Kunstvoll unperfekt

02.
Jan.
2023

Erika Stucky performte im Theaterhaus

Erika Stucky ist Kult. Zum zehnten Mal in Folge hat sie nun an Neujahr die Veranstaltungssaison im Stuttgarter Theaterhaus eröffnet – ob es im Publikum welche gibt, fragt sie zu Beginn ins voll besetzte T2, die jedes Jahr dabei waren? Einige melden sich. Fünf Mal? Vielstimmiges Johlen. Zum ersten Mal? Auch ein paar.
In der Regel wissen die Besucher also, was sie an einem Stucky-Abend erwartet. Und insofern dürfte sich auch kaum einer gewundert haben, dass sich zunächst der Schlagzeuger Nelson Schaer auf den Boden setzt und mit seinen Drumsticks ausführlich leere Farbeimer bearbeitet. Nach einer Weile gesellt sich der Multiinstrumentalist Terry Edwards dazu und repetiert stoisch ein Riff auf den tiefen Saiten seiner E-Gitarre, ehe Erika Stucky, dezent rustikal im grünen Wollkleid, den ersten Song intoniert: „Why don´t we do it in the road?“. Ein früher Titel der Beatles, der damit auch das Stichwort liefert für den „Stuckys Roadshow“ überschriebenen Abend, denn ja – on the road war und ist die 1962 als Kind Schweizer Hippies in San Francisco geborene und in den 70er Jahren wieder in die eidgenössische Heimat zurückgekehrte Stucky ja wirklich, und so ist auch dieser Abend ein ziemlich wilder, multimedialer Trip durch Epochen, Länder und Landschaften. Auf den Bühnenhintergrund projizierte, erlesen vergrisselte Videos und Fotos zeigen die Performerin dabei in diversen Settings: mal tanzend auf dem Markusplatz in Venedig, mal glitzerfolienschwenkend vor Bergkulissen, und auch die musikalische Ebene entspricht dieser Ästhetik des kunstvoll Unperfekten. Denn was sie auch singt, ob Stevie Wonders „Superstition“, „Black Betty“ von Ram Jam oder Selbstkomponiertes wie den Kakerlakensong „Roach Hotel“, eine Anspielung auf das legendäre Chelsea Hotel – alles ist getragen von jener dezent trashigen Aura, die – Tom Waits lässt grüßen – Dilettantismus als Ausdruck von Authentizität adelt. Ihr selbst reicht dazu ein kleines Akkordeon zur Begleitung, dazu hat sie Musiker wie Terry Edwards, der sich nicht zu schade ist, auf Minitrompete und Billigsaxofon minutenlang Belanglosigkeiten zu dudeln.
Am Ende, nach allerhand bizarren und lustigen Geschichten, Jodeln und schrägen Songs, wird es gar funeral. „He´s watching me“ singt Erika Stucky, während der Film zeigt, wie sie durch einen Friedhof geht und sich dort auf Gräber legt. Meint sie´s ernst? Oder ist das bloß wieder ironische Anverwandlung? Die Zugabe, der böse „Hundehassersong“, lässt Letzteres vermuten.

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