Wagners „Rheingold“ an der Staatsoper Stuttgart

24.
Nov.
2021

Nie war Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ so aktuell wie heute. Die Ursünde des Menschen in dem vierteiligen Bühnenfestspiel ist der Raub des Rheingolds durch Alberich, ein Vergehen an der Natur, das einen Kampf um Macht und Geld initiiert, dessen Ausgang bekannt ist: am Ende steht der Untergang der bestehenden Ordnung. Glaubt man Klimaforschern, so befinden wir uns heute ebenfalls in einer Art Götterdämmerung. Die der Erde entrissenen und in den Produktionskreislauf eingebrachten Wertstoffe haben zu einer Erhitzung des Planeten geführt, die, falls sie nicht gestoppt wird, das Ende der Zivilisation in einigen Teilen der Welt zumindest denkbar erscheinen lässt.
Auch in dem von Stephan Kimmig inszenierten „Rheingold“, dem ersten Teil einer Gesamtaufführung der Ring-Tetralogie an der Staatsoper Stuttgart, hat die herrschende Klasse sichtlich abgewirtschaftet. Kimmig verzichtet auf den ganzen germanischen Nibelungenkitsch und holt die Götter in die Niederungen der kapitalistischen Ausbeutungsgesellschaft herab. Das Bühnenbild zeigt ein heruntergekommenes Jahrmarktsambiente, Reste einer Manege, ausgestattet mit allerlei Versatzstücken der Zirkuswelt. Darin necken die drei Rheintöchter den Zwerg Alberich. Die drei in Schuluniformen gekleideten Gören, offenbar aus wohlhabenden Verhältnissen stammend, haben ihn wie ein wildes Tier angekettet und halten ihm die vermutlich aus Papas Safe stammenden Goldbarren vor die Nase.
Gott Wotan ist ein derangierter Zirkusdirektor im Paillettenfrack, der, wie seine netzbestrumpfte und dauerqualmende Frau Fricka, schon bessere Zeiten gesehen hat. Dass der Laden noch nicht ganz abgewirtschaftet ist, beweisen die Artistinnen, die an langen Tüchern in gefährlichen Höhen Kunststücke proben, während die Riesen Fasolt und Fafner in gelben Gabelstaplern hereinbrausen und von Wotan den Lohn für den Bau der Burg Walhall einfordern. Die Götter Donner und Froh, beide Angebertypen Marke „neureicher Blender“, flitzen derweil mit ihren Gocarts herum. Sie gehören offenbar zu den Gewinnern des Systems, genauso wie der durch die Macht des Ringes vor Selbstbewusstsein nur so strotzende Alberich, der in den Nibelheimer Produktionsanlagen seine Arbeiter drangsaliert: es sind Kinder, die, wie bei Smartphoneherstellern in Asien, in sterilen Ganzkörperanzügen Platinen löten.
Geld und Macht, das jedenfalls wird klar, sind für den allgemeinen Niedergang verantwortlich. Hoffnung gibt es allenfalls durch die Frauen, speziell den drei Rheintöchtern: die outen sich später als Ökoaktivistinnen und rufen mit einem Transparent, auf dem „Lasst alle Feigheit fahren“ steht, zur Aktivität auf. Unklar bleibt dagegen, warum sich alle am Ende gelbe Regenjacken überziehen? Wegen der Klimakatastrophe?
Es ist ein gänzlich unmythisches „Rheingold“, das da in Stuttgart zu sehen ist. Vieles in der Inszenierung wirkt reichlich plakativ, manches auch schlicht platt, daran ändert auch die im Hintergrund installierte Videowand nicht viel, auf der in einer Art surrealistischen Verfremdung mittels Traum- und Fantasiesequenzen unbewusste Anteile der Protagonisten beleuchtet werden sollen.
Ganz stark ist auf jeden Fall die Ensembleleistung. Nicht nur ist jede Figur prägnant charakterisiert, auch sängerisch gibt es keinerlei Schwachpunkte. Aus dem formidablen Ensemble ragt der ungemein präsente Alberich von Leigh Melrose heraus, der sogar auf einer drehenden Messerwurfscheibe nichts von an stimmlicher Kraft verliert. Großartig auch Matthias Klink als ränkeschmiedender, verschlagener Loge.
Das Grundproblem dieser Inszenierung freilich ist der Widerspruch zwischen Szene und Musik. Der Stuttgarter GMD Cornelius Meister nämlich liefert zwar am Pult des Staatsorchesters einen weiteren Beweis seiner Kompetenz als Wagnerdirigent, indem er einerseits die Partitur detailgenau ausleuchtet, andererseits die Dramatik Pathos der wagnerschen Musik mit geradezu überbordender Klangpracht zum Ausdruck bringt. Beginnend mit dem aus dunklem Urgrund hervorzüngelden Es-Dur-Beginn hält er so den Spannungsbogen bis zum blechgesättigten Ende. Sein emotional aufgeladenes Musizieren findet aber kaum Entsprechungen auf der Bühne, wo die Regie ja weitestgehend aufgeräumt hat mit all den großen Gefühlen, dem mythischen Pathos der Wagner-Tradition, was immer wieder zu merkwürdigen Divergenzen führt.
Auch das Publikum reagiert am Ende gespalten. Den Ovationen für Ensemble und Orchester folgt eine Buhorgie für die Regie, wie man sie in Stuttgart lange nicht erlebt hat.

Keine Kommentare vorhanden

Sagen Sie Ihre Meinung, schreiben Sie einen Kommentar!

Ich habe die Datenschutzerklärung zur Kenntnis genommen und bin damit einverstanden, dass die von mir angegebenen Daten, mit dem Absenden dieses Onlineformulars, zweckgebunden zum Kommentieren elektronisch erhoben und gespeichert werden.