Der Klavierabend von Seong-Jin Cho in Stuttgart

10.
Nov.
2022

Der Gewinn des Chopin-Wettbewerbs 2015 war der Durchbruch für Seong-Jin Cho. In Südkorea, wo klassische Musik boomt, gilt er längst als Superstar, gut gebucht könnte er sich auf die Reißer des Repertoires konzentrieren und damit die Konzerthallen füllen. Aber das will er nicht. Stattdessen, das hat sein Klavierrecital im Rahmen der Meisterpianistenreihe im Beethovensaal gezeigt, liegt ihm daran, seinen ästhetischen Horizont zu erweitern und ein großer Pianist zu werden. Dazu gehört auch die Kompetenz auch für weniger populäres Repertoire: etwa die Klaviersuiten von Händel, von denen er die dritte und fünfte ausgesucht hat. Luzide, fein gesponnene Musik, die Seong-Jin Cho ohne Pedal und mit großer Variabilität in der Ausgestaltung der Linienführung spielt, mit federleicht hingeworfenen Trillern und Verzierungen und vielfältigen dynamischen Abstufungen zwischen Pianissimo und Mezzoforte.
Dramaturgisch passend folgen danach die Variationen und Fuge über ein Thema von Händel op.24, ein kraftstrotzendes Werk des jungen Brahms, in dem sich Cho als Ausdrucksmusiker par excellence präsentiert: akribisch und mit enormer pianistischer Kompetenz zeichnet er die Fieberkurven dieses Werks nach und findet für jede motivische Verwandlung neue klangliche Facetten. Klavierspiel auf der sprichwörtlichen Stuhlkante, das sich auch nach der Pause in Schumanns späten Fantasiestücken op. 111 und vor allem in den Sinfonischen Etüden op.13 triumphal fortsetzt. Schumanns fantastische, zwischen poetischer Versenkung und leidenschaftlicher Extrovertiertheit irrlichternde Welt kommt Seong-Jin Cho offenbar entgegen, der sich bis zum Finale dann fast in einen Rausch spielt: Anlass für einige Zuhörer im leider nur schwach besetzten Beethovensaal, aufzuspringen und stehend zu applaudieren. Die erste Zugabe, die Bearbeitung eines händelschen Menuetts von Wilhelm Kempff, schließt wieder den Bogen zum Beginn des Konzerts, und mit Chopins Polonaise Nr. 6 As-Dur lässt Cho den Abend mit einem Feuerwerk enden.

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