Marc-André Hamelin spielte in Stuttgart

13.
Dez.
2015

Sind normale Hände

Wenn man die Hände von Marc-André Hamelin betrachtet, während er im Foyer der Liederhalle freundlich Autogramme schreibt, dann kommt einem das eben gehörte Konzert noch staunenswerter vor. Denn eigentlich sehen sie ganz normal aus, diese Hände. Sie sind weder besonders groß noch besonders langfingrig, mit eher weichen Konturen. Jedenfalls scheinen sie sich der Topografie der Klaviatur derart perfekt angepasst zu haben, dass es für den Franko-Kanadier keine merklichen manuellen Hindernisse mehr zu geben scheint – wo andere schon längst kapitulieren müssten, wirkt sein Spiel völlig frei und widerstandslos. Nur bei manchen Stellen in seinen eigenen Kompositionen – wenn sich etwa beide Hände in rasender Geschwindigkeit auseinander und an die Ränder der Tastatur bewegen – kann man ein leichtes Anspannen seiner Lippen beobachten. Da muss er sich zwar konzentrieren – Anzeichen einer Überforderung merkt man aber auch bei den pianistischen Hexereien seiner „Pavane variée“ oder den „Paganini-Variationen“ nicht. Freilich sind Hamelins Stücke nicht nur hyperschwer, sie sind auch blitzend geistreich. Ähnlich wie Bach in seinen Goldberg-Variationen dient Hamelin in der „Pavane variée“ ein schlichtes Thema als Ausgangspunkt zu aberwitzigsten Veränderungen, wobei es Hamelin Freude zu bereiten scheint, die Hörerwartungen beständig zu brechen. Eine Demonstration größter Klavierkunst, wie sie kurzweiliger nicht sein könnte – auch in den Paganini-Variationen, in denen Hamelin das berühmte Thema durch den Fleischwolf dreht und es noch mit Gassenhauer von Beethoven und Liszt würzt.
Hamelins Virtuosität freilich erschöpft sich nicht darin, superschnell zu spielen. Natürlich ist er fixer als die allermeisten, und wenn nötig kann er auch die große Pranke herausholen. Aber seine technische Überlegenheit zeigt sich vor allem in der klanglichen und dynamischen Durchgestaltung. Wann hat man die Klangschichten in Debussys „Images“ schon derart subtil und plastisch herausgearbeitet gehört wie hier? Im Glitzern der Lichtstrahlen in „Cloches à travers les feuilles“ oder dem Schillern der Goldfische in „Poissons d´or“ (der Fazioli-Flügel zeigt da sein ganzes Potential) stellt Hamelin seine Technik völlig in den Dienst der Imagination. Kunstwerke aus Klang, die man am liebsten festhalten möchte, auf ewig abspeichern im Tongedächtnis.
Allenfalls der große Arturo Benedetti Michelangeli hat das ähnlich auratisch gespielt, und auch mit seiner Interpretation der vier Impromptus D 935 von Franz Schubert, die er nach der Pause spielt, degradiert Hamelin selbst renommierte Kollegen zu Lehrbuben. Innerlich freier und gleichzeitig formal stimmiger, subtiler ausgehört und atmosphärisch erfühlt kann man das nicht spielen. Drei Zugaben (eine Gershwinadaption von Earl Wild, Skrjabins Etude op.2/1 und das Allegro molto aus Haydns Sonate Nr. 55) krönten diese Sternstunde. Merci Monsieur Hamelin! (StZ)

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