Die Staatsoper Stuttgart zeigt „Der Klang der Offenbarung des Göttlichen“

07.
Apr.
2023

Blitze zucken. Donner grollt. Meereswellen in Form aufgeworfener Stoffbahnen (Windmaschine!) türmen sich vor einer finster dräuenden Landschaft, dazu wiederholt das Orchester unermüdlich ein fünftöniges Motiv. Es ist der erste von vier Teilen des Stücks „Der Klang der Offenbarung des Göttlichen“, das die Stuttgarter Staatsoper nun als Übernahme einer Produktion der Berliner Volksbühne aus dem Jahr 2014 gezeigt hat.
In den drei folgenden Teilen tritt dann auch der Staatsopernchor dazu, der einige Texte aus dem Roman „Weltlicht“ des isländischen Literaturnobelpreisträgers Halldór Laxness singt. Akteure auf der Bühne gibt es keine – die Grundidee des gerade mal fünfzigminütigen Stücks besteht in der Reduktion auf Bühnenbild und Musik. Ausgedacht hat sich das Ganze das isländische Künstlerduo Ragnar Kjartansson und Kjartan Sveinsson. Kjartansson ist in Stuttgart bekannt durch seine sehr erfolgreiche Ausstellung „Scheize-Liebe-Sehnsucht“, die 2019 im Kunstmuseum gezeigt wurde, Sveinsson ist Gründungsmitglied der isländischen Postrock-Gruppe Sigur Rós. Das Konzept geht zurück auf den deutsch-britischen Maler und Theatermacher Hubert von Herkomer, der Ende des 19. Jahrhunderts mit „An Idyl“ die Idee des sogenannten „Pictorial Music Play“ entwickelte: Narration war obsolet, die Wirkung sollte in erster Linie auf Bild und Klang beruhen. Herkomer war im Übrigen ein Fan von Richard Wagners Idee des Gesamtkunstwerks – tatsächlich wirken auch die Bühnenbilder Kjartanssons so, als hätte man aus historischen Ring-Inszenierungen einfach die Götterwelt samt Nibelungen eliminiert. Der maritimen Eingangsszene folgt das Bild eines finsteren Walds, in dem Schneeflocken rieseln, danach sieht man eine brennende Hütte vor einer Felsenlandschaft. Zu guter Letzt schließlich blickt man aus einer Grotte hinaus auf einen Sonnenuntergang. Szenisch passiert an dem Abend, abgesehen von einem herunterfallenden brennenden Balken: nichts.
Ästhetisch folgt das Ganze einem Historismus, der so ungebrochen pathetisch daherkommt, dass man ihm vom ersten Moment an nicht recht trauen mag: wo fragt man sich, ist da der doppelte Boden? Zumal, wenn man sich in einem Opernhaus befindet, das spätestens seit der Intendanz von Klaus Zehelein – und auch danach – für das Konzept eines zeitgenössischem, intellektuell geschärften Musiktheaters steht, das auf Dekonstruktion statt auf Affirmation setzt.
Allein, man findet ihn nicht. Nicht auf der Bühne, wo im vierten Teil allerliebst Papierschnipsel als Blätter ins Bild geblasen werden. Und auch nicht in der Musik. Sveinsson mag kein klassisch geschulter Komponist sein, dafür ist er ein begabter Kompilator, dessen Musik zutiefst eklektisch ist. Geschickt bündelt sie Elemente aus Filmmusik, romantischer Chormusik und jener zeitgenössischen Strömung, die man vage als neoromantisch bezeichnet. Ihre bevorzugtes Mittel sind durch Crescendi und klangliche Verdichtung sogartig sich steigernde Wiederholungen, die den Eindruck von Pathos und Überzeitlichkeit erzeugen.
Insgesamt fühlt man sich an diesem Abend auf merkwürdige Weise ins 19. Jahrhundert zurückversetzt, in eine Zeit, in der Caspar David Friedrich seine allegorisch aufgeladenen Landschaftsbilder malte und die romantischen Künstler das Weltgeheimnis in den Naturphänomenen zu ergründen hofften. Ob die beiden Isländer wirklich glauben, dass eine solch rückwärtsgewandte Ästhetik heute noch funktioniert?
In einem Interview mit dem SWR ließ Kjartansson diese Frage offen. Man könne, bekannte er, das Ganze auch komplett lächerlich finden. Er wisse selber nicht, was er davon halten solle.
Das Publikum im Stuttgarter Opernhaus jedenfalls sparte am Ende nicht mit Applaus, was einen nachdenklich stimmen kann: Haben 25 Jahre aufklärerische Opernerziehungsarbeit nichts genützt, dass jetzt auf diese Weise kitschige Bühnenbildmotive und epigonale Musik bejubelt werden?
Vielleicht gehört die Senkung des Anspruchs aber auch ein wenig zum Kalkül des Operndirektors Viktor Schoner. In der Diskussion über die Sanierung der Staatstheater bläst ihm seit Corona Gegenwind von diversen Seiten entgegen, die sich kritisch gegenüber den immer weiter steigenden Kostenschätzungen äußern. Mit einer Milliarde wird man, wird die Sanierung so gemacht wie gewünscht, wohl kaum auskommen. Der Ruf eines elitären, auf die Bedürfnisse weniger Opernliebhaber ausgerichteten Hauses passt dazu nicht. „Klänge der Offenbarung“ schon eher.

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