Grigory Sokolov spielte in Stuttgart

08.
Apr..
2025

Der englische Renaissancekomponist William Byrd wird als Virginalist bezeichnet – nach dem Tasteninstrument Virginal, einer Art Mini-Cembalo, das seinen Namen der länglich-kastenartigen Form verdankt („virga“ heißt „Stab“ auf lateinisch), möglicherweise aber auch dem Umstand, dass es häufig von Mädchen, lat. „virgo“, gespielt wurde. In seiner Kompaktheit definiert es eher die untere Grenze der Grenze, was Größe von Tasteninstrumenten anbelangt – während die obere, sieht man von der Orgel ab, von einem Steinway D Flügel markiert wird, wie ihn nun Grigory Sokolov bei seinem Recital im Stuttgarter Beethovensaal gespielt hat.
Sokolovs Liebe zu dieser Art von Musik ist bekannt. Werke von Rameau oder Couperin etwa setzt er regelmäßig auf seine Programme, und bekannt ist auch die ziemlich einzigartige Manier, mit der er diese fragilen Preziosen mit den Klangmöglichkeiten eines Steinways auslotet. Das ist auch bei den Werken Byrds so, mit denen er die komplette erste Hälfte seines Konzerts bestreitet. Man muss sich etwas einhören in diese fein gesponnene Musik, in der sich aus einem häufig schlichten Thema ein polyfones Liniengeflecht entwickelt, das Sokolov in fast transzendenter Ruhe und mit enormer gestischer Zartheit zelebriert. Dabei kommt der ornamentalen Rhetorik, speziell dem Triller, eine etwas andere Funktion zu als beim Virginal, wo angerissene Töne rasch verklingen. Weniger eine Tonverlängerung, ist der Triller bei Sokolov mehr ein bewusst eingesetzter klanglicher Reiz, der Sokolovs ohnehin reichen Tonpalette weitere Facetten zufügt.
Nach der Pause dann Brahms. Die vier Balladen op. 10 sind Werke des 21-Jährigen, die Sokolov in ihrer Mischung aus Erzählton und Drama kongenial ausspielt. Ein Mirakel, wie sich dabei jeder Ton, jeder Akkord mit unbedingter Zwangsläufigkeit aus dem Vorherigen entwickelt, eine Stringenz, die gleichermaßen eine der Struktur, aber vor allem eben auch eine des Herzens ist. Immer wieder berückend, wie Sokolov dabei Klänge aushorcht, wie er jedem Ton genau die Lautstärke und Färbung zuweist, die ihm im Gesamtgefüge zustehen. Seine pianistische Kontrolle ist total, und das galt auch für die beiden Rhapsodien op. 79, die Sokolov mit männlich zupackender Entschlossenheit spielt, freilich wiederum subtilst ausgeleuchtet und fern von barer Kraftmeierei.

Dem folgt, wie üblich ein ausgedehter Zugabenteil. Fünfmal Chopin – drei Mazurken, eine Etude, ein Prélude – und Bachs Prélude BWV 855 in der Bearbeitung von Siloti. Ovationen.

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