Die Cappella Gabetta bei Faszination Klassik

12.
Dez.
2019

Tempo ist nicht alles

Musiker kennen das: Wenn man Stücke über eine längere Zeit spielt, sind sie irgendwann komplett im motorischen Gedächtnis abgespeichert. Die Finger finden ihren Weg dann quasi von allein, was einerseits erwünscht ist – da es den Kopf entlastet – andererseits aber auch Gefahren birgt: nimmt nämlich die Routine überhand, bleibt der emotionale Nachvollzug des Werkes leicht auf der Strecke. Übrig bleibt dann eine mehr oder weniger mechanische Ausführung ohne innere Beteiligung, und einen solchen Eindruck konnte man am Mittwochabend beim Konzert der Cappella Gabetta im Beethovensaal gewinnen. Das argentinische Ensemble spielte ein Programm mit Barockmusik, darunter den Dauerbrenner schlechthin, Antonio Vivaldis „Die vier Jahreszeiten“. Trotz der Vogelstimmen, die vor Beginn des „Frühlings“ im Saal eingespielt wurden, vermittelte sich aber wenig von der Atmosphäre dieser Musik. Statt kammermusikalisch zu kommunizieren schien jeder Musiker an seinen Noten zu haften, an Stelle organischer Phrasierung ratterte der musikalische Puls mehr oder weniger mechanisch durch. Im „Winter“ schien der Konzertmeister und fingerflinke Solist Andrés Gabetta gar einen Geschwindigkeitsrekord aufstellen zu wollen: Rasche Tempi aber – auch das ist bekannt – garantieren noch keinen musikalischen Ausdruck.
Nun war das Ensemble bereits 2011, ein Jahr nach seiner Gründung, ebenfalls in der Vorweihnachtszeit mit diesem Stück im Beethovensaal zu Gast. Allerdings war damals noch Sol Gabetta mit von der Partie. Mit der attraktiven Weltklassecellistin öffneten sich für das klein besetzte Barockorchester und dessen Konzertmeister Andrés Gabetta, dem Bruder der Cellistin, die Tore zu den großen Konzertsälen der Welt, einige der CD-Einspielungen erreichten die Spitze der Klassikcharts. Mittlerweile spielt das Orchester auch mit anderen Solisten, an diesem Abend war das Sergei Nakariakov. Der 42-jährige Russe ist einer der wenigen Trompeter, denen eine internationale Solokarriere gelungen ist – warum, das wurde gleich in der ersten Konzerthälfte, bei Johann Baptist Georg Nerudas Konzert für Streicher und Trompete, klar. Nakariakov adelte das schlichte Werk mit seinem klangschönen, in jeder Lage ausgewogenen Spiel, nutzte die Kadenzen zu einigen brillanten Figurationen und nahm bereits viel Applaus mit in die Pause.
Der steigerte sich, als Nakariakov in Bachs berühmter „Air“ aus der 3. Orchestersuite wieder solistisch in Erscheinung trat und nahm Ovationsstärke an, als er in einer Bearbeitung eines Vivaldischen Cellokonzerts für Flügelhorn (!) abermals mit seiner stupenden Spieltechnik verblüffte. Die Cappella Gabetta aber blieb auch dabei vergleichsweise blass. Ob sie auch ohne die berühmte Sol in die Liga gehört, in der sie gehandelt wird?

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