Der Klavierabend von Ingolf Wunder

16.
Nov.
2016

Eitel

Wir Dauerbeschallten können es uns nur schwer vorstellen, doch es ist noch gar nicht so lange her, dass Musik hören zu können purer Luxus war. Vor der Erfindung der Tonaufzeichnung musste man – sofern man sie nicht selber machte – ins Konzert gehen, um Musik zu hören, was lange einer privilegierten Schicht vorbehalten blieb. Im 19. Jahrhundert schmückten sich adelige Kreise gerne damit, Virtuosen in ihre Salons einzuladen um ihre vortrefflichen Fertigkeiten zu präsentieren – siehe die zahlreichen Widmungen an Comtessen und Baronessen nicht nur in Werken Chopins. Die in Paris lebende, kunstsinnige Fürstin Cristina Belgiojoso, die auch mit Balzac und Victor Hugo bekannt war, ging sogar soweit, die berühmtesten Pianisten ihrer Zeit mit einer Gemeinschaftskomposition zu beauftragen, bei der neben Franz Liszt als „offiziellem“ Autor unter anderem Chopin, Sigismund Thalberg und Carl Czerny Variationen über einen Marsch aus Bellinis Oper „I Puritani“ beisteuern sollten. Musikalisch von zweifelhaftem Rang, ist „Hexaméron“ ein Bravourstück par excellence, an das sich vorwiegend Supervirtuosen vom Schlage eines Horowitz oder Hamelin gewagt haben.
In deren Liga scheint sich auch Ingolf Wunder einzuordnen. Der Österreicher hat das Stück nun zum Abschluss seines Klavierabends im Beethovensaal gespielt, konnte dabei aber nicht verbergen, dass er zwar über schnelle Finger, aber mitnichten über die Anschlagskontrolle verfügt, die es ihm erlauben würde, in dem ganzen Gedonner und Skalenrasen noch so etwas wie klangliche Gestaltung walten zu lassen. Unter Wunders Händen war es ein Kampf, bei dem vor allem deutlich wurde wie laut ein Steinway klingen kann, wenn man ihn entsprechend traktiert.
Wunder drückt auf die Tube, wo es geht – und auch da, wo es nicht passt. Anstatt die Dramaturgie der Form darzustellen, erscheint in Beethovens Eroica-Variationen jeder Takt auf Effekt gespielt. In der Fuge bleibt es Wunder schuldig, die Stimmverläufe plastisch werden zu lassen, stattdessen lässt er die Oktaven in den tiefen Registern knallen – wie er überhaupt dynamische Extreme zu lieben scheint. Auch in Mozarts Sonate B-Dur KV 333 übertreibt er es mit den Akzentuierungen und verliert sich in Details – wird es mal virtuos, legt er Pedalnebel über die Skalen. Ein eitles, selbstverliebtes Klavierspiel, das weniger den Werken als dem Darstellungsbedürfnis des Solisten verpflichtet scheint – was schade ist, bedenkt man das außergewöhnliche Talent des 31-Jährigen, der noch vor wenigen Jahren so hoch gehandelt wurde. Drei Zugaben: Chopins Polonaise As-Dur op. 53, Mozarts Fantasie d-Moll KV 397 und der 3. Satz aus Beethovens Waldsteinsonate.

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