Die Verleihung der Hugo-Wolf-Medaille an das Liedduo Hampson/Rieger

01.
Okt.
2017

Seismograf der Seele

Es sei schade, meinten einige, dass Thomas Hampson nicht selber bei der Verleihung der Hugo-Wolf-Medaille singe. Aber man kann Hampson verstehen. Nicht nur gilt der Amerikaner als sensibel, ganz grundsätzlich erscheint die körperliche wie mentale Vorbereitung auf ein Liedkonzert schwer vereinbar mit dem Stress einer Preisverleihung und den damit verbundenen Pflichtübungen, sofern man den Liedgesang nicht bloß als Routineübung begreift. Und genau das widerspräche Hampsons Anliegen zutiefst, der sich seit den 80er Jahren neben seiner internationalen Karriere als Opernsänger intensiv dem Kunstlied widmet – wobei er von der landläufigen Trennung von Opern- und Liedsängern nicht viel hält. Schließlich, so sagte er in einem Interview, gehe es immer um Gesang: in der Oper sei er Teil einer großen Geschichte sei, beim Lied dafür Regisseur, Bühnenbildner und Sänger in einem. Hampson nimmt das Kunstlied ernst, und auch dafür wurde der 62-jährige Bariton nun ausgezeichnet, zusammen mit dem Pianisten Wolfram Rieger, der ihn seit 25 Jahren begleitet. Hansjörg Bäzner, der Vorstandsvorsitzende der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie, bezeichnete in seiner Rede beide als „außergewöhnliche Liedpartnerschaft“: zum ersten Mal in der Geschichte dieses zum siebten Mal verliehenen Preises habe man ein Liedduo ausgezeichnet.
Dass die althergebrachte Hierarchie zwischen Vokalsolisten und dienendem Begleiter überholt sei, betonte auch die Musikjournalistin Eleonore Büning in ihrer kurzweiligen Laudatio. Büning begann mit der so gewagten wie interessanten These, dass Musikpreise eigentlich immer zum falschen Zeitpunkt kämen. Vorschusslorbeeren für Kinder bedeuteten für diese eine schwere Hypothek, und Auszeichnungen für das Lebenswerk von Künstlern seien überflüssig, hätten die bis dahin den Hauptgewinn doch längst gezogen: das Publikum. Es folgten eine Würdigung der Verdienste beider Preisträger, und dann, ausgehend von Schumanns Diktum, Töne seinen „höhere Worte“, einige kluge Reflexionen über das Verhältnis von Sprache und Musik. Die mündeten in in das Bekenntnis, dass ein historisches Kunstwerk letztlich in einer fremden Sprache zu uns spräche, für die man Übersetzer brauche, womit Büning wieder beim Duo Hampson/Rieger war, für die der Preis genau zum richtigen Zeitpunkt käme – eine Vorlage, die Hampson launig aufnahm und seinen Kompagnon Rieger als „immer noch sehr vielversprechenden jungen Mann“ bezeichnete. Dazu betonte er die Verantwortung, die er als Mentor für junge Sänger habe, wobei er sich weniger um den künstlerischen Nachwuchs Sorgen mache als um Nachwuchs, was das Publikum anbetrifft.
In der Tat scheint es, dass das Interesse an der „fremden Sprache“ des deutschen Kunstlieds am Schwinden ist – doch was der Gesellschaft dabei verloren zu gehen droht, das zeigte die eben mit dem Titel „Sängerin des Jahres“ ausgezeichnete Anja Harteros zusammen mit Wolfram Rieger anhand einer Auswahl von Liedern Schuberts, Schumanns, Wolfs und Strauss´ auf eindringlichste Weise. Bei ihr kommt alles zusammen, was eine große Liedinterpretin auszeichnet. Scheinbar unerschöpflich in ihren vokalen Möglichkeiten, erscheint ihre Stimme wie ein Seismograf der Seele. Aus einem tiefen Verständnis heraus setzte Harteros, getragen von Riegers emphatischem Spiel, den poetischen Kern der Gedicht in Klang: berührend in Schuberts Ode „An die Laute“, mitreißend in Wolfs Vertonung von Mörikes „Er ist´s“ und nachhaltig erschütternd in Richard Strauss´ „Allerseelen“, einer Allegorie der Vergänglichkeit. Ovationen und zwei Zugaben: Richard Strauss „Zueignung“ und „Morgen!“.

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