Hifi und Wohnen

12.
Nov.
2021

In den 50er und 60er Jahren gehörte sie zu einer guten deutschen Wohnstube wie der Petticoat zur Damengarderobe: die Musiktruhe. Oft in dunkle Furniere gekleidet, trugen die Geräte klingende Namen wie Isabella, Sonata oder Symphonie, meist stammten sie von deutschen Traditionsfirmen wie Kuba, Graetz, Saba, Nordmende oder Grundig. Ausgestattet waren sie in der Regel mit einem Radioteil mit UKW, Lang-, Mittel- und Kurzwelle, manche hatten dazu noch einen Plattenspieler, einige sogar ein Tonbandgerät an Bord.
Verstecken ließen sich diese schrankartigen Truhen, auch Tonmöbel genannt, nicht. Allein die bis Anfang der 60er Jahre dominierende Röhrentechnik bedingte schon eine gewisse bauliche Dimension. Aber man wollte sie auch nicht verstecken, galten sie in der Wirtschaftswunderzeit doch ebenso als Symbol des gelungenen sozialen Aufstiegs wie der Opel Kapitän in der Garage. Und wie dieser waren sie teuer. Für die legendäre Musiktruhe „Königin von Saba“ der gleichnamigen Firma Saba aus Villingen im Schwarzwald etwa musste man im Jahr 1960 knapp 4.800 DM auf den Tisch legen. Zum Vergleich: ein VW Käfer kostete in der Grundausstattung 3.750.- DM. Dafür war das Monstrum, das optional sogar mit einem Fernsehgerät bestellt werden konnte, knapp zwei Meter breit und wog je nach Ausstattung bis zu 170 kg.

Heute ist eine ordentliche Musikanlage für vergleichsweise wenig Geld zu haben und lässt sich im Vergleich zu den Musiktruhen der Nachkriegszeit unauffällig in den Wohnraum integrieren. Für einen akzeptablen Klang reicht schon ein Smartphone oder Streamer, dazu kommen je nach Anzahl der zu beschallenden Räume Aktivlautsprecher, in denen schon die Elektronik einschließlich Verstärker verbaut sind. Mögen solch smarte Anlagen auch nicht als Statussymbol taugen, so vermitteln sie gleichwohl die Haltung ihrer Besitzer zu Technik und Ästhetik wie in früheren Zeiten.

Schneewittchensarg

Denn schon in den 50er Jahren gab es Zeitgenossen, die mit dem vorherrschenden, überladenen Schrankwanddesign nicht viel anfangen konnten. Für diese brachte die Firma Braun 1956 ein Gerät auf den Markt, das sich designmäßig extrem abhob von den massiven Klötzen der Konkurrenz: SK4 war die Modellbezeichnung der Radio-Plattenspieler-Kombination, die unter dem Namen „Schneewittchensarg“ Designgeschichte schrieb. Aus (hellem) Holz waren an ihm nur die seitlichen Zargen, ansonsten war das fast zierlich wirkende Gerät in dezentem Weiß gehalten. Der Clou war freilich die transparente Haube aus dem damals noch neuen Material Plexiglas, was die Assoziation an den gläsernen Sarg Schneewittchens aus dem Märchen der Brüder Grimm hervorrief. War diese Bezeichnung zunächst noch abfällig gemeint, so tat sie der Beliebtheit des Geräts keinen Abbruch. Im Gegenteil: bis zum Jahr 1968 wurde das von dem Professor an der Ulmer Hochschule für Gestaltung Hans Gugelot, dem legendären Braun-Designer Dieter Rams und dem Bauhausschüler Wilhelm Wagenfeld entworfene Gerät, das sich perfekt in den damals in stilbewussten Kreisen angesagten dänischen Möbelstil einfügte, in diversen Modifikationen produziert. Als Ikone des Industriedesigns steht der Schneewittchensarg heute auch im New Yorker Museum of Modern Art. Der Schriftsteller Günter Grass, so eine Anekdote, soll sich von seinem ersten Honorar des Bayerischen Rundfunks 1958 einen gekauft haben. In der letzten gebauten Version kostete ein Braun SK4 495.- DM, mittlerweile ist er ein begehrtes Sammlerobjekt: für ein funktionsfähiges, gut erhaltenes Exemplar werden heute 1.000 € und mehr bezahlt.

Anfang der 60er kam die stereophone Schallplatte auf den Markt, Mitte der 60er Jahre wurde dann die Hifi-Norm DIN 45 500 eingeführt, die bestimmte technische Mindeststandards für High Fidelity, also hohe Klangtreue, definierte. Stereo – das hieß nun freilich: man benötigte zwei Lautsprecher. Waren diese in Röhrenzeiten, um einen guten Wirkungsgrad zu erzielen, meist üppig dimensioniert, so ermöglichte die Entwicklung der Transistortechnik im Verstärkerbau auch den adäquaten Betrieb kleinerer, geschlossener Lautsprecher, die entsprechend ihrer Gehäuseform als „Boxen“ bezeichnet wurden und aufgrund ihrer Kompaktheit keine Grundfläche im Wohnzimmer mehr beanspruchten. Damit war der bis heute mehr oder weniger gültige Prototyp der Stereoanlage geboren: Plattenspieler, Verstärker oder Receiver, zwei Lautsprecherboxen.

Diese Konstellation stellte andere Anforderungen an die Integration in den Wohnraum. Statt einer solitären Truhe mussten nun mindestens vier Teile untergebracht werden. Definierte der Begriff „Regalbox“ auch gleich deren Aufstellungsort, so taten die bald immer häufiger angebotenen großen Standlautsprecher dagegen erst einmal genau das: herumstehen. Das heißt, man musste Plätze für sie finden, was in manchen Haushalten durchaus Konfliktpotential barg. Während etwa für den hifibegeisterten Mann die Lautsprecherkisten gar nicht groß genug sein konnten, sah manche Gattin die ästhetische Ausgewogenheit ihres Wohnzimmers in Gefahr. Ein Problem übrigens, das die Zeitläufte überdauert und sich als sogenannter WAF, „Woman Acceptance Factor“, ernsthaft als Kürzel zur Einordnung von Geräten in Hifi-Kreisen etabliert hat.

Wenn man in den 70er Jahren die Elektronik noch gerne auf Sideboards stellt oder sie im Schrank versteckte, so enwickelte sich in den 80ern ein neuer Trend: der Hifiturm. Yamaha, Marantz oder Technics waren einige der nun angesagten, häufig aus Japan kommenden Marken, die den durch wachsendes Angebot und sinkende Preise immer stärker in Fahrt kommenden Hifi-Boom befeuerten. Und was einst kompakt in einem Gehäuse war, wurde nun in verschiedene Geräte ausgelagert und gestapelt. Vorverstärker, Endstufe, Equalizer, Cassettenrecorder und obendrauf der Plattenspieler, alles in metallicbraun: so sah der Traum des Hifi-Fans in den 80ern aus.
Dieses Turmprinzip hatte lange Bestand. Meist waren die Türme hoch und breit, für jene, die es dezenter wollten, hatte der Handel auch Modelle im Bonsaiformat im Angebot, oft im Verbund mit ebenso kleinen Lautsprechern. In einigen Haushalten sind diese Relikte der Hifi-Historie bis heute in Betrieb. Warum auch nicht? Klanglich sind diese Geräte für die Bedürfnisse der meisten Hörer ausreichend, dazu hat man mit CD-Spieler und Radioteil Zugriff auf die meistgenutzen Quellen. Und an ihre Anwesenheit im Wohnzimmer hatte man sich im Lauf der Zeit gewöhnt.

Heute freilich besitzen viele, vor allem jüngere Menschen, gar keinen CD-Spieler mehr. Wozu auch? Durch die Angebote der Streamingportale und die Möglichkeit des Downloads von Musik auf Smartphone und digitale Speichermedien sind physische Tonträger für viele kein Thema mehr. Das gilt vor allem für die CD. Interessanterweise zieht aber der Verkauf von Plattenspielern und Vinylschallplatten seit einigen Jahren wieder deutlich an. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Zwar bilden nach wie vor jene Freaks einen beträchtlichen Teil der Vinylfans, die seit ihrer Jugend an der Nadel und ihrer Plattensammlung hängen und mit der digitalen Musikwiedergabe nie richtig warm geworden sind. Es gibt aber auch den Trend, dass sich digital sozialisierte Menschen, die Musik hauptsächlich als quasi materieloses Phänomen via Smartphone kennengelernt haben, für die Haptik und Aura der Schallplatte begeistern. Eine schwarze Plastikscheibe mit Rillen, in denen eine Nadel kreist und aus der Musik rauskommt: Was für eine schöne Sache! Und sogar im High End Bereich, wenn es um die Ausreizung der technischen Möglichkeiten von Musikwiedergabe geht, halten manche Liebhaber die Vinylschallplatte nach wie vor für das überlegene Medium.

So wird die aktuelle Situation auf dem Hifisektor heute von verschiedenen Tendenzen bestimmt. Der Mainstream ist auf Digitalisierung bei gleichzeitiger Reduzierung des Geräteparks ausgerichtet. Je weniger Geräte und Kabelgedöns, desto besser, am besten, die Musik wird irgendwann komplett ohne Hardware in alle Räume gestreamt. Auf der anderen Seite gibt es die traditionsbewussten Analogfans, die ihre Vinylscheiben mit speziellen Plattenwaschmaschinen reinigen und sich an den bunt beleuchteten Leistungsanzeigern ihrer schweren Verstärker ergötzen. Und dazwischen sind jene, die einfach nur Musik hören möchten und dafür nehmen, was vorhanden ist.

Werfen wir zu guter Letzt aber noch einen Blick in die merkwürdige Welt des High End-Audio. Dort, wo es darum geht, das letzte Quäntchen Klang herauszuholen, herrschen andere Gesetze.
Von der elektrischen Hausinstallation bis zur akustischen Optimierung des Hörraums kommt hier jedes Glied der Wiedergabekette auf den Prüfstand, werden mittels akribischer Hörtests immer neue Verbesserungspotentiale ausgelotet. Minimalismus hat hier keinen Platz, stattdessen wird größtmögliche Ausdifferenzierung betrieben. Je mehr Geräte, desto besser. Mit Vorverstärkern, Endstufen, Laufwerken, Digitalwandlern, Masterclocks, Stromaufbereitern und audiophilen Netzwerkswitches samt den zum Teil in separate Gehäuse ausgelagerten Netzteilen der Geräte kann eine solche High End-Installation schon mal an die zehn Komponenten und mehr umfassen. Dazu kommt dann eine ebenso hoch selektierte Verkabelung, ist doch der Einfluss von Verbindungs- und Netzkabeln auf die Klangqualität der Anlage beträchtlich. Preislich ist man dabei inflationsbereinigt locker wieder bei der „Königin von Saba“, manchmal auch weit darüber: ein entsprechend exklusives Netzkabel kann allein schon ein paar Tausend Euro kosten. Davon, wie deren Wohnzimmer dann aussieht, ganz zu schweigen. Viele dieser High Ender wurden, sofern es die Wohnverhältnisse zulassen, von ihren Ehefrauen deshalb – Stichwort WAF – in einen separaten Hörraum verbannt, wo sie ihre Neigung ausleben können.

Wem das alles zuviel ist: auch die gute alte Musiktruhe ist, in veränderter Form, wieder zu haben.
Etwa von der englischen Firma Ruark, die drei verschiedene Modelle baut, allesamt mit Radioteil, CD-Spieler und Streamingoption. Beim größten Modell sind sogar vier Standbeine im 60er-Jahre Retrostil dabei.

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