Das neue Programm von Mathias Richling #2019

08.
Dez.
2019

Denken ist keine Sünde

Warum hat eine Blondine genau eine Gehirnzelle mehr als ein Pferd? Damit sie beim Aufwischen nicht aus dem Eimer trinkt. Für einen solchen Witz droht heutzutage akute Shitstormgefahr, und darum legt Mathias Richling diese Zote lieber einem Promi in den Mund: Boris Becker. Dem Ex-Tennisstar nimmt man derlei Anzüglichkeiten ab und Richling testet damit auch gleich mal die Toleranzgrenzen des Publikums, bevor er über Sprach-und Denkverbote im Zeitalter umfassender political correctness räsoniert. Den gelben Sack, so Richling, dürfe man ja auch nicht mehr so nennen, weil sich die Chinesen sonst beleidigt fühlten.
90 Minuten nonstop dauert Richlings neues Programm #2019, das er nun im gut besuchten, wenn auch nicht ausverkauften T1 im Theaterhaus vorgestellt hat. Ein satirischer Jahresrückblick, bei dem so ziemlich alles abgehandelt wird, was 2019 von öffentlichem Interesse war und den Richling ihn in seiner gewohnten Art präsentiert, als sprachliche Volten schlagender Zappelphilipp, der dem Publikum (und sich selbst) bei seinem Parforceritt keine Ruhepause gönnt.
Los geht es mit der SPD, die gleich zwei neue Parteichefs gefunden hat und sich, Kevin Kühnert sei Dank, nun von den „unübersichtlichen Wählermassen“ abgewendet habe. Dann nimmt sich Richling die Grünen vor. Die hätten vor 40 Jahren „die Umwelt erfunden“ – aber, zum Teufel, das Wetter sei nicht einen Deut besser geworden! Mentale Kurzschlüsse dieser Art kann man ja durchaus bei Passantenbefragungen hören, aber richtig brillant ist Richling da, wo er Aspekte der Realität so aufeinanderprallen lässt, dass sich daraus Erkenntnisfunken schlagen lassen. Beispiel Feinstaub. 40 Mikrogramm pro Kubikmeter beträgt der gesetzliche Grenzwert für Straßen, 950 Mikrogramm für die Luft am Arbeitsplatz. Richlings Lösung: einfach alle Straßen zu Baustellen umwandeln, dann werden die Grenzwerte eingehalten.
‚Bekannt geworden ist Richling in den 70er Jahren als Parodist. Kohl, Genscher, Schmidt, Strauß, Richling hatte alle drauf, und auch an diesem Abend lässt er die versammelten Medienmarionetten auf seine virtuelle Bühne treten, einige davon in berühmte Gemälde einmontiert und auf die Bühne projiziert: Angela Merkel samt blauem Haarband (Rezo!) in Vermeers „Mädchen mit dem Perlenohrring“ , Jens Spahn in Rembrandts „Die Anatomie des Dr. Tulp“ und, böse, böse, Ursula von der Leyen in Caravaggios „Medusa“.
Richlings Paraderolle ist, neben Oettinger, die des Landesvaters Kretschmann, dessen mahlendes Schwäbisch er perfekt beherrscht. Nach dem Krieg, so lässt er ihn philosophieren, sei die Bevölkerung freigiebiger gewesen. „Wenn man nix hat, kann man des halt leichter teilen wie wenn mer was hat. Um mit Flüchtlingen zu teilen, geht es uns nicht schlecht genug.“ Richling schont keinen, am wenigsten Trump und schon gar nicht Alice Weidel, die in bewährter AfD-Manier das Dritte Reich relativiert: nur weil es Auschwitz und den 2. Weltkrieg gegeben habe, sei doch der Nationalsozialismus als solcher keine schlechte Idee!
Mit Leonardo da Vinci schwenkt Richling auf die Zielgerade ein, nicht ohne vorher noch die Kurve zu Stuttgart 21 zu kriegen. Denken ist keine Sünde, lautet das Schlusswort. Dem ist nichts hinzuzufügen.

 

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