Kirill Serebrennikov inszeniert Strauss´ Salome an der Staatsoper Stuttgart

23.
Nov.
2015

Die Angst vor dem Terror

Dem Opernbetrieb wird ja häufig vorgeworfen, keinen Bezug zur heutigen Lebensrealität zu haben, tatsächlich erschöpfen sich viele sogenannte Aktualisierungen im Dekor. Doch nun trifft der russische Regisseur Kirill Serebrennikov, nur eine Woche nach den Anschlägen von Paris, mit einer grandiosen Neuinszenierung von Richard Strauss´ Oper Salome ins Zentrum unserer aktuellen Befindlichkeit: Das Familiendrama um den Herrscher Herodes, seine Frau Herodias und deren Tochter Salome deutet Serebrennikov als Symbol für jene globale Krise, die seit einiger Zeit die Grundfesten unserer westlichen Gesellschaftsordnung erschüttert.
Das Stuttgarter Bühnenbild ist eine Mischung aus Loft und Vorstandsetage: es dominiert Stahlrohr und Glas, schwarz und weiß, alles ist sehr stylish und sehr kalt. Eine aseptische Wohlstandswelt, in der Herodes zum Festbankett lädt, livrierte Pagen kredenzen Wein, man lässt sich´s gut gehen. Doch diese Menschen haben Angst. In allen Räumen einschließlich der Tiefgarage haben sie Überwachungskameras installiert, die jede Bewegung aufzeichnen, Securityleute haben auf ihren Monitoren jederzeit alles im Blick. Doch die Angst lässt sie nicht los – denn es ist die Angst vor dem Terror des IS, dessen Gräueltaten auf einem großen Bildschirm in der Mitte der Bühne gezeigt werden. Es ist unsere Angst.
Und auch wenn die Menschen trotzdem noch feiern, so lauert dahinter schon das Grauen – angekündigt durch arabische Schriftzeichen, die auf die Körper der Gäste wie ein böses Omen projiziert werden und verkörpert durch den Gefangenen Jochanaan, der hier ein muslimischer Prophet ist. Die Regie hat ihn zweigeteilt: in eine finstere Stimme (sonor: Iain Peterson), die das kommende Unheil verkündet und in einen hübschen jungen Mann (Yasin El Harrouk), den Salome wohl vor allem deshalb attraktiv findet, weil er so ganz anders ist als ihre wohlstandsverwahrloste Familie. In der Figur der Salome ist wie in einem Brennglas das Dilemma des kapitalistisch-säkularen Westens fokussiert: sein Defizit an Sinn, das entsprechend anfällige Jugendliche in die Arme von sogenannten Gotteskriegern treiben kann. Salome ist eine Göre in schwarzen Leggins und Springerstiefeln, zutiefst angeödet von dem Fremdgehen ihrer Mutter und dem ganzen Lifestylegetue. Während ihre Eltern verzweifelt versuchen, die Fassade der Gutbürgerlichkeit aufrechtzuerhalten, spielt sie das neurotische enfant terrible. Gelangweilt blättert in den Hochglanzmagazinen, während ihr Herodes die teuersten Konsumgüter anbietet, doch sie fordert das einzige ein, was ihre Familie wirklích erschüttern kann: den Kopf des Jochanaan. Sie wird ihn bekommen.
Dramaturgisch ist das alles absolut bruchlos und bis in die kleinsten Gesten stimmig inszeniert und wird getragen von einer Sängerbesetzung, die sowohl darstellerisch als auch sängerisch höchsten Ansprüchen gerecht wird. Das gilt sowohl für Matthias Klink als Herodes wie Claudia Mahnke als Herodias, vor allem aber für Simone Schneider, die in der Rolle der Salome einen veritablen Triumph feiert: nicht nur ihre erschütternde Schlussszene mit dem abgeschlagenen Kopf des Jochanaan wird man so schnell nicht vergessen. Dazu bringt Roland Kluttig mit dem Staatsorchester Strauss das klangliche Spektrum der Partitur in allen Facetten zum Ausdruck, hält den polyfonen Satz beständig im Fluss und zeichnet dabei akribisch die tonmalerischen Details nach. Auch wenn man nicht weiß, was diese Opernsaison noch bringen wird: diese Stuttgarter Salome ist jetzt schon einer der Höhepunkte. (Südkurier)

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