Yuval Weinberg ist der neue Chefdirigent des SWR Vokalensembles

26.
Okt.
2020

Keine Rollen spielen

Käsekuchen. Den, so verriet mir Cornelia Bend, die Managerin des SWR Vokalensembles, würde Yuval Weinberg schätzen, und so treffe ich mich mit dessen neuen Chefdirigenten in einem Stuttgarter Café. Seit vier Wochen ist Weinberg nun offiziell im Amt, gerade kommt er von einer Probe für sein am 20. November geplantes Antrittskonzert. Das SWR Vokalensemble, einer der weltweit besten Profichöre, hatte sich nach nur einer Probe für den 29-Jährigen als neuen Leiter ausgesprochen – auch er selbst, so erzählt Weinberg, dessen Käsekuchen gerade serviert wird, sei davon sehr überrascht gewesen. Er war damals nur für ein Probendirigat verpflichtet worden, ein vierstimmiges Stück von Heinz Holliger sollte er einstudieren. Zwar habe er sich darauf sehr gut vorbereitet, doch in der Probe selbst sei er in Gedanken vor allem bei seiner in München weilenden Freundin gewesen: die war nämlich schwanger, der Geburtstermin stand kurz bevor. „Ich hatte schon verschiedene Szenarien im Kopf was ich machen würde, wenn sie anruft“, sagt Weinberg. „Ich hatte sogar mein Handy bei der Probe angelassen, was ich sonst noch nie mache. Aber dadurch war ich auch sehr entspannt, denn ich dachte: das Wichtigste passiert ja woanders.“ Der Eindruck, den er auf die 33 Sänger des Vokalensembles gemacht hat, muss jedenfalls nachhaltig gewesen sein. Von „schockverliebt“ war gar die Rede, alle waren voll des Lobes für Weinbergs gleichzeitig zielgerichtete und freundlich-entspannte Art des Umgangs, sodass sich der Chor kollektiv für ihn als Nachfolger des nach 18 Jahren abtretenden Chefdirigenten Marcus Creed aussprach. Zwar habe er zu der Zeit auch andere Optionen gehabt. „Aber als das Angebot aus Stuttgart kam, war mir klar: das ist genau das, was ich machen möchte“.
Sein musikalischer Werdegang begann in einem Kinderchor seiner Heimatstadt Tel Aviv. Die Chorleiterin sei damals in alle Klassen gekommen und hätte gefragt, wer zum Vorsingen antreten wolle. Und da man für diese Zeit vom Unterricht befreit wurde, meldete sich der achtjährige Yuval. Der hatte bis dahin zwar schon allerlei ausprobiert – Cello, Basketball, Tischtennis, Tennis – aber nach kurzer Zeit auch wieder aufgegeben. Singen aber, das merkte er rasch, war sein Ding, und das, obwohl er ziemlich darunter litt, der einzige Junge im Kinderchor zu sein. So studierte er nach dem Abitur in Tel Aviv Gesang und Orchesterdirigieren und wechselte danach an die Musikhochschule in Berlin, um mit Jörg-Peter Weigle zu arbeiten.
Zuvor, so erzählt Weinberg, während er seinen Kräutertee probiert, habe er sich viele Hochschulen angesehen. Doch bei Weigle habe er das Gefühl gehabt: „Das ist genau das, was ich jetzt brauche. Er hat eine klare Struktur und ist sehr genau, lässt einem aber trotzdem Freiheiten.“ Allerdings war der Unterricht in Berlin wenig praxisorientiert. Nur selten hatte er die Gelegenheit, selbst einen Chor zu dirigieren, weshalb es Weinberg nach den zweieinhalb Jahren in Berlin dorthin zog, wo die Chortradition schon immer groß geschrieben wird: nach Skandinavien, genauer an die Musikakademie in Oslo, wo die bekannte Chorleiterin Grete Pedersen eine Professur hat. Und was ihm dabei, neben dem Umstand, selber mit hervorragenden Chören arbeiten zu können, vor allem gefiel, war der entspannte, lockere Umgangston. Alle, so begeistert sich Weinberg, befänden sich dort auf einer Ebene, egal ob man Professor sei oder Student, Sänger oder Dirigent. „Und das will ich eigentlich auch so. Ich möchte keine Rollen spielen, egal ob als Mensch oder Dirigent. Das hat mir die Zeit in Oslo gezeigt.“ Authentisch sein – eine Qualität, die er auch in seine Arbeit mit dem SWR Vokalensemble einbringen wird, das, wie viele Ensembles, sehr unter den aktuellen Coronabedingungen leidet. Gleichwohl kann Weinberg den Abstandsregeln zumindest ein bisschen etwas Gutes abgewinnen. Die Chormitglieder, erläutert er, hätten auf diese Weise gelernt, quasi solistisch zu singen. „Aber eben so, dass es am Ende doch zusammen klingt.“ Man muss eben positiv denken.

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