ reiten zu den Tönen von „O Fortuna“ die Ritter durch den Forst. Kaum ein Werk, das von seiner Rezeptionsgeschichte derart überwuchert und entstellt wurde – außer vielleicht Richard Strauss´ „Also sprach Zarathustra“, mit dem es den Umstand teilt, dass die meisten wohl den Anfang, aber weitaus weniger das ganze Werk kennen.
So durfte man die Stuttgarter Philharmoniker schon mal vorab dafür loben, die Carmina Burana aufs Programm gesetzt zu haben, und tatsächlich war der Beethovensaal am Samstagabend ausverkauft, was ja auch nicht selbstverständlich ist. Neben dem Interesse am Werk dürfte das wohl auch an Dan Ettinger gelegen haben, der seinen zweiten Auftritt als Chefdirigent der Philharmoniker hatte: einen triumphalen, um es gleich zu sagen.
Bekanntlich war Carl Orff von der Bildhaftigkeit der mittelalterlichen Texte fasziniert, ihrer farbigen Schilderungen von Natur, Eros, Laster und Tod – immer wieder gab es auch Versuche, die Carmina als musikalisch-szenisches Gesamtkunstwerk aufzuführen. An diesem Abend war es freilich die Musik ganz allein, die im Kopf des Hörers Szenen entstehen ließ. Auf der Grundlage einer präzisen rhythmischen Strukturierung ließ Ettinger die theatralischen Elemente der Partitur Musik plastisch ausspielen: am drastischsten im „Olim lacus colueram“, wo sich der Fagottist mit dem Tenor Martin Nyvall die Klage des gebratenen Schwans teilten, aber auch in der folgenden Ode an das Besäufnis „In taberna quando sumus“, wo sich der Verbund aus dem Württembergischen Kammerchor und dem Tschechischen Philharmonischen Chor Brünn durch profunden Klang wie genaue Artikulation hervortat. Imponierend die von RSO-Kollegen verstärkte Perkussionstruppe, der die zahlreichen Tempiwechsel wie aus einem Guss gelangen, exzellent auch das Blech, wie überhaupt an diesem Abend praktisch keine Schwachstellen auszumachen waren. Der kernige Bariton Lars Moeller trug Ettingers Konzept ebenso wie die Sopranistin Estelle Kruger, die sich scheinbar mühelos in die Stratosphärenlagen von „Dulcissime“ emporschwang. Rückenschauerregend die „O Fortuna“-Reprise, die hier weit mehr als bloße Wiederholung war: das Rad hat sich gedreht, Himmel und Erde standen kopf. Nun geht es weiter, das Leben. (StZ)
3 Kommentare vorhanden
19. Oktober 2015 20:06
Eine beeindruckende Darbietung was Dan Ettinger mit den Stuttgarter Philharmoniker und den Chor gelungen ist . Frisch überwältigend Mitreisenden
22. Oktober 2015 17:28
„wie überhaupt an diesem Abend praktsich eine Schwachstellen auszumachen waren.“
wird bei euch keine Korrektur gelesen??
22. Oktober 2015 17:57
Sehr geehrter Herr Schwarz,
danke für den Hinweis, ich habe den Tippfehler korrigiert. Um Ihre Frage zu beantworten: nein, ich beschäftige kein Korrekturat. Es dürfte Ihnen nicht entgangen sein, dass dies eine private Website ist und nicht die der Stuttgarter Zeitung, die den Text selbstverständlich korrigiert hat.
Im Übrigen möchte ich darum bitten, auch bei Online-Kommentaren ein Mindestmaß an Höflichkeit im Umgang zu wahren. Dazu gehört für mich beispielsweise auch eine Anrede. Außerdem ist mir nicht bekannt, dass wir per Du wären.
Mit freundlichen Grüßen
Frank Armbruster
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