Wieler/Morabito inszenieren Beethovens Oper „Fidelio“ in Stuttgart
Lustig ist das Gefängnisleben
Es gibt zumindest einen berührenden Moment in der neuen Stuttgarter Fidelio-Inszenierung, als zu Beginn des 2. Aktes Florestan (Michael König) in „Ach Gott, welch Dunkel hier“ wie traumatisiert über die schwarz verhangene Bühne taumelt und mit versehrtem, eben nicht strahlendem, aber ungemein ausdrucksvollem Tenor sein Leid beklagt. Das trifft direkt ins Herz, ganz ohne Umwege über das Großhirn, das ansonsten in dieser Inszenierung des Regieduos Jossi Wieler und Sergio Morabito permanent mit Decodierungsaufgaben gefordert ist. Das Konzept entwickelten die Regisseure zusammen mit dem im Juli verstorbenen Bühnenbildner Bert Neumann, für den dieser Fidelio damit die letzte Opernarbeit war. Die Handlung spielt in einer Art totalitärem Überwachungsstaat: von der Decke der grell ausgeleuchteten weißen Bühne hängen Mikrofone, mit denen jedes Wort abgehört und umgehend auf eine Anzeigetafel protokolliert wird. In der Bühnenmitte steht ein bunkerartiger Kubus mit Sehschlitz, hinter dem sich die Abhörzentrale der Staatsmacht versteckt. Natürlich weckt das Stasi-Assoziationen – die aber auch gleich wieder ins Leere laufen, weil sich die Gefangenen wie das Gefängnispersonal offenbar ganz gut mit ihrer Situation arrangiert haben: der Kerkermeister Rocco (Roland Bracht) fläzt in der Hollywoodschaukel, während sein Gehilfe Jaquino (Daniel Kluge) die auf einem Laufband eintrudelnden Pakete sortiert (Gefängnispost?). Der Freigang der Inhaftierten wirkt wie Open-Air-Gymnastik, dazu tragen alle dieselben hippen Klamotten. Lustig ist das Gefängnisleben.
Schnell wird klar, dass hier die Überwachung des vernetzten Individuums via Facebook & Co. angeprangert werden soll – doch wenn diese selbst gewählt ist, fällt auch Beethovens Vision von Befreiung aus. Und was ist mit der Gattenliebe? „Meine Pflicht habe ich getan“ lautet Leonores (Rebecca von Lipinski) Credo auf dem Schlussbild, die ihren endlich befreiten Gatten weder herzt noch dabei sonst emotional besonders beteiligt scheint. So schleppt sich der Abend reichlich mau dahin. „O namenlose Freude“ bleibt Behauptung, und auch die Entscheidung der Regie, die gesprochenen – und literarisch fragwürdigen – Dialoge fast komplett aufsagen zu lassen, trägt nicht zur Spannungsförderung bei. Sängerisch bieten nur Michael König (Florestan), Michael Ebbecke (Pizzarro) und Josefin Weiler (Marzelline) Überdurchschnittliches. Sylvain Cambreling am Pult des Staatsorchesters bemüht sich um einen trockenen, straffen Klang, verliert aber in den großen Ensembleszenen immer wieder den Überblick über das Geschehen, sogar der ansonsten tadellose Chor gerät da ins Schwimmen. Für Stuttgarter Verhältnisse ein eher schwacher Premierenauftakt. (Mannheimer Morgen)
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