Das Abokonzert des RSO mit Roger Norrington

18.
Mrz.
2016

Steinway im Hammerklaviersound

Stuttgart Sound, vibratofreie Zone? War da mal was? Es ist schon merkwürdig: Obwohl Roger Norrington erst seit 2011 nicht mehr Chefdirigent des RSO ist, mutet einem diese Zeit im Rückblick schon fast historisch an. Dabei hat Norrington das Orchester, beileibe nicht nur durch den Verzicht auf Vibrato, wohl stärker geprägt als die meisten seiner Vorgänger. Legendär bleibt die Aufführung und CD-Einspielung aller neun Beethovensinfonien, und auch das internationale Renommee des RSO stieg unter Norringtons Ägide damals steil an – man denke nur an die Gastspiele bei den Londoner Proms. Ohnehin sollte man nicht vergessen, dass es Norrington war, der sich Anfang der 70er Jahre mit den London Classical Players daran machte, die von Pionieren wie Nikolas Harnoncourt erarbeiteten Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis auch auf die Musik aus Klassik und Romantik zu übertragen.
Nun ist Harnoncourt kürzlich verstorben. Norrington aber, der am Mittwoch seinen 82. Geburtstag feierte, ist nach wie vor fit – und so freute man sich, dass er beim siebten Abokonzert des RSO wieder einmal am Pult stand. Und es waren nicht nur Norringtons kleine Scherze wie das Animieren des Publikums, auch zwischen den Sätzen zu klatschen, die einen in diesem Konzert mit einer gewissen Sehnsucht an vergangene Zeiten denken ließ.
Mit dem ersten Einsatz in Berlioz´ Ouvertüre zu „Benvenuto Cellini“ wurde man gleichsam aufgerüttelt mittels des dringlichen Tonfalls, der hier angestimmt wurde, hineingezogen in die (Seelen-)welt des Renaissancekünstlers Cellini, die Berlioz als ein dramatisches Tongemälde aus schillernden Farben und wechselnden Stimmungen entwirft. Dominiert wurde der ungemein griffige Klang durch die Bläser, die am Bühnenhintergrund erhöht platzierten Kontrabässe sorgten für die dunkle Grundierung. Die hohen Streicher, selbstverständlich vibratofrei, setzten präzise Linien, und der Oboist blies ein Solo von fast bekenntnishafter Eindringlichkeit. Insgesamt hat man das RSO lange nicht mehr derart engagiert erlebt, und bei Beethovens zweitem Klavierkonzert wurde es gar noch besser. Als Solisten hatte man den amerikanischen Pianisten Robert Levin eingeladen. Der hat nicht bloß schon alle Beethovenkonzerte (mit John Eliot Gardiner) eingespielt, sondern ist auch ein ausgewiesener Hammerklavierspieler und war an diesem Abend sogar in der Lage, den Steinway fast wie einen Hammerflügel klingen zu lassen. Das weit ins Orchester gerückte, deckellose Instrument hat man jedenfalls noch kaum einmal derart leicht und perkussiv gehört, im Verbund mit dem klein besetzen Orchester war es eine Beethoveninterpretation, die in ihrer gestischen Prägnanz und sprechenden Durchgeformtheit als beispielhaft gelten kann. Ähnlich funkensprühend hat man ein Beethovenkonzert vor einigen Jahren mit dem RSO und Christian Zacharias im Ohr, am Pult stand damals mit Thomas Hengelbrock auch ein berufener Anwalt historischer Aufführungspraxis.
Nach der Pause dann Schuberts C-Dur Sinfonie, „Die Große“ – ein Titel, der angesichts ihrer Dimensionen keine bloße Ankündigung ist. Auch ihr nähert sich Norrington aus der Perspektive der Klassik, verbindet kammermusikalische Feinarbeit mit rhythmischer Flexibilität auf der Basis einer insgesamt eher auf Lebenszugewandtheit denn morbides Pathos angelegten Interpretation. Norrington gelingt dabei das Kunststück, die unzähligen motivischen Abwandlungen und harmonischen Seitenwege als Teile einer übergeordeten Dramaturgie verständlich werden zu lassen, kulminierend im vierten Satz, in dem eine fast beethovensche Euphorie zu spüren ist. Ein Abokonzert der besonderen Art. (StZ)

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