Die Göteborger Symphoniker unter Kent Nagano in Stuttgart

08.
Nov.
2015

Bloß sinfonische Routine

Über den Status des Wunderkinds ist Kit Armstrong mit 23 Jahren nun definitiv hinaus, selbst wenn er auf der Bühne in seinem artigen schwarzen Anzug immer noch ein wenig wirkt wie ein Konfirmand. Nun ist Armstrong bekanntermaßen ein sehr rational ausgerichteter Mensch, dessen Neigung neben der Musik vor allem der Mathematik gilt. Musik liest er ebenso gern als Partitur wie sie zu hören, Gefühle sieht er als Resultat struktureller Wahrnehmungprozesse. Gefühlsüberschwang ist also seine Sache nicht, was auch seinem Klavierspiel durchaus anzumerken ist. Klarheit und Struktur sind hier oberste Gebote, und das gilt auch für Beethovens drittes Klavierkonzert, das er nun zusammen mit den Göteborger Symphonikern beim Meisterkonzert im Beethovensaal gespielt hat. Armstrong besitzt einen leichten, präzisen, auch in sehr schnellen Läufen und Figurationen jederzeit kontrollierten Anschlag. Wo andere Pianisten mit dem Pedal kaschieren müssen, bleibt sein Spiel immer noch durchhörbar und artikuliert. Das schnurrt dann eloquent dahin, dass er aber auch differenzieren kann, zeigt sein beseelter Soloeinstieg im Largo – der freilich noch schöner gewesen wäre, hätte er dem Steinway etwas mehr an Klangfarben und Tiefe entlockt. Auch ein wirklich tragendes Legato steht ihm nicht zu Gebote, was wohl an seinem fragilen Körperbau und dem damit verbundenen Mangel an verfügbarem Armgewicht liegen dürfte. Dennoch: Armstrongs Sensibiltät und musikalische Intelligenz, gepaart mit profundem technischem Können wären für einen spannenden Beethoven allemal gut gewesen, hätte er einen adäquaten Partner auf Seiten des Orchesters gehabt. Doch so gelangweilt und pauschal, wie Kent Nagano am Pult der Göteborger Symphoniker Armstrongs Largo-Einstieg aufnahm, geriet fast das ganze Konzert. Das lag auch – aber nicht nur – an der übermächtigen Streicherbesetzung, die vor allem im Rondo viele der Dialoge zwischen Holzbläsern und Klavier in den Hintergrund drängte. Dazu kam eine wummernde, unpräzise Pauke und eine grundsätzliche klangliche Unschärfe der Streicher – die Entscheidung „Vibrato oder nicht?“ wurde offenbar dem Gutdünken jedes einzelnen überlassen. Die Folge war ein wattiger, aufgedunsener Streicherklang bar jeder Kontur. Orchesterkultur sieht anders aus.
Dabei hatte der Abend mit Sibelius Tondichtung „Finlandia“ noch ganz gut begonnen. Vor allem das Blech zeigte sich hier in guter Form, und der weiche Mischklang des Orchesters passte ganz gut zu der von patriotischem Gefühl getragenen Atmosphäre dieses populären Stücks. Als es dann aber nach der Pause in Brahms erster Sinfonie um die stringente Ausformung von motivisch-thematischen Entwicklungen und um klangliche Differenzierung ging, fand der schwache Beethoven-Eindruck seine traurige Fortsetzung.
Sehr statisch schon die Einleitung des Kopfsatzes, die bereits den thematischen Kern des Werks birgt. Anstatt diese schlüssig zu entfalten, folgten hier aber nur aneinandergereihte Phrasen bar jeder Innenspannung: ungeformte sinfonische Routine, an kaum einer Stelle bewusst gestaltet. Die Durchführung von lähmender Langeweile, mit einem Kent Nagano der nicht mehr tat, als das Ganze einigermaßen zusammenzuhalten. Da ist man in den Meisterkonzerten Besseres gewohnt.  (StZ)

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