Der Hohepriester des Klaviers

08.
Mrz.
2023

Grigory Sokolovs Recital in der Meisterpianistenreihe

Grigory Sokolovs Vorliebe für barocke Klaviermusik ist bekannt – seit Jahren spielt er Werke von Komponisten wie Rameau oder Couperin, die andere Pianisten in der Regel links liegen lassen. Bei seinem Recital innerhalb der Meisterpianistenreihe im Beethovensaal nun waren es Stücke des englischen Barockmeisters Henry Purcell, denen die komplette erste Programmhälfte gewidmet war: eine ohne Unterbrechungen gespielte Abfolge von Einzelwerken und drei Suiten, die Sokolov in fast meditativem Duktus zelebrierte, erlesen durchtrillert als zeitenthobene Preziosen. Eine Art mentale Fastenkur – mit dem überraschenden Effekt, dass man Mozarts Sonate Nr. 13 B-Dur – ein Stück, das, wenn überhaupt, von Großpianisten allenfalls als Auftaktwerk programmiert würde – hernach als jenes Wunderwerk an Komplexität und Ausdrucksvielfalt erlebte, das es für Mozarts Zeitgenossen auch gewesen sein dürfte.
Hörerfahrungen dieser Art sind es, die Sokolovs Klavierabende, zusammen mit ihren pianistischen Qualitäten, zu singulären Ereignissen machen: hier geschieht, das spürt man, etwas Unwiederbringliches, kann man existenzielle Erfahrungen machen, die sich auch durch eine Konservierung auf Tonträgern nicht reproduzieren lassen, weshalb Sokolov auch nur selten Konzertmitschnitte freigibt.
Mit Mozarts todtraurigem Adagio h-Moll KV 540 endete dann der offizielle Teil des Programms, dem, das ist bekannt, in der Regel noch ein umfangreicher Zugabenteil folgt – so auch hier. Spielte sich der dynamische Bereich bis dahin praktisch ausschließlich, wenn auch in unfassbarer Differenzierung, im Bereich von dreifachem Piano bis Mezzoforte ab, so öffnete Sokolov mit den Zugaben – zunächst Brahms´ Intermezzo op. 117/2, dann eine chopinsche Mazurka und schließlich zwei Préludes von Rachmaninov – den Klang bis ins Orchestrale, um dann mit den Trillern in Chopins Mazurka op. post. 68/2 wieder an die Klangwelt von Purcell anzuschließen und den dramaturgischen Bogen zu runden. Das Publikum war im sehr gut gefüllten Saal bis dahin längst im Sokolovtaumel, dem Hohepriester des Klaviers seine Ovationen stehend entgegenbringend, und eigentlich hätte es mit dieser fünften Zugabe gut sein können. Dann aber geschah etwas Ungeheures. In Alexander Silotis Bearbeitung von Bachs Präludium BWV entfaltet sich eine Art Cantus firmus in langen Notenwerten über einer Sechzehntelbegleitung, und mit welch kontemplativer Kraft Sokolov nun diese Klangschichten auffächerte und in den Raum stellte, hatte etwas Magisches. Klavierspiel, nicht mehr ganz von dieser Welt.

Frank Armbruster

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