Geigenwunder

26.
Apr.
2023

Hilary Hahn und das Orchestre Philharmonique de Radio France

Es ist ziemlich genau 22 Jahre her, als die Einspielung des Brahms-Violinkonzerts mit der damals 21-jährigen Hilary Hahn als Solistin herauskam. Spätestens nach ihrer Einspielung der bachschen Partiten galt die Amerikanerin als Geigenwunder, und auch dieser Brahms verblüffte die Fachwelt: derart leicht und rein, auf betörende Weise unpathetisch hatte man dieses Konzert noch nicht gehört. Hahns Virtuosität erschien dabei weniger nach außen – auf die großen Gesten – sondern nach innen, auf die Verklanglichung reiner Poesie gerichtet.
Am Dienstag nun hatten Musikfreunde das Glück, Hilary Hahn beim Meisterkonzert im Beethovensaal mit dem Brahmskonzert erleben zu können. Begleitet wurde sie vom Orchestre Philharmonique de Radio France unter Leitung des Finnen Mikko Franck. Und der Hahn-Zauber, er war gleich mit den ersten Tönen wieder da. Selbstbewusst, aber nicht großspurig steckte die Solovioline das Terrain ab, mit jener messerscharfen geigerischen Präzision, mit der Hilary Hahn im Verlauf der Durchführung auch die heikelsten Passagen fast leicht erscheinen ließ. Dass sie nicht den ganz großen Ton besitzt, machte sie mit einer ungeheuren Differenziertheit im Pianissimobereich mehr als wett – die freilich erst dadurch ermöglicht wurde, dass Mikko Franck sein Orchester gleichermaßen dynamisch im Zaum hielt. Dass das Zarte, Leise, beredter sein kann als das (Vor-)Laute, war dann exemplarisch im Adagio zu erleben, das sie mit einer mitunter fast keusch wirkenden Sensibilität und Tönen wie aus flüssigem Gold spielte. Für die Ovationen des beglückten Publikums nach dem grandios gespielten Finale bedankte sich die merklich bewegte Hilary Hahn mit drei Zugaben: zwei Sätzen von Bach und dem ihr gewidmeten „Through my mother´s eyes“ von Steven Banks.
Dass es sich bei den Parisern um ein absolutes Spitzenorchester handelt, war bei Brahms schon deutlich geworden. Das ganze Potential dieses Klangkörpers entfaltete sich dann nach der Pause in einer überwältigenden Interpretation von Schostakowitschs fünfter Sinfonie. Das Doppelbödige dieser Sinfonie, mit der Schostakowitschs nach Stalins Kritik vordergründig einlenkte, die latente Tragik hinter dem behaupteten Pathos, machte Mikko Franck mit einer akribisch genauen, klanglich bis ins Letzte ausdifferenzierten Interpretation deutlich. Auch danach Ovationen und eine versöhnliche Zugabe: Ravels „Pavane pour une infante défunte“.

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