Eckensee in the Dark

18.
Jul.
2021

Schorsch Kamerun gestaltet an der Staatsoper einen Crossover-Konzertabend.

Bevor sich die Saaltüren um 21 Uhr im Opernhaus schließen, hat „Nocturne“ schon längst begonnen. In Form einer Performance von Skatern nämlich, die in einer vor der Oper aufgebauten Halfpipe ihre Künste zeigen und damit ein vorwiegend sehr junges Publikum auf die Treppe vorm Opernportal locken, das sich dort mit wartenden Operngästen mischt. Schick gekleidete Paare mit Sektglas stehen so neben Jugendlichen, die ihre mitgebrachten Bier- und Colaflaschen kreisen lassen – ein ungewohntes Bild. Das freilich symbolhaft für diesen Abend steht.
Schon im Oktober letzten Jahres hatte der Ex-Punker, Sänger und Theaterregisseur Schorsch Kamerun mit „Denk ich an Deutschland in der Nacht“ Hoch- und Subkultur intelligent aufeinanderprallen lassen, und auch bei „Nocturne“ verfährt er nach einem ähnlichen Prinzip. Man bekommt allerlei aus Rap und Pop, Gedichtetem und Gereimtem zu hören, aber zunächst beginnt es ganz klassisch im Opernhaus. Nachdem Schorsch Kamerun, an einem Tischchen sitzend, als selbsternannter „Spielleiter“ die Stuttgarter-innen (mit Gendergap) begrüßt und versichert hat, es seien ausschließlich „Profis am Werk“, hebt Dennis Russell Davies den Taktstock zu Dvoráks „Notturno“ für Streichorchester op. 40.
Bekanntlich haben die Mysterien der Nacht romantische Komponisten besonders inspiriert. Aus der Fülle an Nachtstücken – allein Chopin komponierte 21 Nocturnes – ließen sich allein mehrere abendfüllende Programme gestalten, und so hört man im Verlauf des Programms Orchestermusik von Antonin Dvorák, Ottorino Respighi, Franz Schubert, Charles Ives und Lou Harrisson. Das mag konventionell klingen. Ist es aber nicht, denn der Blick auf das Orchester auf der Bühne ist gleichzeitig ein Blick auf den Platz vor der Oper! Schorsch Kamerun hat den Abend multimedial angelegt, indem er zwei weitere Bildebenen eingezogen hat. Neben einer stationären Projektion der Halfpipe mit den Skatern im Hintergrund ist am rechten oberen Bühnenrand eine Leinwand installiert, auf der man zunächst in ein Zimmer im Seitenflügel des Opernhauses blickt. Darin kleidet sich eine junge Frau an, die sich dann, von der Kamera begleitet, nach draußen begibt und durch den Schlossgarten wandelt. Außen- und Innenperspektive werden auf diese Weise verschränkt, man befindet sich gleichzeitig drinnen und draußen. Spaziert mit der Frau um den Eckensee herum, rüber zum Württembergischen Kunstverein, wo Frederike Wagner auf der Harfe ein chopinsches Nocturne spielt, und lauscht dann wieder auf der Bühne der Sopranistin Josefin Feiler und dem Bass Goran Juric, die Lieder von Richard Wagner, Richard Strauss und Franz Schubert singen.
Später treten dann der Rapper Maeckes und der Liedermacher Tristan Brusch auf, Schorsch Kamerun skandiert, liest und singt, teilweise vom Staatsorchester begleitet, Selbstverfasstes. Auf dem Bühnenbildschirm laufen Interviews mit Streetworkern und Jugendlichen, die ihre Sicht auf das Nachtleben in der City schildern.
Doch so unterhaltsam manches davon auch ist – im Gegensatz zu Kameruns erster Produktion im Oktober, bei der sich das Divergente zu einem Ganzen fügte, wirkt hier einiges improvisiert, nicht wirklich durchdacht. Das beginnt bei der Degradierung der Orchesterstücke zu Begleitmusik der Videos. In der Furcht, darauf etwas Wichtiges zu verpassen, zieht die Bildebene die Konzentration von der Musik ab – was insofern schade ist, als hier auf hohem Niveau musiziert wird: großartig vor allem Charles Ives selten aufgeführtes „Central Park in the Dark“, bei dem Russell Davies von der Co-Dirigent Sebastian Schwab unterstützt wurde. Bei den Kunstliedern verstand man, ebenso wie bei Maeckes Rap, die Texte häufig kaum. Übertitel gab es nicht, und Mitlesen im Programmheft war wegen der Dunkelheit im Saal ebenfalls nicht erfolgversprechend. Das war dann insofern schade, als es manche der Texte dann doch verdient gehabt hätten, verstanden zu werden.
Etwa in Schorsch Kameruns Gedicht „Auf dem Schlossplatz“, in dem es heißt: „Gebt den Menschen wieder mehr Zeit – Und schenkt Ihnen viel mehr Raum/Mein Leben ist Clique, nicht Vater – warum nicht auch vor dem Theater“. Das kann man durchaus als Anregung verstehen, den sogenannten öffentlichen Raum neu zu denken. Und vielleicht liegt, ungeachtet der ästhetischen Defizite des Abends, in dieser politischen Botschaft seine nachhaltig wirkende Bedeutung. Da könnte, nur zum Beispiel, eine Halfpipe vor der Oper schon einiges bewirken. Oder auch ein Klavier – wie etwa jenes, das auf der Parkseite des Württembergischen Kunstvereins aufgestellt wurde, wo sich, als Aus- und Nachklang des Abends, zu Liedern von Schubert und Strauss und Klaviermusik von Philip Glass dann Partyvolk und Operngänger erneut begegneten. Zumindest ein bisschen. (StZ)

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